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EU-Bericht zur VorratsdatenspeicherungWidersprüchliches aus Brüssel

Die EU-Kommission drängt Deutschland, ein neues Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung vorzulegen - obwohl sie mit den Erfahrungen in den anderen EU-Staaten unzufrieden ist.

"Wildwuchs an nationaler Willkür"? Jeder EU-Staat setzt die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung anders um. Bild: dapd

BERLIN taz | Es ist eine widersprüchliche Botschaft, die die EU-Kommission in ihrem lange erwarteten Bericht zur Vorratsdatenspeicherung verbreitet. Einerseits mahnt sie Deutschland und vier weitere EU-Staaten, die noch keine Gesetze zum anlasslosen Speichern aller Internet- und Telefonverbindungsdaten haben, "so schnell wie möglich" zu handeln - sonst drohe ein Vertragsverletzungsverfahren.

Andererseits zeigt der Evaluationsbericht, wie unterschiedlich diejenigen EU-Staaten, die schon die Daten aller ihrer Bürger auf Vorrat speichern, in der Praxis mit ihnen umgehen - weshalb die Kommission ihre Vorgaben nun auch noch mal grundlegend überarbeiten will. Offiziell soll der Bericht erst am Montag vorgestellt werden, der FDP-Europaabgeordnete Alexander Alvaro hat ihn aber schon vorab ins Netz gestellt. Er liest aus dem Bericht einen "Wildwuchs an nationaler Willkür" heraus.

So darf in manchen EU-Mitgliedsstaaten laut Kommission nicht nur die Polizei auf die Internet- und Telefonverbindungsdaten zugreifen, sondern auch Militär und Geheimdienste. Während in einigen Ländern ein Richter den Zugriff auf die Daten genehmigen muss, reicht in anderen eine schriftliche Anfrage der Sicherheitsbehörden.

Und auch die Zugriffszahlen auf die Vorratsdaten sind höchst unterschiedlich: Während die Behörden in Zypern nur 100-mal pro Jahr Daten anfordern, machen sie es in Polen mehr als eine Million Mal - das ist die Hälfte der Zugriffe in der ganzen EU.

Die EU-Kommission will bei einer Überarbeitung ihrer Vorgaben deshalb unter anderem prüfen, ob die Zahl der zugriffsberechtigten Behörden eingeschränkt und die Speicherfristen verkürzt werden können. Denn wie aus den Daten der Mitgliedsländer hervorgeht, die bisher schon anlasslos Verbindungsdaten speichern, waren 70 Prozent der angeforderten Daten drei oder weniger Monate alt. Bisher schreibt die EU-Richtlinie den Mitgliedsstaaten eine Speicherfrist von sechs bis 24 Monaten vor.

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), die das verdachtlose Speichern ablehnt, ignorierte am Wochenende die Drohung aus Brüssel und interpretierte den Kommissionsbericht ganz in ihrem Sinne. Vor einer Überarbeitung der EU-Vorgaben gebe es kein deutsches Gesetz: "Es wäre aberwitzig, wenn jetzt auf die Durchsetzung einer Richtlinie gedrungen würde, die ohnehin überarbeitet werden muss."

Die Union wird das kaum hinnehmen. Zuletzt hatte der neue Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) von einer "Mindestspeicherfrist" von 6 Monaten zur Kriminalitätsbekämpfung gesprochen.

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6 Kommentare

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  • H
    herbert

    Eine verdachtsunabhängige Speicherung widerspricht der Unschuldsvermutung, dies ist eines Rechtsstaates absolut unwürdig. Dies betrifft auch die geplante Passagierdatenspeicherung. Aber was rede ich da, die Mächtigen in der EU heißen nicht umsonst Kommissar.

     

    Schnarri ist die Beste, nur leider in der falschen Partei und vor dem SWIFT-Abkommen hat sie sicher Besuch bekommen, nur die Linke hat bei der Abstimmung im EU Parlament dagegen gestimmt.

  • E
    Edelweiss

    Eine verdachtsunabhängige Speicherung widerspricht der Unschuldsvermutung, dies ist eines Rechtsstaates absolut unwürdig. Dies betrifft auch die geplante Passagierdatenspeicherung. Aber was rede ich da, die Mächtigen in der EU heißen nicht umsonst Kommissar.

     

    Schnarri ist die Beste, nur leider in der falschen Partei und vorm SWIFT-Abkommen hat sie sicher Besuch bekommen.

  • H
    Hase

    ACTA - darum geht es der von Interessensgruppen finanzierten EU-Kommission. Bürgerrechte interessieren niemanden.

  • T
    ThomasW

    Die alte Schnarre ist einfach gut. Die einzige Person im Kabinett, über die man sich als Bürger so richtig freuen kann. Wie man in dieser Ausgabe lesen kann, ist sie nicht nur hier standhaft sondern sie hat auch kein Problem damit, einen Dienstwagen zu fahren, der einen einigermaßen zeitgemäßen CO2-Ausstoß hat.

  • J
    Jim

    Wieso ein neues Gesetz erlassen, welches in kurzer zeit wieder vom Bundesverfassungsgericht gekippt wird. Die EU besonders die Malmström haben doch nicht mehr alle Tassen im Schrank

  • WB
    Wer befreit die EU von der EU-Kommission?

    Seit Anfang der 1970er verwenden wir das Internet zum Datenaustausch, beispielsweise zum Versenden von E-Mails. Seit 1989 gibt es das World Wide Web.

     

    Nach Jahrzehnten friedlicher Nutzung des Internets behauptet die EU-Kommission, dass wir ganz schnell die totale Überwachung aller BürgerInnen ohne jeglichen Verdacht und richterlichen Beschluss zur Bekämpfung von Terroristen brauchen. Diese nicht gewählte, undemokratische EU-Kommission belügt uns.

     

    In Wahrheit geht es darum, im Auftrage der Unterhaltungsindustrie der Amis die Grundlagen für ACTA zu schaffen! Aus der Ecke kommt das Gedränge.

     

    Was wir benötigen ist eine Garantie in der Verfassung, dass Gesetze zur totalen Überwachung in der EU nicht verfasst werden. Die Wutbürger haben schon lange die Nase gestrichen voll von der EU. Wenn der Rest der Bevölkerung sich gegen den EU-Überwachungsstaat wendet, dann ist Essig mit der EU. Die Amis wird das wenig jucken - ganz im Gegenteil.