Christian Jakob über die Reform des EU-Asylverfahrens
: Die grüne Flucht nach rechts

Bis vor Kurzem hatte die Webseite der Grünen eine Themenrubrik namens „Flüchtlinge“. Darin stand ein klarer Satz: „Vorgezogene Asylverfahrensprüfungen an den Außengrenzen lehnen wir ab.“ Diese Seite ist nicht mehr erreichbar. Stattdessen gibt es eine Weiterleitung, dort ist von „Humanität, Ordnung und Solidarität an der Grenze“ die Rede. Der semantische Abstand zur CDU ist nur noch haarscharf: Bei der ist der Passus zum selben Thema überschrieben mit „Unser Weg für Humanität und Ordnung“.

Beschrieben werden bei Grünen und Union die Vorzüge der Neuordnung des EU-Asylsystems GEAS, das am Mittwoch vom EU-Parlament beschlossen wurde. Es sieht – und das ist eine Idee des alten deutschen CSU-Innenministers Horst Seehofer – vor, dass Ankommende an den Außengrenzen künftig in großer Zahl inhaftiert werden und Schnellverfahren durchlaufen müssen. Offiziell gelten sie in dieser Zeit als „nicht eingereist“. Wer vorher in einem „sicheren Drittstaat“ war, soll sehr leicht dorthin zurückgeschoben werden können – auch wenn diese „sicheren Drittstaaten“, wie etwa die Türkei, ihrerseits in Kriegsgebiete oder unsichere Staaten wie Afghanistan abschieben. Die EU entledigt sich so der Menschen, der moralischen Verantwortung aber entkommt sie nicht.

Das neue GEAS ist ein System der Entrechtung und der Abschottung. Es wurde auf EU-Ebene nur möglich, weil Deutschland im vergangenen Sommer eine Einigung forcierte. Die Grünen-Parteispitze warb damit, so einen „verbindlichen Verteilmechanismus“ durchsetzen zu können. Der Mechanismus war in Wahrheit nie vorgesehen. Es wird ihn auch jetzt nicht geben, sondern nur eine Zahlungsverpflichtung für Länder, die anteilig zu wenige Flüchtlinge nehmen. Sehr wohl aber gibt es Haft für die Schwächsten, auch für Kinder – das, was die grüne Parteispitze zu verhindern versprach.

Annalena Baerbock warb am Mittwoch vor der Abstimmung für das GEAS, nannte es einen „Meilenstein“ für „Humanität und Ordnung“. Doch damit vermochte sie nicht mal ihre eigene Fraktion im Brüsseler Parlament zu täuschen. Die sah klar – und lehnte den Kompromiss ab.

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