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Dystopisches Theater in FrankfurtDer Hang, der zu rutschen droht

Zum Spielzeitauftakt hat das Schauspiel Frankfurt zwei Stücke in Auftrag gegeben. Es geht um Dystopien der Gegenwart – ewiges Leben und Zeitenwenden.

Eigenartiges Tableau des Untergangs: Nina Wolf vorne in „So langsam, so leise“ Foto: Jessica Schäfer

Mit zwei Uraufführungen, die von unserer Gegenwart erzählen, startet das Schauspiel Frankfurt in die neue Saison. Zwei Männer, Ferdinand Schmalz und Björn SC Deigner, wurden beauftragt, Stücke zu schreiben, an zwei aufeinanderfolgenden Abenden kamen sie nun zur Aufführung. Was soll man sagen? Es steht nicht gut um uns!

Der Österreicher Schmalz führt uns in eine seltsame Klinik am See, das „Sanatorium zur Gänsehaut“, wo man sich das Leben von der Haut spritzen lassen kann und auch sonst alles tut, was zu vermeintlicher Schönheit und Langlebigkeit führt. Ein unheimlicher Ort, an dem Dr. Klotz (Wolfram Koch) mit Nacktmullen experimentiert, eine Beautyinfluencerin (Anabel Möbius) sich die Haut blutig peelt und eine Pharmatante namens Hannelore Krautwurm-Bouillon Diätpillen unters Volk mischt.

Ein kleiner Horrorladen, und Schmalz apostrophiert das Ganze auch als Grusical. Dafür hat er sich einige Lieder ausgedacht, die Carolina Bigge als Schlagerparade anrichtet. Regisseur Jan Bosse wiederum übergeht die Regieanweisung, dem Publikum Gänsehaut beizubringen, und setzt auf bunte Unterhaltung. Moritz Müller hat ihm dafür eine flauschige Insel in eine Wasserlandschaft gesetzt, ein Rondell der Eitelkeiten, in das sich die investigative Journalistin Lio Laksch (Lotte Schubert) wie in einem Höllenschlund verirrt. Statt um Panama Papers geht es hier um Beauty Papers.

Kontrolle über den eigenen Körper

Das loriotartig arrangierte Personal des Stücks täuscht nicht über den ernsten Kern hinweg, zielt der ganze Schönheitswahn doch auf die Verfallserscheinungen einer Welt, in der Autokraten und Techmilliardäre sich für Longevity­konzepte begeistern und viele, die über vermeintlichen politischen Kontrollverlust klagen, sich kräftig abmühen, wenigstens Kontrolle über den eigenen Körper zu erlangen.

Das alles wäre freilich nichts ohne das bestens gelaunt aufspielende Ensemble, von Kathrin Plath in herrlich aberwitzige Kostüme und knatschenge Anzüge gesteckt. Melanie Straub als fettfreie Emma Tiefenbach und ihr Diener Anton (Christoph Pütthoff) führen das farbenfrohe Sanatorium an.

Doch so unterhaltsam das klingt, es zieht sich, mehr als zwei Stunden plätschert die Inszenierung vor sich hin, immer wieder von hinreißenden Nummern unterbrochen, in denen etwa Torsten Flassig als Opernsänger ohne Stimme bäuchlings in den Pool platscht oder die unnachahmliche Anna Kubin als Privilegienkönigin vollmundig „I Deserve It“ singt.

Sie ist es auch, die den schönen Satz: „Ich würde mein Leben geben, um ewig zu leben“, herausknödeln darf. Solche fein gemeinen Pointen hält der Text einige bereit, doch Jan Bosse setzt dem inszenatorisch wenig hinzu. Es reicht einfach nicht, die Figuren im Lotussitz alleine zu lassen, um heutige Achtsamkeitsrituale aufs Korn zu nehmen. Man hätte sich das Ganze um einiges schräger oder angesichts des schrägen Textes auch viel ernsthafter vorstellen können, doch der Abend verharrt in stabiler Mittellage.

Expressionistisch angeschrägte Bühne

Auch im Falle von Björn SC Deigners „So langsam, so leise“ hat man den Eindruck, dass da womöglich mehr drin gewesen wäre. Dabei sind Deigner und Regisseurin Luise Voigt ein eingespieltes Team, mit „Die Gewehre der Frau Carrar/Würgendes Blei“ waren sie in diesem Jahr zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Dort sprachen Gegenstände, diesmal schalten sich Hund und Regen ein. Im Mittelpunkt stehen ein demenzkranker Vater (Matthias Redlhammer) und seine auf Besuch bei ihm wohnende Tochter (Amelle Schwerk).

Die Bühne ist expressionistisch angeschrägt (Maria Strauch), Moos überzieht die Wände, draußen plärrt der Regen, und dieser eröffnet den Abend auch in Gestalt von Nina Wolf, die eine Wolke mit Regenschnüren performt, eine schöne Idee, doch die Ausführung gerät langatmig.

Wolf bleibt zappelnd präsent, kommentiert das Geschehen, spricht Regieanweisungen und innere Monologe der Figuren und vollführt dazu eine Art Gebärdensprache und allerlei akrobatische Körperverdrehungen: ein Fremdkörper, der den Realismus der Geschichte bricht, ein Verfremdungseffekt wie der später auftauchende Hund, ein zotteliges Etwas, den Max Levy mit augenrollendem Grimassenspiel tanzt.

Das Ende naht

Interessanter das Verhältnis von Vater und Tochter: er ein dem Wissenschaftler Harald Haarman nachempfundener Mann, der sich mit einer frühen Hochkultur, der sogenannten Donauzivilisation, beschäftigt. Immer wieder sprechen Vater und Tochter von einem Hang, der zu rutschen droht. Das Ende naht, Klimawandel, Zeitenwende. Voigt nimmt sich dafür viel Zeit, belässt vieles im Halbdunkel und verhindert wie Jan Bosse nicht, dass die Minuten zäh fließen.

Die verhandelten Verlust­erfahrungen fügen sich trotzdem zu einem eigenartigen Tableau des Untergangs. Das Schönste geschieht, als Vater und Tochter am Tisch sitzen und nicht mit ihren eigenen Stimmen, sondern mit Kinderstimmen aus dem Off sprechen: sie, weil sie nicht aus ihrem Kinderdasein herausfindet, er, weil er sich zum Kind zurückentwickelt. Ein zauberhaft gespenstischer Moment.

Dass Deigner und Voigt ebenfalls mit Hörspielen Erfolge feiern, hört man auch ihrem neuen Abend an. Ein Projektor für Super-8-Filme rattert Bilder auf die rückwärtige Wand. Allein das Geräusch zu hören, gleicht einer Zeitreise. Dabei funktioniert das Stück wie ein Requiem, ein Abgesang auf eine Zeit und auf ein Leben und vielleicht auch auf unsere Welt. Da wünscht man sich am Ende fast einen der schnipsenden Schlager vom Vorabend herbei. Wenn schon Untergang, dann mit Schwung.

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