Drogenpolitik bleibt human: Frankfurt trotzt Hessens Ministerpräsidenten
Frankfurts Sozialdezernentin kontert Boris Rheins Aussperrfantasien: Ihre frühe Benennung einer Immobilie als künftigem Crack-Konsumort ist klug.

M anchmal ist es notwendig, rhetorisch Fakten zu schaffen. So, wie es jetzt die Gesundheitsdezernentin von Frankfurt (Main) Anfang April getan hat.
Noch bevor sich der Magistrat, also die 26-köpfige Stadtregierung, hätte drüber beugen können, hat Elke Voitl (Grüne) nämlich verkündet: Heureka!, die seit Jahren gesuchte Immobilie ist gefunden! Und zwar werde Deutschlands erstes Suchthilfezentrum, das auf die Bedürfnisse von Crackkonsumierenden spezialisiert ist, in der Niddastraße 76 entstehen.
Klar, nie ist etwas nur gut. So stehen zwar drei der fünf Stockwerke des Gründerzeithauses leer, seit eine Fitnesscenter-Kette dort ausgezogen ist. Aber für die beiden verbliebenen Mieter, ein Yoga-Studio und eine Etage höher das Grafik-Designbüro „Aoki & Matsumoto“, das sich erst 2017 mit ordentlichem Eigenanteil das Dachgeschoss ausgebaut hatte, bedeutet die Ankündigung: Sie müssen sich nun wohl unverhofft was Neues suchen.
„Wir wurden ziemlich kalt erwischt“, so Designer Tobias Friedberg zur taz. „Generell finden wir die Sache ja gut“, sagt er. Aber das so ohne Vorwarnung per Pressemitteilung zu erfahren, die noch dazu die konkrete Anschrift nennt, das sei schon etwas seltsam gewesen.
Stabreime ersetzen Argumente
Ach was!, findet Voitls Sprecher. Man habe halt fest zugesagt gehabt, die Öffentlichkeit zu informieren, sobald ein Standort gefunden sei. Und „diese Zusage lösen wir ein“. Doch bleibt der Vorgang ungewöhnlich.
Sein Sinn erschließt sich besser im Kontext der Verlautbarungen des hessischen Ministerpräsidenten Boris Rhein (CDU). Seit Corona nämlich ist die Gentrifizierung des Bahnhofsviertels ins Stocken geraten. Manche halten den dortigen Drogenhandel für die Ursache.
Im Zuge dieser schon lange schwelenden Debatte hatte Rhein nun den Einmarsch der Landestruppen angekündigt: „Wir wollen in Frankfurt die Kausalkette brechen und das Bahnhofsviertel für Suchtkranke Menschen schließen“, mischte er sich via FAZ in die Stadtpolitik ein.
Man wolle „das Drogen-Ökosystem aus Beschaffung, Betäubung, Behandlung, Beratung und Betreuung an einem Ort […] beenden“ – ein gezielt eingesetzter Stabreim. Gleich zweimal wird er im Text anstelle von Argumenten genutzt, um demagogisch die Gleichheit von Kriminalität, Drogennutzung und Hilfeangebot zu suggerieren.
Repressionsprojekt des Ministerpräsidenten
Sein Repressionsprojekt nennt Rhein „einen neuen Frankfurter Weg“, was unpassend ist: Egal, was man von der Strategie, Seuchen durch Säuberungsaktionen zu bekämpfen hält, neu ist sie nicht. Das bemäntelt er mit einer Anspielung auf einen recht ausgelutschten Song eines Mannheimer Soul- und R&B-Sängers, in dem auch ein Weg vorkommt. Hauptsache, irgendwie die Gefühle adressieren.
Voitls Nachricht von der Standortvorentscheidung rammt dagegen einen Pflock ein. Dabei kann sie einerseits sagen, sie entlaste, wie gewünscht, das Bahnhofsviertel. Das Haus Niddastraße 76 liegt ja, obwohl nur 100 Meter von Gleis 23 entfernt, im Stadtteil Gallus. Rheins lebensgefährlichem Wunsch aber, Konsum von und Hilfsangebote räumlich zu trennen, erteilt sie eine Absage.
Der alte Frankfurter Weg ist bewährt
Sie setzt stattdessen den bewährten Frankfurter Weg fort, der auf Bündelung und Verzahnung beruht: In der Hochphase von Heroin und Aids begann die Stadt, Konsumräume mit sterilen Spritzen und professioneller Hilfe einzurichten.
Das wirkte: Laut Bundeskriminalamt gab es 1991 in Frankfurt 183 Drogentote, also 27,9 pro 100.000. Heute liegt diese „Belastungszahl“ bei 4, es sterben dort also jährlich 30 Menschen infolge von Rauschgiftkonsum.
Und dieser niedrige Wert ist stabil. Überall sonst – Köln, München, Berlin – steigen die Zahlen. Frankfurts Drogenproblem wirkt im Großstadtvergleich klein und beherrschbar, weil die Stadt so konsequent auf akzeptierende Drogenarbeit setzt. Wenn Voitl also Fakten schafft, um diese Kausalkette gegen Rheins Populismus zu verteidigen, wirkt das vielleicht grob. Aber es rettet Leben.
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