Drogenpolitik in Berlin: Keine Macht dem Tabu

Die meisten Rauschmittel sind verboten – aber trotzdem verbreitet, besonders in Berlin. Dabei würde es viele Probleme lösen, wären Drogen erlaubt.

12 kleine Plastikpäckchen mit verschiedenen Drogen, die getestet wurden

Ist da nur der richtige Stoff drin? Drug-Checking in Berlin findet es heraus Foto: Jens Gyarmaty/laif

BERLIN taz | Ballern im Berghain, Kiffen vor der Cassiopeia und wilde Nächte in der Renate – für sicherere Partys eröffnete Berlin im Juni erstmals seit den 90er Jahren wieder das Drug-Checking-Projekt: In den Beratungseinrichtungen des Trägervereins Vista sowie des Fixpunkts und der Schwulenberatung Berlin können Drogen auf ihre Qualität und Reinheit getestet werden. Und die Nachfrage ist auch nach rund fünf Monaten so hoch, dass Mitarbeitende der Drogen- und Suchtberatung Vista viele Konsumierende wieder nach Hause schicken müssen.

Außer dem Drug-Checking-Projekt gibt es weitere Anlaufstellen in Berlin, etwa Drogenberatungsstellen oder Konsumräume. Für Heroin bekommen sie so saubere Nadeln. Zudem kann Diamorphin dabei helfen, sich von Heroin zu entwöhnen. Insgesamt sinkt so nachweislich das Risiko, an HIV und Hepatitis zu erkranken. Allerdings nicht immer ohne Hürde: Die Betroffenen müssen teilweise dreimal am Tag nüchtern erscheinen. Für viele Alkoholabhängige ist das eine Herausforderung. So bekommen auch hier nicht alle Unterstützung.

Illustration von Ali Arab Purian

🐾 Von der Kneipe an der Ecke bis zum solidarischen Garten in Bogotá: Junge Au­to­r*in­nen haben sich auf die Suche nach utopischen Ideen begeben. Die dabei entstandenen Artikel haben sie in einer Sonderausgabe der taz veröffentlicht.

Keine Kontrollen und keine sauberen Nadeln bedeuten für Kon­su­men­t*in­nen mehr Risiko für die Gesundheit. Es ist zum Beispiel wahrscheinlicher, dass sie verunreinigte Drogen konsumieren, was zu unerwünschten Nebenwirkungen führen kann. Doch das hält die Menschen nicht davon ab, trotzdem Drogen zu nehmen.

Verglichen mit dem Bundesschnitt weist Berlin kontinuierlich die höchste 12-Monats-Konsumprävalenz von Cannabis auf. Bei den im Abwasser analysierten Kokain- und MDMA-Rückständen ist Berlin ebenfalls Nummer eins der untersuchten deutschen Städte. Der Trend weist nach oben und die Kon­su­men­t*in­nen werden dabei immer jünger. Das durchschnittliche Alter beim ersten Zug am Joint in Berlin liegt aktuell bei 14,4 Jahren – 2 Jahre unter dem Durchschnitt.

Legalisieren für den Jugendschutz

So paradox das klingen mag: Die Legalisierung von Drogen könnte den Jugendschutz verbessern. Aktuell zeigt eine Drogenaffinitätsstudie von 2019, dass etwa je­de*r zehnte 12- bis 17-jährige Jugendliche schon einmal eine illegale Droge konsumiert hat. Dabei dominiert vor allem Cannabis.

In einer Reportage des Youtube-Formats „klarkommen“ erzählen Jugendliche und junge Erwachsene aus Berlin, wie sie Drogen nehmen. „Während der Corona-Zeit habe ich gelernt, dass mir Gras in verschiedenen Situationen viele Vorteile bringen kann. Mittlerweile konsumiere ich täglich“, erzählt Jas, 18 Jahre alt. Sie hat gerade Abi gemacht, trägt bunte Sneaker, einen blau-grauen Hoodie und heißt eigentlich anders.

Nicht selten folgt auf Cannabis der Konsum von härteren Drogen: Unter Jugendlichen haben sich im Vergleich zu 2011 die 12-Monats-Prävalenzen des Konsums anderer illegaler Drogen, wie Ketamin, Kokain, LSD und Ecstasy, erhöht. So auch bei Jas. Im vergangenen Sommer hat sie mit chemischen Drogen wie Ketamin, LSD und MDMA angefangen.

„Was damals so viel Spaß war, war dann auch eine Fluchtsituation, weil es meinen Freunden und mir damals nicht so gut ging“, erklärt Jas. Einmal rauchen, dann geht die Laune hoch. Manche nutzen das sogar gezielt gegen gesundheitliche Probleme, wie Crizzy, 16 Jahre alt, weiße Sneaker, schwarzer Hoodie, Schüler. „Ich behandle meinen undiagnostizierten Autismus mit Cannabis“, sagt er. Das steigere sein Empathievermögen.

Das macht er jedoch allein. Ohne ärztliche Betreuung kann aber auch eine Selbstmedikation zu unerwünschten Nebenwirkungen führen.

Bisher erhalten Jugendliche, die ärztliche Hilfe für mentale Erkrankungen suchen, in schwerwiegenden Fällen ein Cannabis-Rezept. Eine Überwindung dieser Hürde und ein Therapieangebot mit LSD oder Ketamin könnte Betroffenen Erleichterung bieten.

Aber Konsum unter medizinischer Betreuung ist das eine, der freie Verkauf auf dem Markt etwas anderes. In der Schweiz hat der Berner Stadtrat im Juni die Stadtregierung beauftragt, ein wissenschaftliches Pilotprojekt über legalen Kokainverkauf zu prüfen – mit 43 zu 18 Stimmen.

Das soll den Schwarzmarkt austrocknen und sicherstellen, dass hochwertiges Kokain angeboten wird. Wäre das auch etwas für Berlin? Sicherer Verkauf mit Mindestalter und umfangreicher Aufklärung, statt auf dem Schwarzmarkt.

Das Stigma schadet

Dass aktuell illegalen Drogen das Stigma „gesellschaftsschädigend“ anhaftet, benachteiligt ebenfalls Suchterkrankte. Im neoliberalen Narrativ heißt es, Menschen seien selbst für ihre Handlungen verantwortlich. Durch den Konsum verlieren sie den Anspruch auf Hilfe und Unterstützung bei der Entwöhnung.

Bestimmte Gruppen trifft das härter als andere. Wenn zum Beispiel Sex­ar­bei­te­r*in­nen in Berlin Unterstützung dabei wollen, die Branche zu verlassen, müssen sie clean sein, um eine Wohnung von der Stadt zu erhalten. Für sie wäre es einfacher, wären Drogen legal.

Allerdings bliebe noch zu diskutieren, wie Werbung für Drogen aussehen soll. Ebenso die problematischen Anbau- und Herstellungsverfahren von Drogen. Auf vielen Koksplantagen arbeiten die Menschen unter schlechten Bedingungen: wenig Lohn, hohes Risiko. Jedoch könnte Deutschland über legale Handelsstrukturen Änderungen forcieren. Löst die Legalisierung also Probleme, oder bleibt alles doch nur eine Utopie?

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