EU-Korruptionsskandal überfordert Justiz: Die große Verunsicherung
Ein Jahr nach dem größten EU-Korruptionsskandal hat die belgische Justiz keinen Plan, wie sie weitermachen soll. Alle Verdächtigen wurden entlassen.
Eva Kaili, die einst als Hauptverantwortliche betrachtet und schleunigst von ihrem Posten als stellvertretende Parlamentspräsidentin entfernt wurde, geht längst wieder in Brüssel und Straßburg ein und aus, als wenn nichts gewesen wäre. Sie sei Opfer eines Komplotts geworden, behauptet die 45-jährige prominente Griechin. Auch die sozialistische Europaabgeordnete Marie Arena, die als wichtige Mitwisserin gilt, wurde nicht belangt. Man werde keine Aufhebung der Immunität verlangen und auch keine Verhaftung vornehmen, teilte die belgische Staatsanwaltschaft mit. Das bedeute zwar nicht, dass die Ermittlungen eingestellt wurden, heißt es in Brüssel.
Doch bisher sind sie weitgehend im Sande verlaufen. Kein einziger Abgeordneter wurde vor Gericht gestellt, Kaili und mehrere andere Verdächtige mussten aus der U-Haft entlassen werden. Seit der prominente Ermittlungsrichter Michel Claise den Fall im Frühjahr wegen Befangenheit abgeben musste, tritt die belgische Justiz auf der Stelle.
Geldwäsche? Korruption?
Mittlerweile ist nicht einmal mehr klar, worum es genau geht. „Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, Geldwäsche und Korruption“ – so lauteten die Vorwürfe gegen Kaili vor einem Jahr. Die Ermittler fanden in ihrer Brüsseler Wohnung 150.000 Euro in bar, insgesamt sollen mehrere Millionen an Bestechungsgeldern geflossen sein. Doch woher? Steckt wirklich Katar dahinter, wollte der Wüstenstaat für ein günstiges Meinungsklima und gute Geschäfte in der EU sorgen? Oder geht es mehr um Marokko, wie das auf EU-Themen spezialisierte Portal Politico vermutet?
Kailis Anwälte arbeiten an ihrer Rehabilitierung: „Der Vorwurf der Korruption ist unbegründet. Es war ein Vorgang, der durchgeführt wurde, um es zu einem spektakulären Prozess zu machen.“ Mittlerweile hat Kaili wegen eines angeblichen Verfahrensfehlers Beschwerde eingelegt. Sollte sie recht bekommen, könnte das gesamte Verfahren platzen – der vermeintlich größte Korruptionsskandal in der Geschichte der EU würde in sich zusammenfallen. Denkbar ist aber auch, dass der Fall neu aufgerollt wird.
Kurz vor der Europawahl im Juni wären neue Enthüllungen Wasser auf die Mühlen der EU-Gegner, die das Vorurteil von den „korrupten“ EU-Politikern pflegen. Doch dem Europaparlament sind die Hände gebunden. Es hat darauf verzichtet, einen eigenen Untersuchungsausschuss einzusetzen. Die Abgeordneten haben sich voll und ganz auf die belgische Justiz verlassen – und schärfere Transparenzregeln erlassen. Doch wenn sich herausstellen sollte, dass alles anders war als bisher bekannt, könnten sich diese Regeln als unzureichend erweisen.
Das „Katargate“ hat zu einer großen Verunsicherung geführt. Derzeit spricht nichts dafür, dass sie bald verschwindet – Brüssel wartet gespannt auf die nächste Wendung in diesem politisch hoch brisanten Skandal.
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