Druck auf linkes Biotop: Pfefferspray im Wohnzimmer
In der Hamburger Hafenstraße häufen sich gewaltsame Polizeikontrollen. Zuletzt stürmten die BeamtInnen eine Privatwohnung und verletzten eine dort lebende Frau.
HAMBURG taz | Die BewohnerInnen sprechen von einer Eskalation der Polizeigewalt: Zum zweiten Mal innerhalb von einem Monat ist die Polizei in Privaträume in der Hamburger Hafenstraße eingedrungen – ein Vorgehen, das seit der dortigen Besetzung in den 80er-Jahren als Tabu galt. Am Dienstag dieser Woche drangen gegen 15.45 Uhr mehrere BeamtInnen in den Garten eines Wohnhauses ein und stürmten von dort aus auch eine Privatwohnung. Anlass war offenbar, dass sich dort eine des Drogenhandels verdächtigte Person aufgehalten habe.
Die betroffene Anwohnerin schildert den Vorfall so: „Der junge Mann bat mich um einen Tee. Er wollte sich keinen Tee kaufen gehen, weil sehr viel Polizei unterwegs war und er fürchtete, kontrolliert und festgehalten zu werden.“ Während der Mann sich also in ihrer Küche einen Tee gekocht habe, hätten mehrere PolizistInnen draußen vor dem Zaun zum Garten einen Schwarzen ergriffen, ihm Handschellen anlegten und ihn mit dem Gesicht gegen einen Baum drückten. Einige BeamtInnen hätten diesen Gefangenen abgeführt, weitere seien am Ort des Geschehens geblieben.
„Ich habe mich gewundert, was die jetzt noch wollen“, erzählt die Anwohnerin, „da rannten plötzlich drei Beamten an mir vorbei in meine Wohnung. Ich stellte mich entgeistert in die Tür, da rannten sich mich einfach um.“ Als die Überrumpelte sich vom Boden aufgerappelt hatte, stellte sie sich erneut in die Tür und klammerte sich am Türrahmen fest. Ein Polizist habe dann gewaltsam ihre Finger vom Türrahmen entfernt. Alarmierte AnwohnerInnen seien in den Garten und in die Wohnung gekommen, um um ihrer Nachbarin zu helfen. Drinnen überwältigten die PolizistInnen derweil den angeblich dealenden Teetrinker – und sollen dabei auch Pfefferspray eingesetzt haben. Zur Erinnerung: in einem privaten Wohnzimmer.
„Ich war geschockt angesichts der Aggressivität und der Gewalt“, berichtet eine Nachbarin. Die überrannte Bewohnerin erlitt Prellungen und Abschürfungen an Knien und Ellenbogen. Auf die Frage, wer der Polizei-Einsatzleiter sei, hätten die BewohnerInnen zunächst keine Antwort erhalten. „Man wird überhaupt nicht ernst genommen“, beschwerte sich eine Bewohnerin. Auch die hinzugerufene Rechtsanwältin Nina Kromm musste mehrfach nachfragen, bis sie den Namen des Einsatzleiters genannt bekam.
Racial Profiling, also jemanden aufgrund von äußeren Merkmalen zu kontrollieren, ist in Deutschland verboten.
Auf St. Pauli werden regelmäßig Schwarze auf ihre Papiere überprüft und auf Betäubungsmittel gefilzt.
Nach Polizeischätzungen halten sich permanent bis zu 25 Personen in dem Gebiet der Hafenstraße auf, die der Betäubungsmittel-Szene zugerechnet werden.
Viele AnwohnerInnen stören sich eher an den häufigen Polizeieinsätzen vor ihrer Haustür und auf ihren privaten Grundstücken.
Sie suchen den Dialog mit den geflüchteten Afrikanern und sprechen von einem permanenten Belagerungszustand durch die Polizei und von einer regelrechten Menschenjagd.
Die verletzte Bewohnerin wollte zunächst Anzeige gegen die BeamtInnen erstatten. Daraufhin habe ein Polizist erwidert, dann werde die Polizei ebenfalls Anzeige gegen sie erstatten – wegen Gefangenenbefreiung. Kromm hat Widerspruch gegen das Vorgehen der Polizei eingelegt.
Wie ein Polizeisprecher bestätigt, laufen dort nun interne Ermittlungen. Deshalb wollten sich am Donnerstag weder die Polizei noch die Hamburger Innenbehörde sich zu dem Vorfall äußern – jede Auskunft könnte ja die Ermittlungen behindern. Immerhin: Dass es den Einsatz am Mittwoch gab, bestätigt die Polizei. Dabei habe es eine Festnahme gegeben und es sei Widerstand geleistet worden.
Anfang Februar bereits hatten mehrere PolizistInnen den privaten Garten eines Hauses betreten und waren anschließend in die Räume der „Hafenvokü“ eingedrungen, einem zentraler Treffpunkt, Wohnzimmer und Veranstaltungsort der ehemals besetzten Häuser in der Hafenstraße. Unter Protest der Anwesenden waren sie durch die Räume gegangen und hatten die Personalien der angetroffenen Schwarzen aufgenommen.
Die Polizei begründet den damaligen Fall mit „Gefahrenabwehr“: PolizistInnen hätten Schreie aus der Vokü gehört und prüfen wollen, ob jemand verletzt sei. Die AnwohnerInnen halten das für einen Vorwand und sprechen von einer „Militarisierung des Stadtteils“: Hetzjagden auf vermeintliche Dealer seien an der Tagesordnung. Von solchen Kontrollen Betroffene selbst berichteten zudem, dass ihnen dabei jedes Mal alles Geld abgenommen werde – und manchmal das Handy.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Täter von Magdeburg
Schon lange polizeibekannt
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen