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ESC und IsraelDer größte Boykott aller Zeiten

Im November entscheidet die European Broadcasting Union, ob Israel vom ESC verbannt wird. Viele KünstlerInnen haben bereits ihre Präferenz gezeigt.

Basel, 14. Mai 2025: ein Zuschauer mit palästinensischer Fahne, während die israelische Kandidatin Yuval Raphael auf der Bühne probt Foto: Jessica Gow/TT/imago

Es könnte der größte Erfolg der antiisraelischen Bewegung BDS („Boycott, Divestment and Sanctions“) werden: Im November wird auf einer außerordentlichen Mitgliederversammlung der EBU, dem Senderverbund öffentlich-rechtlicher TV-Anstalten der Eurovision, entschieden, ob beim nächstjährigen Eurovision Song Contest in Wien Israel teilnehmen darf oder nicht.

Aus mehreren Ländern – den Niederlanden, Spanien, Irland und Slowenien – heißt es seit Wochen, man werde beim 70. ESC nicht mitmachen, sofern Israel wieder von mit der Partie ist. Auch in Ländern wie Schweden, Norwegen, Frankreich, Belgien und Island gibt es Signale, dass eine israelische Teilhabe dazu führen könnte, dem Wettbewerb – mit jüngst im Mai 160 Millionen ZuschauerInnen das größte Pop-Event der Welt – fernzubleiben.

Der ESC ist ein Event, an dem alle öffentlich-rechtlichen Sender der EBU teilnehmen können – und die EBU ist nicht identisch mit der Geographie Europas im engeren Sinne.

Zur Senderkette gehören auch Anrainerländer, etwa Georgien, Aserbaidschan und Armenien, assoziiert sind TV-Anstalten jenseits des Kontinents, etwa aus Australien.

Nach dem Massaker

Der Kern der EBU: TV- und Radiostationen, die journalistisch unabhängig von Regierungsdirektiven arbeiten und öffentlich-rechtlich verfasst sind. Israel ist bei dem 1956 erstmals ausgetragenen Wettbewerb seit 1973 dabei, damals eine Reaktion auf die nachbarschaftliche Isolierung des Landes nach dem Olympiamassaker an israelischen AthletInnen 1972 durch ein palästinensisches Terrorkommando.

Zur EBU zähl(t)en auch verschiedene arabische oder maghrebinische Sender, aber diese hatten die Einladung zur künstlerischen Teilnahme immer schon davon abhängig gemacht, dass Israel nicht dabei sein darf oder dass sie die israelischen Beiträge während der Liveübertragung ausblenden dürfen.

Darauf hat sich die EBU nie eingelassen. Dass Marokko 1980 beim ESC dabei war, lag am Verzicht des israelischen EBU-Senders auf den damaligen ESC, der Sendetermin kollidierte mit einem nationalen Feiertag.

Die diesjährigen Boykottforderungen gegen Israel hat die EBU zurückgewiesen. Martin Green, Chef des ESC in der EBU, teilte im September mit: „Wir verstehen die Bedenken und tief verwurzelten Ansichten zum anhaltenden Konflikt im Nahen Osten. Wir beraten uns weiterhin mit allen EBU-Mitgliedern, um Meinungen darüber einzuholen, wie wir mit der Teilnahme und den geopolitischen Spannungen rund um den Eurovision Song Contest umgehen sollen.“ Der ESC, so betonte er, sei indes ein Event der Inklusion, nicht des Ausschlusses.

Bei Netanyahu nicht beliebt

Jene, die einen Boykott Israels fordern, sagen, dass dieses Land einen „Genozid“ in Gaza bewirke, dass Israels Militärs Kriegsverbrechen begingen – und dass das Land auf einer kulturellen Veranstaltung nichts verloren habe. Schließlich seien 2022 auch Russland (und Belarus) vom Eurovisionsfestival ausgeladen worden – wegen des russischen Krieges gegen die Ukraine.

Der Unterschied für die EBU war jedoch, dass die TV-Sender Russlands und Belarus' faktisch Regimesender seien, der israelische Sender KAN, bei der Netanyahu-Regierung nicht beliebt, unabhängig arbeiten könne.

Das zählt offenbar in den abermillionenfachen Gemütern der Bewegung für den Ausschluss Israels nicht. Auch nicht, dass zwar die israelische Sängerin Yuval Raphael in diesem Jahr in Basel quasi die Volksabstimmung beim ESC gewann.

Sie, die Überlebende des Hamas-Massakers am 7. Oktober 2023, bekam aus allen Ländern den stärksten Publikumszuspruch. Schon im vorigen Jahr, 2024 in Malmö, hatte die israelische Sängerin Eden Golan die zweitmeisten Voten aus drei Dutzend Ländern erhalten. In den Bewertungen der Jurys allerdings schnitten beide Künstlerinnen eher mau ab – offenbar wollten die Jurymitglieder, allesamt Professionals und also mit starker Fühlung zum Zeitgeist in ihren Ländern, Israel aus politischen Gründen nicht vorn rangiert sehen.

Folllow the followers!

Zu den antiisraelischen Umständen zählt in jüngerer Zeit auch, dass auch beim ESC, vor und hinter den Kulissen, die Terrorschlächterei vom 7. Oktober 2023 nicht thematisiert wird, dafür die israelische Reaktion auf den Überfall.

Zu den prominentesten Figuren einer Demonstration in Malmö 2024 zählte die einstmalige Klimakrisenkämpferin Greta Thunberg. Auch in der ESC-KünstlerInnencrowd hatte sich ein unkollegiales Gemisch aus Feindseligkeit und Unhöflichkeit gegen Israels Künstlerin herauskristallisiert – aber auch hier muss Verständnis aufgebracht werden: Der spätere Sieger Nemo aus der Schweiz wie auch die Irin Bambie Thug, der Niederländer Joost Klein und die Griechin Marina Satti, allesamt Social-Media-populär, wären künstlerisch erledigt, hätten sie sich nicht der antiisraelischen Atmosphäre in ihren Followerschaften ergeben.

Dass die EBU nun auf die Unruhen in einzelnen Mitgliedsländern reagiert, wird auch mit dem neugewonnenen Publikumsprofil des ESC zu tun haben.

Der Eurovision Song Contest, einst eine Show mit dem höchsten Millionenpublikum jenseits von Sportübertragungen, aber als kulturell flach und schlageresk abgetan, ist zur Projektionsfläche gerade jüngerer und jüngster Menschen geworden, der ESC hat sein Profil extrem verjüngen können – auch dank Kooperationen mit Social Media-Kanälen wie TikTok. Exakt diesen Background wird die EBU mit seinem TV-Juwel „ESC“ nicht vergrätzen wollen.

ARD in Wien dabei

Auffällig aber an den TV-Anstalten, die die Boykottforderungen wesentlich tragen, ist, dass sie allermeist zu den wohlhabenden westlichen Ländern gehören. Aus osteuropäischen Ländern sind diese Art von Boykottierungsleidenschaften kaum zu hören, weder aus dem Baltikum noch aus Polen, der Ukraine oder den meisten Ländern des früheren Jugoslawien sind solche Rufe öffentlich mächtig.

Bei Deutschlands ARD, bei der im kommenden Jahr erstmals seit 1996 nicht mehr der NDR, sondern der SWR ESC-federführend ist, hieß es schon vor Wochen, man werde sich keineswegs an Israel-Boykotten beteiligen, man werde in Wien dabei sein.

Sozusagen von höchster Regierungsstelle äußerte Kulturstaatsminister Wolfgang Weimer: „Wer heute Israel ausschließt, stellt diesen Grundgedanken auf den Kopf und macht aus einem Fest der Verständigung ein Tribunal.“ Ähnliche Statements waren und sind aus Italien, der Schweiz, Malta, Dänemark oder Griechenland zu vernehmen gewesen.

Israel, nur nebenbei, zählt zu den erfolgreichsten ESC-Ländern; es hat viermal gewonnen, zuletzt 2018 mit Netta Barzilai und ihrem Act namens „Toy“.

Die Abstimmung auf der EBU-Versammlung im November ist offen. Die, so war aus verschiedenen Quellen diskret zu hören, Offerte an den israelischen Sender KAN, er möge sich im kommenden Jahr vom ESC fernhalten, wurden zurückgewiesen – man habe Furcht, dann nie wieder zum ESC zugelassen zu werden.

Gut möglich, dass einige Länder, wie eben Spanien, Slowenien, Irland oder die Niederlande, im Mai in Wien nicht im Spiel sind – es würde für eine eurovisionäre Show trotzdem keinen echten Schaden bereiten. Wer sich exkludiert, hat die Idee des künstlerischen Brückenbaus nicht verstanden und im Übrigen Kunst mit Politik verwechselt.

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