Druck auf kinderlose Frauen: Die ideologische Uhr
Karriere, Familie, Biologie – die Entscheidung, ob und wann eine Frau Mutter wird, ist knifflig. Die Debatten darüber stigmatisieren, statt aufzuklären.
Mit 15 dachte ich: In zehn Jahren möchte ich mein erstes Kind bekommen. Jetzt bin ich 25 und denke noch dasselbe: Ich warte noch zehn Jahre. Während die einen mir zustimmen und sagen, ich sollte mich erst einmal auf meine berufliche Zukunft konzentrieren, halten andere dagegen: Ein Kind in den 30ern zu bekommen sei egoistisch und gefährlich. Die gesellschaftlichen Erwartungen an junge Frauen widersprechen sich. Kürzlich erschien in der Süddeutschen Zeitung ein Artikel von Felicitas Kock über Schwangerschaft mit 40. Sie schrieb, Frauen setzten sich zu wenig mit der Endlichkeit ihrer eigenen Fruchtbarkeit auseinander. Und ich frage mich: Was mischt ihr euch da eigentlich alle ein?
Prominente erwecken den Eindruck, es sei keine Schwierigkeit, mit über 40 schwanger zu werden: Celine Dion bekam mit 41 ihr erstes Kind, Halle Berry wurde mit 46 noch einmal schwanger. Die Liste ließe sich ohne Probleme weiterführen. Auch in Deutschland bekommen Frauen immer später Kinder – seit Jahrzehnten. Zum Vergleich: 2005 lag das Durchschnittsalter deutscher Frauen bei der ersten Geburt noch bei 29 Jahren, 2015 schon bei 31. Jede zehnte Frau ist heute bei der ersten Schwangerschaft über 38 Jahre alt.
In meinem Freundeskreis wollen (fast) alle Kinder haben. Doch genauso wollen sie durch Südamerika reisen, ihre sexuelle Freiheit genießen, promovieren oder erst einmal einen Job finden, der Spaß macht und die Miete zahlt. Das Thema Kinder wird nach hinten verschoben. Doch so einfach ist es nicht. Die Fertilität einer Frau nimmt schon mit Mitte 20 ab.
Die Chance auf eine Befruchtung pro Zyklus liegt zu diesem Zeitpunkt bei 25 Prozent. Mit Mitte 30 dann bei 13 Prozent. Ab 40 liegt die Fertilität noch bei 5 Prozent. Reproduktionsmedizin hilft Menschen mit Kinderwunsch, die Chancen zu erhöhen: Künstliche Befruchtung, wie In-vitro-Fertilisation, oder auch Social-Freezing, bei dem unbefruchtete Eizellen eingefroren werden, erhöhen die Möglichkeit einer Schwangerschaft im höheren Alter – jedoch auch nur bedingt.
Viele schätzen ihre Fruchtbarkeit zu hoch ein
Es ist bekannt, dass es gerade für Frauen im zunehmenden Alter nicht unbedingt leicht ist, ein Kind zu bekommen. Doch wie viel schwieriger es ist, das ist vielen nicht klar. Im Auftrag des Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend erstellte das Delta-Institut eine Studie zu kinderlosen Frauen und Männern. Die Ergebnisse zeigen, dass Frauen ihre eigene Fertilität deutlich höher einstufen, als sie tatsächlich ist. Zudem sind viele nicht ausreichend über die Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin informiert.
Der SZ-Artikel von Felicitas Kock reiht sich ein in die niemals endende Debatte ums Muttersein, die immer wieder durch Buch- und Artikelveröffentlichungen neu ausgelöst wird. Die Autor*innen diskutieren, wie eine gute Mutter zu sein hat. Nach dem SZ-Artikel widmete sich wenig später auch die ARD-Talksendung „Hart aber fair“ dem Thema der späten Mutterschaft. Die Diskussionen unterstreichen die Ergebnisse der Studie: Es fehlt an Aufklärung. Auf der Leinwand und im Fernsehen sehen wir lauter Erwachsene mit Kindern. Wie oft geht es um Abtreibung, um Fehlgeburten, um ungewollte Schwangerschaften? Langsam wagen sich Serien an diese Themen, doch ohne Tabu sind sie noch lange nicht.
Wie wir bisher über Schwangerschaft sprechen, schürt Ängste bei Frauen und baut weiteren Druck auf. Ständig wird ihnen die tickende Uhr vor Augen geführt. Auch ich werde auf Familienfeiern angestupst und gefragt: „Na, wie sieht’s aus?“ Sie interessieren sich nicht für meine Wohnungssuche, sondern: Wann bekommt ihr eigentlich ein Kind? Doch die Frage interessiert nicht nur meine Großeltern. Auch von Gleichaltrigen auf dem Klassentreffen kommen diese Seitenhiebe: „Du und dein Freund, ihr seid jetzt schon so lange zusammen – wann geht es bei euch los?“ Alle scheinen sich auf mein zukünftiges Kind zu freuen, doch ob ich das auch möchte, fragen sie nicht.
Biologisch betrachtet ist die Frage der Zeit der Schwangerschaft eindeutig: Je jünger eine Frau ist, desto einfacher ist es im Durchschnitt für sie, ein Kind zu bekommen. Doch bei der Frage, ob und wann jemand ein Kind bekommen möchte, spielen nicht nur die biologischen Voraussetzungen eine Rolle. Frauen sind ja keine Gebärmaschinen, die bloß dafür da sind, Kinder in die Welt zu setzen. Sich mit Anfang 20 damit auseinanderzusetzen, wie das restliche Leben aussehen soll und ob man Kinder in diese Welt setzen möchte, ist für viele Frauen eine Herausforderung. Und das ist in Ordnung so.
Neoliberalismus und Feminismus überschneiden sich
Durch Prominente und Erzählungen aus den Medien bekommen wir vermittelt, wir könnten noch warten mit dem Kinderkriegen. Wir wollen unsere Freiheiten genießen, die in den Generationen vor uns noch nicht so da waren. Aber diese freie Entscheidungen sind auch nur scheinbar da. Schließlich tönt es von der einen Seite, wir sollen uns lieber Zeit nehmen fürs Studium, Praktika und an der Karriere feilen. Neoliberale Ansichten, bei der die Karriere stets an erster Stelle kommt.
Doch auch aus feministischer Perspektive ist es zu begrüßen, wenn wir uns finanzielle Unabhängigkeit aufbauen. Auf der anderen Seite steht die Erwartung, dass wir uns nicht zu lange damit aufhalten, da es unsere Aufgabe als Frau sei, ein Kind zu bekommen. 48 Prozent der kinderlosen Frauen halten Mutterschaft für ein notwendiges Element für das Frausein, heißt es in der Delta-Studie. Eine Frau, die nicht Mutter wird, hat demnach keine vollständige Geschlechtsidentität.
Es ist nicht die Aufgabe der Gesellschaft, über uns zu bestimmen, wann und wie wir glücklich werden. Sondern unsere eigene.
Ein großes Problem an der aktuellen Debatte um späte Schwangerschaft ist, dass sie kinderlose Frauen stigmatisiert. Viele sehen ein Problem darin, wenn frau ihre Selbstständigkeit auslebt und sich erst später Gedanken um die Kindesplanung macht. Denn dann ist es vielleicht zu spät, heißt es. Ja, und dann? Im Unterton schwingt mit, dass eine Frau im höheren Alter nur unzufrieden sein kann, wenn sie kinderlos ist. Dabei zeigt eine Studie der Universität Princeton, in der fast 3 Millionen Menschen aus 160 Ländern befragt wurden, dass Eltern mit Kindern nicht glücklicher sind als kinderlose Erwachsene.
Das Tabu der Kinderlosigkeit
Vor drei Jahren befragte die israelische Forscherin Orna Donath 23 Frauen für eine Studie: „Wenn Sie in der Zeit zurückreisen könnten – mit all dem Wissen und der Erfahrung von heute –, würden Sie dann noch einmal Mutter werden?“ Dass sie alle mit „Nein“ antworteten, wurde unter dem Stichwort „regretting motherhood“ heftig diskutiert und skandalisiert, auch in Deutschland. Dabei hatten die Frauen gesagt, dass sie ihre Kinder lieben, jedoch in ihrer Rolle als Mutter mehr ein Verlust als einen Gewinn sehen.
Auch heute sind solche Aussagen ein großes Tabu in unserer Gesellschaft. Denn Frauen sollen nicht nur zur richtigen Zeit und im richtigen Alter Mutter werden und dabei erfolgreich und selbstständig sein – sie sollen dann doch bitte auch noch glücklich sein und keinen Grund zur Beschwerde haben. Die Erwartungen, die die Gesellschaft an die Frau als Mutter hat, sind nur schwer zu erfüllen.
Die Delta-Studie zeigt, dass kinderlose Frauen für ihren Lebensstil angeklagt werden. Ihnen wird „sozialschädlicher Egoismus, mangelnde Verantwortungsbereitschaft für ein Kind und die nachfolgende Generation“ vorgeworfen. Doch ist eine kinderlose Frau, die sich beispielsweise gesellschaftspolitisch engagiertet, egoistischer als eine Frau mit Kind?
Warum mischt sich die Gesellschaft da überhaupt ein? Ob ein Kind oder kein Kind und zu welchem Zeitpunkt, sollte eine individuelle Entscheidung sein. In der jetzigen Debatte werden alte Weiblichkeitsvorstellungen fortgeschrieben und Frauen als Gebärmaschinen behandelt. Dabei ist es wichtig, über biologische Fakten aufzuklären, damit Frauen ihre eigenen Entscheidungen treffen können. Doch moralische Wertung ist in der Debatte fehl am Platz. Wir brauchen Konzepte von Weiblichkeit, die über Mutterschaft hinausgehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Pressefreiheit unter Netanjahu
Israels Regierung boykottiert Zeitung „Haaretz“
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid
Twitter-Ersatz Bluesky
Toxic Positivity