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EU-Handelsabkommen mit KanadaLänder sollen über Ceta abstimmen

Trotz der gegenteiligen Ansage von EU-Kommissionschef Juncker sollen nun die nationalen Parlamente über das Ceta-Abkommen abstimmen.

Hat nun eingelenkt: EU-Kommissionschef Juncker Foto: dpa

Brüssel taz | Am Ende war Jean-Claude Juncker der Inhalt wichtiger als die Form. Das umstrittene Freihandelsabkommen Ceta zwischen der EU und Kanada soll daher nun doch als „gemischtes Abkommen“, also mit Beteiligung des Bundestags und anderer nationaler Parlamente ratifiziert werden. Juncker knickte ein, verkaufte es aber als Sieg der Vernunft.

Allerdings ging der Chef der Brüsseler EU-Behörde nicht selbst in die Bütt, um seine Kehrtwende zu erklären. Das überließ der politisch angeschlagene Luxemburger seiner Handelskommissarin Cecilia Malmström. Und die pries erst einmal die Vorteile dieses „fortschrittlichsten Freihandelsabkommens aller Zeiten“. Damit all die Vorteile von Ceta schnell greifen, wolle man aber keine Zeit mehr verlieren, so Malmström weiter. Deshalb soll das Abkommen nun so schnell wie möglich ratifiziert werden – durch das Europaparlament und 42 nationale und regionale Parlamente, Großbritannien eingeschlossen.

Nach Zustimmung der EU-Abgeordneten soll Ceta vorläufig in Kraft treten, fügte die Schwedin hinzu. Im Herbst könnte es schon so weit sein. Doch was ist, wenn ein nationales Parlament Nein zu Ceta sagt? Was passiert, wenn das höchste EU-Gericht, das noch über ein Handelsabkommen mit Singapur befinden muss, neue rechtliche Hürden aufstellt?

Dazu wollte sich Malmström nicht äußern. Auch Juncker hielt sich bedeckt. „Ich habe auf die Staats- und Regierungschefs und auf die nationalen Parlamente gehört“, ließ er schriftlich mitteilen. Dabei hatte er noch vor einer Woche beim EU-Gipfel erklärt, dass die nationalen Abgeordneten bei Ceta nichts zu melden hätten.

Nun sollen sie doch mitentscheiden. Damit geht ein wochenlanger Machtkampf zu Ende. Im Kern geht es dabei um die Rolle der Mitgliedstaaten in der Handelspolitik, aber auch um den künftigen Kurs der EU.

Jubel für die Kehrtwende

Juncker und Malmström kämpfen gleich an drei Fronten: Zum einen haben sie es mit einer breiten Bewegung gegen den „neoliberalen“ Kurs der EU und gegen Sonderrechte für Konzerne und andere private Investoren zu tun.

Sie wird von außerparlamentarischen Bewegungen wie Attac und Campact organisiert, die mit Petitionen gegen das „trojanische Pferd Ceta“ anrennen. Diese bejubelten am Dienstag die Kehrtwende der EU-Kommission. „Die Kritik von Bürgerinnen und Bürgern ist in Brüssel angekommen“, twitterte auch LobbyControl.

Widerstand kommt aber weiter aus Städten wie Barcelona, die sich zur „TTIP- und Ceta-freien Zone“ erklärt hat. Eine weitere Front steht auf der Ebene der nationalen und regionalen Parlamente. Sie fordern ein Mitspracherecht bei wichtigen EU-Entscheidungen. Während sich der Bundestag noch nicht auf eine Position festgelegt hat, sagt die französischsprachige belgische Region Wallonie „Non“ zu Ceta.

Stärkere Beteiligung versprochen

Die dritte und wohl entscheidende Front verläuft zwischen der EU-Kommission und den nationalen Regierungen. Sie werfen sich wechselseitig vor, im Streit um den Freihandel versagt zu haben. Vor allem die deutsche Regierung habe es versäumt, offensiv für Ceta und TTIP zu kämpfen, heißt es in Brüssel.

Angeheizt wird der Streit durch den Sieg der EU-Gegner in Großbritannien. Auf britischen Druck hatte die EU-Kommission schon vor dem Brexit-Referendum angekündigt, nationale Parlamente künftig stärker an EU-Entscheidungen zu beteiligen.

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3 Kommentare

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  • Junker Juncker - was hat Euch nur geritten? Dürft Ihr und Euer Gremium Euch mit Eurer langjährigen politischen Erfahrung solch einen Vorstoß erlauben? Und das nach dem Brexit...

     

    Immer mehr EU-Bürger kommen zu der Erkenntnis, dass es stets eine ziemliche Spannweite an Möglichkeiten für die einzelnen beworbenen Themen gibt. Es wird das best Mögliche versprochen und nur ein winziges unauffälliges Hintertürchen für die Befürworter - für deren eigenen Exit - offen gelassen, durch das kaum erkennbar ist, dass es auch eine schlechtest mögliche Alternative gibt. Und die Erfahrung zeigt, dass in aller Regel am Ende das schlechtest mögliche Szenario zur Realität wird.

     

    Wie gut, dass immer mehr Bürger erkennen, dass viele von Lobbyisten geblendete Politiker sich leider häufig als realitätsferne Zocker erweisen. Das ist gar nicht gut für unsere politische Kultur...

  • Gibt es denn nationale Parlamente, deren Abgeordnete CETA mehrheitlich überhaupt schon gelesen haben und die auch verstanden haben, worüber sie da tatsächlich abstimmen sollen?

    Würde man die Abgeordneten einfach und direkt über die Auflösung ihrer Parlamente abstimmen lassen, wären wohl die meisten Parlamentarier strikt dagegen. CETA und damit dann ja auch TTIP laufen aber genau darauf hinaus und dennoch muss man wohl befürchten, dass alle nationalen Parlamente mehrheitlich dafür stimmen werden, weil alle irgendwie davon ausgehen, dass der Lohn für diese Selbstaufgabe schon stimmen wird. Hatten die Erfinder der Demokratie wirklich nur ein schnödes Wettbüro im Sinn?

    • 1G
      1714 (Profil gelöscht)
      @Rainer B.:

      Das Problem scheint die vorherrschende Haltung zu sein, dass alles jetzt sofort sein muss. Zukunft spielt keine Rolle. Das ist in weiten Teilen der Wirtschaft so, die Aktien müssen heute hoch, gleichgültig was in zwei, drei oder gar mehr Jahren als Folge davon passieren kann. Die Politik ist da nicht anders: man verhält sich dem meist von den Parteiführungen vorgegebenen Mainstream entsprechend, damit man wieder auf aussichtsreiche Listenplätze als Abgeordnete/r gesetzt wird. Nur das zählt, die Zukunft des Volkes ist wurscht. Und man sollte auch nicht vergessen, dass die Wirtschaft mächtigen Druck ausübt - dem widerstehen viele Volks (?) VertreterInnen nicht...