EU-Kandidatenstatus für die Ukraine: Voreilige Symbolpolitik
Der EU-Kandidatenstatus für die Ukraine mag die ukrainischen Soldaten ermutigen. Doch Georgien und den Westbalkan stößt der Schritt vor den Kopf.
D er Krieg ist der Vater aller Dinge – neuerdings auch in der Europäischen Union. Noch im März, beim EU-Sondergipfel in Versailles, stritten Gastgeber Emmanuel Macron, Kanzler Olaf Scholz und die übrigen EU-Chefs über die Frage, ob die Ukraine überhaupt eine europäische Perspektive habe. Viele waren skeptisch, auch Scholz.
Nur drei Monate später hat der EU-Gipfel alle Bedenken beiseite geschoben und die Ukraine zum Beitrittskandidaten erklärt, gemeinsam mit Moldau. Das darf man durchaus historisch nennen. Noch nie wurde ein Land so schnell in die EU eingeladen, noch nie gab es den begehrten Status mitten im Krieg.
Doch historisch heißt nicht unbedingt gut. Die Eilentscheidung stößt nicht nur Georgien vor den Kopf, das weiter auf die Eintrittskarte warten muss. Sie ist auch ein Affront für den Westbalkan, der seit Jahren hingehalten wird. Der „geopolitische Gipfel“ schafft neue Probleme, eine Strategie ist nicht erkennbar.
Das gilt leider auch für die Ukraine. Gewiß, für die Kampfmoral ist das Signal aus Brüssel gut. Präsident Wolodimir Selenski bekommt europäische Rückendeckung just in dem Moment, da der Krieg im Donbass verloren zu gehen droht. Außerdem erhält das Land eine Perspektive, an der es sich orientieren kann.
Die EU muss mitentscheiden
Doch die entscheidenden Fragen wurden verdrängt. Welche Ziele verfolgen die Europäer im Krieg? Wie lässt sich verhindern, dass die EU in den Konflikt hineingezogen wird? Und wie soll der Kampf mit Kremlchef Wladimir Putin überhaupt beendet werden?
Antworten suchte man bei diesem Gipfel vergeblich. Alle kritischen Fragen wurden unter den Teppich gekehrt. Auch die nächsten Schritte im Beitrittsprozess blieben im Dunkeln. Die Symbolik war wichtiger als die Realpolitik. Doch so kann die EU nicht weitermachen. Wir müssen uns in der Ukraine einmischen – denn nun gehört sie dazu.
Wie das gehen kann, zeigt der Westbalkan. Dort gibt die EU nicht nur die Reformen vor – Demokratie, Rechtsstaat, Minderheitenrechte und Kampf gegen Korruption. Sie versucht auch, zwischen den ehemaligen Kriegsgegnern Serbien und Kosovo zu vermitteln. In der Ukraine und Russland wird das zunächst nicht möglich sein.
Doch wir können Selenski auch nicht mehr allein entscheiden lassen. Die Ausrede, nur die Ukraine könne sagen, wie es weiter geht, verfängt nicht mehr. Das Land strebt in die EU, also muss die EU auch den Weg weisen.
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