piwik no script img

EU-Gipfel in BrüsselMerkel opfert Weber

Die EU-Staats- und Regierungschefs einigen sich nicht auf einen Nachfolger von Kommissionspräsident Juncker. Die Suche nach Mehrheiten geht weiter.

Sichtlich unzufrieden: Angela Merkel Foto: ap

Brüssel taz | Der Personalpoker in der Europäischen Union geht in die Verlängerung. Wenige Minuten nachdem der EU-Gipfel am Freitag in Brüssel ohne Einigung zu Ende gegangen war, traf sich Frankreichs Präsident Emmanuel Macron mit den Regierungschefs aus Spanien, Portugal, Belgien und den Niederlanden, um eine Lösung nach seinem Geschmack zu suchen. Derweil rückte Bundeskanzlerin Angela Merkel vorsichtig vom deutschen Kandidaten Manfred Weber ab.

Für den CSU-Politiker Weber und die beiden anderen Spitzenkandidaten für die Europawahl, Frans Timmermans (Sozialdemokraten) und Margrethe Vestager (Liberale) gebe es keine Mehrheit, sagte Merkel. Dies habe EU-Ratspräsident Donald Tusk festgestellt – und sie habe daran „keinen Zweifel“. Tusk wurde beauftragt, nun in Gespräche mit dem Europaparlament einzutreten. Am 30. Juni soll es einen weiteren EU-Gipfel geben.

Merkel spielte die Vertagung herunter: das sei „keine Überraschung“. Der nächste – dritte – Gipfel im Personalpoker sei „Teil des Prozesses, den wir jetzt durchlaufen müssen“. Das übliche Bekenntnis zu Weber wiederholte Merkel jedoch nicht. Sie stehe weiter zum „Spitzenkandidaten-Prozess“. Allerdings wolle sie auch keine Entscheidung gegen Frankreich erzwingen.

Macron hatte sich von vornherein ­gegen einen der Spitzenkandidaten ausgesprochen. Der Franzose fordert, die Nachfolge von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und vier weitere EU-Spitzenposten mit „den Besten“ zu besetzen. Niemand könne sich vorstellen, dass Weber US-Präsident Donald Trump die Stirn bietet, streuten französische Diplomaten am Rande des Personalgeschachers, das bis in die Nacht dauerte.

„Das Spitzenkandidaten-System funktioniert nicht, wir haben uns jetzt davon befreit“, erklärte Macron nach dem Gipfel. Vorsichtiger äußerte sich Luxemburgs Premier Xavier Bettel. „Sie sind noch nicht tot, aber sie wackeln“, sagte er. Zur Begründung verwies Bettel auf die Europäische Volkspartei (EVP), der Merkel und Weber angehören. Die EVP will auch die anderen Spitzenkandidaten durchfallen lassen, wenn Weber nicht durchkommt.

Doch wer könnte dann auf Juncker folgen? In Brüssel wurden mehrere Namen genannt. Sie kommen alle aus dem konservativen Lager, da die EVP, die bei der Europawahl vorne lag, auf ihrem Führungsanspruch beharrt. Dazu zählen der französische EU-Verhandlungsführer beim Brexit, Michel Barnier, und die Chefin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde.

Auch bei anderen Themen des EU-Gipfels gab es kaum Fortschritte. So bekannten sich die 28 Chefs zwar zu den Pariser Klimazielen. Auf ein verbindliches Zieldatum 2050 für eine klimaneutrale Wirtschaft konnten sie sich jedoch nicht einigen. Polen, Tschechien, Ungarn und Estland legten ein Veto dagegen ein.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • Haben denn bei der Besetzung der EU-Spitzenpositionen überhaupt jemals Wahlen eine Rolle gespielt? Wahlen sind in der EU ja nur dazu da, damit das Wahlvolk denkt, es könnte irgendwie doch noch Einfluß ausüben. Nein - die Spitzenpositionen werden natürlich von den führenden „Demokraten“ besetzt, was denn sonst?

  • Herr Weber ist so blass, dass man sich schon fragen musste, wie er eigentlich in die Kandidatenrolle gekommen ist. Für so einen wird die Kanzlerin bestimmt nicht kämpfen.

  • Wenn die EU sich von etwas befreien muss, dann vom Einstimmigkeitsprinzip. Das ist der größte Bremsklotz in den europäischen Entscheidungsfindungen.

    Dennoch ein ehrliches Kompliment für alle Kandidaten für ihre engagierten Vorwahldebatten.

  • Es wird wohl Zeit, dass die "große" Koalition endlich Platz macht. Es ist doch lächerlich, dass eine 25% Partei oder Fraktion für sich von Führungsanspruch spricht. Die SPD ist wohl zu zahnlos Stop zu sagen oder zu selbstverliebt mit ihrem eigenen Spitzkandidaten. Timmermans hätte im Parlament aber wohl eine größere Chance als Weber obwohl "seine" Fraktion mit 20% noch kleiner ist. Im EP ist die progressiv, liberale Mehrheit kaum zu übersehen. Wenn sich die EVP also nicht mit den Anti-EU und Nationalen Fraktionen verbündet und zum Beispiel die koalitionsverliebte SPD Mannschaft gewinnt, hat die keine Mehrheit.



    Wenn dies aber geschiet, dann gut Nacht SPD.



    Die Chance wäre ein progressiver Aufbruch ohne Lagerdenken.

  • 9G
    97088 (Profil gelöscht)

    Die Wortwahl im Artikel gefällt mir ebenfalls nicht. „Personalpoker“, „opfern“ oder „streuen von Informationen“ sind speziell belegte Begriffe. Und es geht hier nicht um Firlefanz! Was sich heute zeigt ist, dass die EU-Mitgliedsstaaten mangels gemeinsamer politischer Zielsetzungen auch keine gemeinsam anerkannten Persönlichkeiten haben, um diese in der Welt auf Augenhöhe durchzusetzen. Und gerade der mir bis zur Europawahl völlig unbekannte Herr Weber aus dem Süden der Republik - der soll jetzt - vermutlich möglichst lautlos und unauffällig - in der Tat die EU auf der gesamten politischen Welt repräsentieren? Ich denke, hier wird jemand benötigt, der oder die das auch als „persönliche Autorität“ aus jeden Knopfloch verströmt. Und kein mehr oder weniger begabter Hintergrundstrippenzieher.

    • @97088 (Profil gelöscht):

      Zustimmung! Dass die EU Institutionen gerade um die besten Köpfe an ihren Spitzen ringen ist eine sehr gute Entwicklung für Europa und ein ganz normaler demokratischer Aushandlungsprozess. Es geht nicht um Leben und Tod, sondern um den Ausgleich der Mächte und Interessen, das ist spannend, aber nicht dramatisch.

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Menschen, die tagtäglich mit Sprache zu haben, sollten sich genauer überlegen, welche Worte sie benutzen.

    Den Begriff "opfern" in diesem Kontext zu verwenden, ist nicht nur martialisch, sondern dumm. "Merkel verzichtet auf Weber als EU-KP" wäre m. E. angemessen gewesen.

    Mal einen Streifzug durch die Menschheitsgeschichte machen, wann wer "geopfert" wurde, Herr Bonse. Mir fallen da ganz andere Zusammenhänge ein.

    Solches Gebahren (mit welcher Intention auch immer) vergiftet die Atmosphäre weiter.

    Um Herrn Weber tut es mir leid. Ein sympathischer Mensch aus der CSU: wann gibt es das schon mal?

    Aber in der Sache stimme ich der Kritik zu: Weber wirkt nicht durchsetzungsfähig genug. Da sind andere KandidatInnen im Gespräch mit Haaren auf den Zähnen. Als Pendant zu Herrn Trump sicherlich wichtig.

    • @76530 (Profil gelöscht):

      noch besser: Weber hat keine Chancen bei Micron, das erkennt auch Merkel.

  • Die Überschrift ist wohl selbst für die taz etwas zu martialisch.

    Erstmal wäre festzstellen, dass das EU-Parlament sein zuvor gewonnenes Selbstvertrauen wegen der eigenen Zerissenheit opfert und sich erneut eifrig dem Rat unterordnet. Die zuvor gewonnen geglaubte Bedeutung ist bereits jetzt wieder Geschichte.

    Frau Merkel wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dafür Sorge tragen, dass es im Gegenzug kein Franzose werden wird. Insoweit dürften Herr Barnier und Frau Lagarde ebenfalls einen schweren Stand haben.

    Wie dem auch sei, wenn am Ende Herr Weidmann Präsident der EZB werden sollte, dann könnte man den Verlust der EU Kommissionspräsidentschaft schmerzfrei verkraften. Das wäre aus deutscher Sicht von ähnlich hoher Relevanz. Herrn Barnier könnte man dann die Parlamentspräsidentschaft anbieten.