ELN-Rebellen in Kolumbien: Corona schafft Waffenstillstand
Die verbliebene Guerilla ELN verkündet wegen Corona einen Waffenstillstand. Besonders gefährdet durch die Pandemie sind Vertriebene.
![Mitglieder der kolumbianischen Rebbellengruppe ELN sitzen vor einem Haus. Mitglieder der kolumbianischen Rebbellengruppe ELN sitzen vor einem Haus.](https://taz.de/picture/4065237/14/waffenstillstand-corona-kolumbien-rebellen-eln-1.jpeg)
Gleichzeitig kritisierte die ELN die Maßnahmen der Regierung gegen die Ausbreitung der Pandemie: Quarantänen bedeuteten für den informellen Sektor, also etwa 60 Prozent der Arbeiter*innen, ein tödliches Dilemma: „zu Hause bleiben, damit sie sich nicht anstecken, doch wenn sie nicht arbeiten gehen, verhungern sie“.
Die Rebellengruppe forderte unter anderem ein Ende der humanitären Krise in den Gefängnissen, Gratis-Tests und -Hygienematerial gegen die Ausbreitung der Pandemie, staatliche Gesundheitsversorgung für alle und einen Sonderfonds, um arme Familien in Zeiten der Coronakrise zu unterstützen. Die Finanzbranche, Großindustriellen und multinationalen Firmen sollten diese finanzieren. Und sie forderte die Regierung auf, sich mit der ELN-Delegation in Havanna zu erneuten Friedensgespräche zu treffen. Präsident Duque hatte diese nach dem Attentat auf eine Polizei-Schule in Bogotá im Januar 2019 abgebrochen.
Die Friedenskommission des kolumbianischen Senats forderte am Montag alle anderen bewaffneten Gruppen auf, sich dem Waffenstillstand anzuschließen – Farc-Dissidenten, Paramilitärs, kriminelle Banden und andere. Damit sich die Sicherheitskräfte auf die Prävention des Coronavirus konzentrieren könnten.
Vertriebene besonders gefährdet durch Corona
Auch das medizinische Personal müsse sich problemlos im Land bewegen können: „Das ganze Land muss sich jetzt im Kampf gegen diese Gefahr vereinigen. Das Virus ist unser gemeinsamer Feind, hören wir auf, uns gegenseitig zu töten.“ Wenn andere dem Beispiel der ELN folgten, könnten diese Gesten des Friedens einen fruchtbaren Boden für die Schaffung eines vollständigen Friedens bereiten.
Mehrere Sozialorganisationen sowie die Indigenen-Organisation ONIC hatten angeprangert, dass bewaffnete Gruppen die Quarantäne ausnutzten, um verstärkt soziale Führungspersönlichkeiten wie Menschenrechtsaktivisten in ihren Häusern zu ermorden.
Wie wichtig der Waffenstillstand zur Eindämmung der Coronavirus-Epidemie ist, zeigt auch die Region Chocó. Im Gemeindegebiet von Alto Baudó wurden im März etwa 2.000 Afrokolumbianer*innen und Indigene aus ihren Dörfen vertrieben. ELN-Guerilla und Golfclan kämpfen dort um die Kokain-Routen zum Pazifik.
Die Vertriebenen hausen nun in einer Sportanlage in einem Ortsteil, der selbst nur etwa 1.600 Einwohner*innen hat. „Wenn das Coronavirus kommt, ist es aus mit uns“, sagte Ulises Palacios, Bürgermeister von Alto Baudó, der Zeitschrift Semana Rural.
Der Chocó gehört zu den ärmsten Regionen Kolumbiens. 80 Prozent der Bevölkerung haben nur sporadisch Wasser. An das obligatorische Händewaschen, um Ansteckung zu vermeiden, ist nicht zu denken. Auf 100.000 Einwohner*innen kommen 1,6 Krankenhausbetten. Es gibt nur wenig medizinisches Personal, das sich entscheiden muss, ob es die von den Kämpfen Vertriebenen versorgt oder sich auf die Versorgung von Coronovirus-Patient*innen konzentriert.
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