piwik no script img

E-Roller als StolperfallenHindernisse der Mobilitätspolitik

E-Roller sind ein Ärgernis für GehwegnutzerInnen. Der Senat bekommt das Problem bisher nicht in den Griff – auch zum Ärger der Bezirke.

Wild abgestellte Leihroller am Berliner Hauptbahnhof Foto: Jürgen Ritter / imago

BERLIN taz | Tausende von Miet-E-Scootern stehen und liegen an und auf Berlins Gehwegen. Für viele FußgängerInnen, gerade solche mit Behinderung, sind sie ein Ärgernis, für die Verkehrswende sind sie fragwürdig – und für das Land eine ungelöste Aufgabe. Die Verkehrsverwaltung arbeitet seit geraumer Zeit an Lösungen, größere Veränderungen wird es aber erst ab 2023 geben.

Vor Kurzem ließ das Haus von Bettina Jarasch (Grüne) wissen, dass mit dem Inkrafttreten des novellierten Berliner Straßengesetzes am 1. September die „Sharing Mobility“ neu organisiert werde: Es gebe für sie dann „klare Regelungen“. Im Falle der E-Scooter, die im Alltag mit Abstand die meisten Probleme machen, bedeutet das, dass sie nur noch auf speziell ausgewiesenen Abstellflächen am Straßenrand zurückgegeben werden können. In deren Umfeld müssen die Anbieter dann das Abstellen technisch verhindern.

Letzteres ist durchaus lösbar: Die Roller werden ständig exakt geortet, schon jetzt gibt es Bereiche wie Grünanlagen, wo die App den NutzerInnen eine Rückgabe des Fahrzeugs verwehrt. Mit der Novelle des Straßengesetzes wird das Abstellen von Sharing-Fahrzeugen zur Sondernutzung öffentlichen Straßenlands, wobei Gebühren, aber eben auch räumliche Auflagen fällig werden können.

Der Anbieter TIER plant nach eigenen Angaben schon Abstell-Tabuzonen in einem Radius von „100 bis 150 Metern um die Parkflächen herum“. Man arbeite auch an einer höheren Genauigkeit bei der Positionsbestimmung der Fahrzeuge, sagte eine Sprecherin der taz.

Rückgabeorte eingeschränkt

Klingt erst mal gut – allerdings mahlen die Mühlen in Berlin alles andere als schnell: Wie die Senatsverwaltung der taz bestätigte, wird derzeit noch am Neuentwurf der sogenannten Sondernutzungsgebührenverordnung gearbeitet, die die Verbotsradien für die Rückgabe von Scootern enthalten wird. Man entwickle die neue Fassung „im breiten Dialog“ mit den Sharing-Anbietern. In Kraft treten soll sie aber erst zum kommenden Jahreswechsel.

Die Voraussetzungen dafür, dass ab dem 1. Januar das Rollerchaos endet, müssen im Übrigen die Bezirke schaffen: Ihre Straßen- und Grünflächenämter müssen die konkreten Abstellflächen festlegen. Wie die Verkehrsstadträtin von Mitte, Almut Neumann (Grüne), der taz sagte, gibt es in ihrem Bezirk bereits 25 solcher Flächen auf ehemaligen Kfz-Parkplätzen, 8 weitere seien in Vorbereitung. Damit das neue Konzept funktioniere, werde aber das Zehnfache benötigt.

Bis das flächendeckend ausgerollt ist, wird also noch einige Zeit vergehen. So lange hat Neumann noch ein anderes Problem, das sie „total nervt“: E-Scooter, die auf Gehwegen herumliegen und PassantInnen gefährden, werden vom Ordnungsamt immer wieder „händisch umgesetzt“. Ein Job, den die Stadträtin den Anbietern in Rechnung stellen möchte – aber den entsprechenden Gebührentatbestand gibt es noch nicht.

Denn dazu muss erst eine weitere Rechtsnorm angepasst werden: die Polizeibenutzungsgebührenordnung. Das ist Sache der Innenverwaltung, „aber die sieht das Problem nicht so dringlich wie wir“, so Neumann. „Wir brauchen das so schnell wie möglich, wir leisten schließlich jetzt einen Dienst, der von der Allgemeinheit bezahlt wird.“

Für Roland Stimpel, Vorstand des FUSS e. V,. ist all das höchst ärgerlich. Seiner Lesart nach hätte der Senat spätestens mit Inkrafttreten der Straßengesetz-Novelle am 1. September eine rechtliche Grundlage dafür, das E-Scooter-Sharing vorerst komplett zu verbieten. Denn Sondernutzungen von Straßen sollen laut dem Gesetz dann versagt werden, wenn behinderte Menschen durch sie erheblich beeinträchtigt werden. Dass das so ist, daran gibt es für den Fußverkehrslobbyisten keinen Zweifel.

Anti-Roller-Bündnis

Der FUSS e. V. hat sich mittlerweile mit anderen Organisationen wie dem Allgemeinen Blinden- und Sehbehindertenverband und dem Landesseniorenbeirat zu einer Art Anti-Roller-Bündnis zusammengeschlossen. Behindertenverbände können gegen Verwaltungshandeln klagen – und behalten sich das ausdrücklich vor. Ein vorläufiges Totalverbot der Roller halten sie auch deshalb für verhältnismäßig, weil deren Mobilitätsbeitrag „selbst bei Anrechnung der vielen Spaßfahrten im Promillebereich aller Wege liegt“.

Diese Skepsis ist begründet: Das Umweltbundesamt (UBA) hat Ende 2021 mehrere Studien zur Sharing Mobility ausgewertet. Dabei verweist es unter anderem auf eine Untersuchung in Berlin und Dresden, laut der nur 5,5 Prozent der E-Scooter-Fahrten – nach Einschätzung der NutzerInnen selbst – eine Autofahrt ersetzten. Alle anderen hätten sonst den ÖPNV, das Fahrrad oder die eigenen Füße benutzt. Knapp ein Drittel der Befragten gab darüber hinaus an, sie hätten die Fahrt gar nicht unternommen, wenn der E-Scooter nicht herumgestanden hätte.

Nachhaltig ist das nicht, zumal wenn man die Produktion der Roller ebenso in Betracht zieht wie die Autofahrten, mit denen die sie oder ihre Batterien zum Aufladen herumkutschiert werden. Darum kommt das UBA zu einem eindeutigen Fazit: „Als Leihfahrzeug in Innenstädten, wo ÖPNV-Netze gut ausgebaut und die kurzen Wege gut per Fuß und Fahrrad zurückzulegen sind, bringen die Roller eher Nachteile für die Umwelt“, heißt es dort, „und drohen als zusätzlicher Nutzer der bereits unzureichend ausgebauten Infrastruktur das Zufußgehen und Fahrradfahren unattraktiver zu machen.“

Roland Stimpel formuliert es so: „Die Senatorin hat offenbar noch nicht verstanden, dass sie die Interessen einer kleiner Minderheit über die von Schwächeren stellt.“ Noch will er ihr zugestehen, dass es sich bei der geltenden Rechtslage um eine politische Altlast handelt, aber „jeder E-Scooter, der ab September im Weg herumliegt, ist einer von Frau Jarasch“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • Bin eingefleischte Radfahrerin und insofern auch kein großer Fan von den Dingern. Finde aber schade, wie "alles, was nicht Auto ist" sich hier wieder um Krümmel streiten muss und das systemische Problem (Vorherrschaft des Autos in Deutschland) nicht thematisiert wird. Grundsätzlich können die Dinger Mobilität nicht nur behindern, sondern sie auch für Menschen ermöglichen, die lange Strecken nicht gehen könnten, gerade in Großstädten können wirklich nützlich sein. Sie könnten auch ergänzt werden, durch Modelle, auf denen man sitzen kann (für mehr Stabilität bspw. im Alter). E-Roller sind nicht per se "nervig" oder "gefährlich" und sie bedeuten auch nicht per se eine Einschränkung für den Fußverkehr. Natürlich muss eine klare Rechtslage her und dass die Dinger überall im Weg rumliegen, ist definitiv ein Problem. Der Titel ist m.E. dennoch irreführend.

  • @CUBALIBRE

    Stellen Sie sich der nächsten Senatswahl. Ich freu' mich schon drauf ;-o

  • Ich erinnere mich, dass dieser schädliche Quatsch auch von TAZ Redakteuren (z.B. Feddersen) offensiv beworben wurde. Schämt euch.



    taz.de/E-Roller-in...staedten/!5603506/

  • "Der Senat bekommt das Problem bisher nicht in den Griff "

    Was bekommt dieser Senat denn in den Griff?



    Gestern am U-Bhf Oskar-Helene-Heim.



    Hier hat der grüne Senat malen lassen, d.h. eine neue Busspur auf der Clayallee. Das passiert ohne Vorwanrung. Plötzlich ist die Hauptverkehrsstraße einspurig. Wer da nicht höllisch aufpasst rasselt mit anderen Fahrzeugen zusammen.



    Dümmer geht´s kaum.



    Womit haben wir es verdient, von solchen Schwachmaten regiert zu werden?



    In der Kantstraße in Charlottenburg sieht es nicht besser aus.



    Können diese Typen machen was sie wollen?

    Wenn sie wengistens die Radwege reparieren würden!

    • @Cubalibre:

      Autofahrer brauchen „Vorwarnungen“ für sich ändernde Verkehrssituationen? Oha, ist ja schlimmer, als ich dachte. Also, dann bitte i m m e r „höllisch“ aufpassen, soll vorkommen, dass andere bewegliche Verkehrsteilnehmer unterwegs sind. Noch besser wär‘s auf den Bus umzusteigen, da passt ein Profi für sie auf, ist für die Gäste sowas wie lange erprobtes und bewährtes autonomes Fahren.