Drohnen-Affäre: Er bleibt, und bleibt – und bleibt
Thomas de Maizière geht einfach nicht. Dabei hatte er Menschen wie sich einmal den Rücktritt empfohlen. Kann man das philosophisch verstehen?
Es sei nun eine Entscheidung der Kanzlerin, ob der Verteidigungsminister Thomas de Maizière seinen Posten räume – oder eben nicht. So hat es am Donnerstag der Verteidigungsexperte der SPD, Rainer Arnold, noch einmal ausgedrückt: „Er hat es selber nicht mehr in der Hand, ob er zurücktritt oder bleibt. Das hat die Kanzlerin in der Hand."
Es gäbe durchaus den einen oder anderen Grund, warum de Maizière zurücktreten könnte. In seinem Haus ist durch die missglückte Entwicklung der Drohne Euro Hawk ein Schaden entstanden, der in dreistelliger Millionenhöhe liegen dürfte, womöglich noch höher.
In den vergangenen Wochen, auch in dieser, sind immer wieder Hinweise aufgetaucht, dass de Maizière schon früher als er zwischenzeitlich behauptet hat, von dem desolaten Zustand des Projektes wusste. Die ganze Woche schon tagt der Untersuchungsausschuss des Bundestages, in dem die Opposition ihn auch immer wieder zum Rücktritt auffordert.
Allein: Die politische Stimmung im Land wirkt gerade nicht so, als würde irgendjemand de Maizière ernsthaft davonjagen wollen. Anders als bei Christian Wulff, der wegen Übernachtungen bei Freunden und Bobby Cars von der Bild-Zeitung und Kollegen attackiert wurde. Anders als Theodor zu Guttenberg, den eine Allianz aus peniblen Bloggern und Schuh-Demonstranten aus dem Amt getrieben hatte. Anders auch als bei Annette Schavan, die aus ähnlichen Gründen später gehen musste. Diesmal scheint sich keiner mehr so richtig aufzuregen.
Das Ernste wäre weg
Das Titelgespräch mit dem Philosophen Julian Nida-Rümelin über Thomas de Maizière, Rücktritte und Schattenbeamte lesen Sie in der taz.am wochenende vom 27./28. Juli 2013. Darin außerdem: Das Leben von Carlos Rodolfo d’Elia änderte sich, als er seine vermeintliche Mutter in Handschellen fand - erzählt Erwin Koch. Und: Wie Heckler und Koch in den USA Geschäfte macht. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Warum sollte Merkel also reagieren? Zumal, wenn man mit Peter Dausend in der aktuellen Zeit argumentiert: „De Maizière wird wohl auch deshalb nicht gehen, weil dadurch nicht nur Angela Merkel, die Union und die Siegchancen der beiden bei der Bundestagswahl beschädigt würden, sondern auch, weil die Politik weiter an Ansehen verlöre. Niemand nimmt sie ernst, wenn das Ernste aus ihr verschwindet.“
Wenn stört es da schon groß, dass der Verdacht sehr, sehr nahe liegt, dass de Maizière es mit der Wahrheit in entscheidenden Fragen nicht ganz so ernst genommen hat.
Der Mann, der immer Verantwortung predigte, scheint sich seiner im Augenblick einfach entziehen zu wollen. Er ruft stattdessen in einem Interview selbstbewusst die Erntezeit aus. Er habe ja so viel gesät.
„Jetzt tut er das Gegenteil“
Ist das das Zeichen eines Verfalls der politischen Sitten, wenn der große Verantwortungsprediger sich vor der Verantwortung drückt?
Oder nimmt er sie gerade dadurch wahr, dass er bleibt – für Merkel?
Im Gespräch mit taz-Redakteur Jan Feddersen kritisiert der Philosoph und ehemalige Kulturstaatsminister der SPD Julian Nida-Rümelin den Verteidigungsminister scharf: „Noch vor Kurzem sagte er, in solchen Fällen übernehme man ohne zu zögern die Verantwortung, auch wenn man sich selbst nichts vorzuwerfen habe. Jetzt tut er das Gegenteil.“
Er wolle nicht ausschließen, sagt Nida-Rümelin, mittlerweile Dekan seines Fachbereichs an der Ludwig-Maximilians-Universität München, dass der Minister „in normalen Zeiten längst zurückgetreten wäre.“ Vielleicht sei aber „von ganz oben eine Weisung erfolgt: Sie bleiben im Amt bis zur Wahl. Das will ich nicht ausschließen, das würde vielleicht manche Pirouette in diesem Fall erklären. Gut für die politische Kultur des Landes ist das nicht.“
Nicht nur finanzielle Aspekte
Bei der Drohnen-Affäre gehe es nicht nur um die finanziellen Aspekte, sondern auch um die Frage, ob man die Verantwortung zu töten an technische Systeme delegieren könne. „Ich kann nicht verstehen, wie man Minister werden kann und diese Dinge einfach schleifen lässt, sich monatelang nicht drum kümmert und dann darauf beruft, dass man sich nicht darum gekümmert hat“, sagt Nida-Rümelin in der neuen taz.am wochenende vom 27./28. Juli.
Nida-Rümelin, Mitglied des SPD-Parteivorstands, fordert in der taz.am wochenende eine klare Trennung von politischer und persönlicher Verantwortung und warnt vor einer allzu strengen Auslegung der ersten. „Man könnte das Prinzip politischer Verantwortung tatsächlich auf die Spitze treiben und es damit aushöhlen, nach dem Motto: Jeder Fehler, der in so einem Ministerium gemacht wird, führt automatisch zum Rücktritt eines Ministers. Das kann es jedoch auch nicht sein, das hätte das politische Chaos zur Folge“, sagt er in der taz.am wochenende.
Für den Philosophen ist in Fällen wie dem des Verteidigungsministers die öffentliche Debatte entscheidend. Die müsse möglichst rational geführt werden. Die Tatsache, dass ein Bundespräsident wie Christian Wulff wegen weitaus weniger bedeutender Fragen aus dem Amt getrieben wurde, de Maizière aber – auch wegen der Gesamtstimmung – erst einmal bleiben kann, lässt Nida-Rümelin an der Rationalität dieser Debatte zweifeln.
Hat Nida-Rümelin recht? Oder muss man dem Zeit-Autor zustimmen, dem nach einem Rücktritt de Maizières das Ernste in der Politik fehlen würde?
Ist es sinnvoll auch über die eigene Verantwortung, das eigene Verantwortungsverständnis nachdzudenken, in der eigenen Lebenswelt, wenn man den Verteidigungsminister bewerten möchte? Was meinen Sie?
Das Titelgespräch „Was ist Verantwortung?“ lesen Sie in der taz.am wochenende vom 27./28. Juli 2013.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Berliner Kultur von Kürzungen bedroht
Was wird aus Berlin, wenn der kulturelle Humus vertrocknet?
Argentiniens Präsident Javier Milei
Schnell zum Italiener gemacht
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?