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EMtaz: Pro und Contra FavoritenSind die Großen noch zu retten?

David Joram
Martin Krauss
Kommentar von David Joram und Martin Krauss

Spanien, Deutschland, Frankreich. Werden die Favoriten ihrem Status gerecht? Oder sind nicht längst alle Teams Geheimfavoriten?

Die bei der Euro 2016 fehlenden Holländer sind längst nicht mehr so groß wie im WM-Finale 1974 mit Johann Cruyff. Die deutsche Elf will die Erfolge vergangener Turniere wiederholen Foto: dpa

Pro: Die Big Player sind spielerisch weit besser als der Rest

D rei zu null. Klasse, diese Spanier! Endlich mal ein Turnierfavorit, der seine ganze spielerische Raffinesse gezeigt hat. Locker, flockig, leicht die türkische Mannschaft abgefiedelt. So lustvoll, dass der alte Iniesta prompt zum pirloesken Magier erhoben wurde. Fußball zum Genießen, mit einem Gläschen Rioja, dazu Tapas. Ach, wie herrlich, rufen all jene, die Fußball schauen, weil sie von der europäischen Elite auch mal das jogo bonito, das schöne Spiel, erwarten.

So wie früher eben, als diese bislang so biedere Euro 2016 noch in ferner Zukunft lag. Als der Catenaccio noch nicht im Sturm begann und man zu Länderspielen gegen Island noch den Gesangsverein Liederkranz hinschickte, dessen Ensemble den Insulanern dann standesgemäß ein Dutzend Tore einschenkte. Im Stil des jogo bonito, logisch!

Diese EM bietet jedenfalls wenig Klasse. Das spanische 3:0 war die einzige Partie, die Dominanz mit Eleganz paarte. Der Rest: viel Gewurschtel und Gewürge, Krampf und Kampf. Von den „Großen“, und damit auch von der deutschen Elf, erwartet man mehr. Eine adelige Fußballnation muss so gewinnen, wie es ihrem Stand entspricht. Ein adeliger Weltmeister, den man schon ganz anders gesehen hat (Stichwort: 7:1 gegen Brasilien), sowieso.

Am besten inspiriert und angeführt von den großen Stars, den „Führungsspielern“. Deren Panini-Bildchen sammeln Kita-Lausbuben (und -Lausmädchen) wie alte Ehepaare gleichermaßen. Weil sie die personifizierte Faszination des Spiels sind: Özil, Iniesta, Ibrahimovic, Ronaldo, Pogba, de Bruyne, Buffon und die restlichen Markenbotschafter.

Effizienz ist gefragt, kein Spektakel

Seltsam übrigens, dass von außen gerade der Teamsport Fußball stärker denn je individualisiert wird. Das Spiel selbst kollektivieren die modernen Trainer ja gleichermaßen umso intensiver. Auch ein Grund, warum elf Mittelklassekicker gegen ein Starensemble bestehen können.

Die Frage zum Kernproblem lautet also: Geht mit der EM 2016 die Ära der Großen endgültig zu Ende? Schließlich gibt es ja auch keine Kleinen mehr, wie es (seit wann genau eigentlich?) immer so schön heißt. Und wie Isländer, Nordiren und Waliser gerade beweisen, scheint das zu stimmen.

Dabei ist genau das Gegenteil der Fall. Die Big Player – Spanien, Deutschland, Frankreich, selbst England und Italien – sind spielerisch immer noch weit besser als der Rest. Das „Problem“ ist nur: Im taktischen und athletischen Bereich existieren diese Unterschiede nicht mehr.

Deshalb können die „Kleinen“, die allesamt viel Geld für professionelle Strukturen ausgeben (Island: Trainingshallen, die ganzjährig Kälte und Regen trotzen), ganz gut dagegenhalten. Oft hässlich, aber erfolgreich. Und einige werden es mit diesem Konzept sogar in die K.-o.-Runde schaffen. Dann müssen sie aber die Bühne freigeben.

Die üblichen Topkandidaten haben ja überhaupt gar keine Chance mehr, unverhofft früh in den Sommerurlaub zu fahren. Gleich drei Teams aus einer Gruppe winkt das Weiterkommen. Also begnügen sich die nominell besser Besetzten damit, die Vorrunde zu überstehen. Egal wie. Hauptsache nicht auskontern lassen wie blutjunge Anfänger. Wer 1:0 führt, wird nicht auf Teufel komm raus nachlegen wollen.

Effizienz ist gefragt, kein Spektakel. Die Topteams sind noch längst nicht an ihrer Leistungsgrenze angelangt. Weshalb auch die Kleinen den gleichwertigen Sparringspartner mimen dürfen – noch. David Joram

Contra: Es gibt nur noch große Ligen, keine großen Nationen

Nun sind ja schon 24 der 55 Mitgliedsverbände der Uefa bei der EM dabei. Und doch tut sich kein Gefälle auf. Kantersiege bleiben aus, und fußballerisch angeblich unwichtige Nationen wie Island oder Albanien werden plötzlich zu, naja: sehr geheim gehandelten Favoriten.

Und nicht nur die Niederlande werden bei diesem Turnier nicht vermisst, auch das Fehlen anderer Europameister der jüngeren Fußballhistorie, Griechenland oder Dänemark, fällt nicht auf. Stattdessen werden Österreich und Belgien als Große gehandelt, denn spielerisch fallen sie nicht ab gegen jene, die doch als Großmächte gelten: Spanien, Deutschland, Italien, vielleicht noch England und Frankreich.

Fußball in Europa, das sind große Ligen, nicht Nationen: Die Premier League, die Serie A, die Primera División, die Ligue 1 und die Bundesliga. Aber die versammeln eben nicht mehr die je besten Spieler einer Nation, sondern die großen Klubs dort bedienen sich auf dem globalen Spielermarkt. Ein Spieler wie Cristiano Ronaldo ist im Fußball das, was Sandra Bullock im Film und Katy Perry in der Musik sind: eine internationale Spitzenkraft.

Doch bei der EM soll die Weltmarke CR7 plötzlich regionale Produkte nach oben bringen. Ronaldo ist dort zwar nicht der Einzige, der bei einem Topkonzern der Kickerbranche sein Geld verdient, aber die portugiesische Verbandsauswahl ist eben nicht das, was Ronaldos Arbeitgeber ist: Real Madrid, ein Verein also, der nicht auf Pass und Staatsbürgerschaft schauen muss, wenn er einen Spieler verpflichten möchte, der zu Ronaldo kongenial passt.

Kein Team repräsentiert die Stärke der Liga

Die Nation ist in der globalisierten Ordnung unwichtig geworden; die Nationalmannschaft auch. Der bessere Fußball wird in den großen und kapitalstarken Ligen gekickt – und vor allem in der Champions League. Für die EM heißt das: Natürlich sind einige Vertreter des weltbesten Fußballs hier versammelt, selbstverständlich lebt dieses Turnier von Cristiano Ronaldo und Zlatan Ibrahimovic und meinetwegen auch von David Alaba und Thomas Müller. Doch keines von deren Teams repräsentiert die Stärke der Liga.

Das gilt nicht mal für das englische Team, das sich aus der Premier League rekrutiert. Die Stärke dieser Liga drückt sich in den dort kickenden Weltstars aus, von denen einige auch einen britischen Pass haben. Und sie verdankt sich ihrer ökonomischen Potenz, die wiederum von internationalen Geldgebern und von einem sehr lukrativen Fernsehvertrag kommt. Nationalmannschaften, die sich mit Weltstars wie Ibrahimovic oder Rooney schmücken, werden aber nicht vom Markt zusammengestellt, sondern vom nationalen Fußballverband.

Fans, die immer noch nicht sehen, dass das in der Epoche der Nationalstaaten mal wichtige Turnier jetzt unwichtig geworden ist, müssen auf das Jahr 2020 vertröstet werden. Dann wird die Zahl von 24 Teams auf 13 europäische Städte verteilt: von Amsterdam bis Sankt Petersburg. Dann ist nichts mehr mit nationaler Selbstpräsentation, die doch angeblich nicht nur dem EM-Gastgeber Frankreich, sondern auch den künftigen WM-Ausrichtern Russland und Katar nachgesagt wird.

Die großen Fußballnationen gibt es nicht mehr. Und die Uefa, die ihr Turnier in der Konkurrenz zur Champions League unbedingt lukrativ halten will, wird sich auch umgucken müssen. Irgendwann sehen es auch die Besitzer von Plastikfähnchen an Kraftfahrzeugen ein. Martin Krauss

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David Joram
Volontär
Martin Krauss
Jahrgang 1964, Mitarbeiter des taz-Sports schon seit 1989, beschäftigt sich vor allem mit Fußball, Boxen, Sportpolitik, -soziologie und -geschichte
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4 Kommentare

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  • Bei internationalen Wettkämpfen der Auswahlmann(frau)schaften könnte man sachlich richtig von "Leistungsschauen" der diversen Football Associations sprechen - man könnte also wie immer richtig sagen, dass man derzeit mal wieder eine DFB-Auswahl der "Männer" bei ihrem Werk betrachtet (jenseits U-irgendwas). Wenn man auf der Suche nach dem richtigstmöglichen Support-Fähnchen ist, dann könnte man dementsprechend mit Stoffen wedeln, auf denen ein "DFB"-Logo mit diversen Nebensymbolen aufgeflockt ist (derzeit fünf Sterne inklusive dem von Mercedes). Das wäre zwar "sachrichtig", weil der DFB immer noch zu seinem großen Ärger und Unverständnis ungleich "D" ist, aber es ist gleichzeitig total falsch: das der DFB sich so wichtig und toll finden darf liegt daran, dass "wir", die Bewohner von D, der Kickerei mit großer Liebe und Anteilnahme beiwohnen - in enorm vielen Fällen von der sprichwörtlichen Wiege bis zum ebenso sprichwörtlichen Gegenstück. Deshalb ist das D in DFB auch berechtigt - genauso wie das kürzungsweise Herumwedeln mit den Bundesfarben. Nicht nur, dass sie meiner persönlichen Ansicht nach deutlich schöner sind als das DFB-Logo (was man auch anders sehen kann), das Winken mit diesen Farben macht vor allem deutlich, dass der Fußball nicht Herrn (und bißchen Frau) DFB gehört, sondern rasend vielen echten D-lern. Deshalb ist es *unser* Logo, das "wir" da gerne und mit Recht schwenken, nicht dasjenige der Frankfurter Zentrale (der ich persönlich durchaus und ganz unromantisch im Ganzen gute Arbeit attestiere).

  • Es ist ein wenig wie mit der Weltwirtschaft: Die "Großen" sind immer noch relativ gesehen die Größten, aber ihr Vorsprung vor der Konkurrenz ist nicht mehr so eklatant, und sie sind für vergleichsweise "kleine" Nationen durchaus schlagbar. Oder, um es mit Hans-Hubert Vogts zu sagen, "Die Breite an der Spitze ist dichter geworden."

     

    Für eine EM-Vorrunde bedeutet das natürlich auch, dass es kaum noch Spaziergänge gibt und die Spiele auch nicht so aussehen. Es sei übrigens erwähnt, dass selbst das glanzvolle 7:1 gegen Brasilien zwar schön anzusehen, aber KEINE Demonstration locker-leichter Überlegenheit war sondern eine brutale Übung in Effizienz und Demoralisierung.

     

    Das Zusammenrücken zwischen Spitze und Verfolgern ist aber auch nicht nur ein Resultat reicher Ligen mit international zusammengesetzten Starkontingenten sondern auch der Vereinheitlichung der Trainingsstandards. Es ist ja auch nicht so, als wären die "Großen" des Vereinsfußballs so viel dominanter, als das bei den Nationen der Fall ist. Auch hier gibt es immer wieder Emporkömmlinge, die mit einem nicht so glamourösen Kader und einer nicht so übervollen Vereinskasse in den Ligen und zumindest den ersten Runden der europäischen Wettbewerbe ganz schöne Stolpersteine darstellen.

  • Ja - das - waren noch Höschen;)

  • warum sollte das turnier heutzutage unwichtig sein?

    wenn es keine dominanz der großen fußballnationen mehr gibt, dann wird das turnier doch umso spannender!

    billiger veruch gegen nationalstaaten anzukämpfen.