Drogenpolitik auf den Philippinen: Im Visier der Todesschwadronen
Seit Juni sind unter Präsident Rodrigo Duterte mehr als 3.500 Dealer und Süchtige getötet worden. 76 Prozent der Bevölkerung stehen hinter der Politik.
MANILA taz | Nach jedem Regen flutet braune Brühe die stickigen Hütten, die sich nahe einem Überlaufkanal im Westen von Manila erstrecken. Hunde suchen im Abfall nach Essbarem. Es wimmelt von Kindern. Sie spielen in stinkenden Pfützen, jagen sich durch das Gewirr von Trampelpfaden und schäbigen Behausungen.
Roselle Tubale steht in den Trümmern ihrer Hütte und erinnert sich an die Nacht, in der ihr Mann getötet wurde. „Es waren sechs maskierte Männer auf Motorrädern. Sie haben unsere Tür eingeschlagen und Adonis rausgeschleppt“, sagt sie. „Er hat um sein Leben gefleht. Aber die haben ihn abgeknallt, von hinten, mit drei Schüssen.“
Adonis Villia ahnte seit dem 10. Mai, dass sein Leben in Gefahr war, dem Tag, an dem Rodrigo Duterte die Präsidentschaftswahlen auf den Philippinen gewann. Er begeisterte die Massen mit dem Versprechen, Kriminalität und Korruption zu bekämpfen, und zwar mit allen Mitteln. Dealer und Drogenabhängige würde er zuerst ausrotten, so seine Ankündigung.
Villia weiß, wer im Slum Shabu braucht
Villia, 59 Jahre alt, war in diesem Slum im Westen der Hauptstadt bekannt als kleiner Dealer. Er handelt mit Shabu, wie Crystal Meth auf den Philippinen genannt wird. Das Gebiet ist gesperrt für jede Besiedlung, und doch leben hier mehr als 250.000 Menschen zusammen, Gestrandete, aus den Provinzen Zugewanderte, die meist vergeblich auf einen Job in der Millionenstadt hofften. Adonis Villia treibt es 2001 hier an. Er findet tatsächlich Arbeit bei einem Wachdienst. Er heiratet, das Paar bekommt Kinder.
Aber dann wird Villia herzkrank, als Wachmann ist er nicht mehr zu gebrauchen. Die paar Euro, die seine Frau als Wäscherin verdient, reichen nicht aus, nicht für den Lebensunterhalt der fünfköpfigen Familie und nicht für seine Medikamente. Villia sieht nur noch einen Ausweg. Er weiß, wem er seine Dienste anbieten muss, um an Shabu zu kommen. Und er weiß, wer auf Drogen ist. In einem Slum gibt es keine Geheimnisse, hier hockt man dicht aufeinander, die Häuser haben weder Fenster noch Türen.
Villias Geschäfte laufen gut – bis Duterte seinen tödlichen Krieg gegen das Drogenmilieu entfesselt. Der neue Präsident ist berüchtigt als „Punisher“, als Bestrafer. Seit seinem Antritt am 30. Juni sind nach jüngsten Schätzungen mehr als 3.500 Süchtige und Dealer ermordet worden, die meisten Opfer lebten in Manilas Slums. Die Täter sind Polizisten oder sogenannte Vigilantes, ein Mix aus Bürgerwehr und Auftragskillern.
700.000 geständige Drogendealer und -nutzer
Villia hofft, sich zu retten, indem er Dutertes Aufforderung folgt: Wer sich stellt, wird verschont, heißt es offiziell. Mehr als 700.000 Philippiner sind inzwischen geständig. Auch Villia geht zur Polizei. Doch der Knast ist schon zu voll, da schicken sie ihn wieder heim. Er müsse nichts befürchten, wird ihm gesagt. Wenige Tage später ist er tot. Erschossen, vor den Augen seiner Frau und Kinder.
Ehemaliger Drogensüchtiger in Manila
Mehr als zwei Monate sind vergangen seither, doch die Witwe, eine Frau von 40 Jahren, wirkt noch immer wie erstarrt. Trotz der Hitze hält sie ihren schmalen Körper mit den Armen umschlungen als friere sie. Ihre Stimme ist tonlos, nur ihre Blicke wandern unruhig umher. Auch sie hat Angst. Angst, dass die Killer zurückkommen, obwohl sie beteuert, nichts mit Drogen zu tun gehabt zu haben: „Keine Nacht konnten wir mehr schlafen. Meinen Job war ich gleich los, ich muss ja jetzt auf die Kinder aufpassen. Dann sind wir weg, zu meiner Schwester in einen anderen Stadtteil.“
Abhauen, sich verstecken – das würde so mancher gerne. In der Nähe der Stelle, wo Adonis Villia erschossen wurde, wohnt angeblich ein alter Kunde des Dealers. In der winzigen Hütte ist es so dunkel, dass man die Gestalt kaum erkennt. Er will nicht über sich reden, das sei zu gefährlich, wehrt der Mann ab. Nur so viel: „Ich nehme kein Shabu mehr, aber das wird mir nichts nützen. Duterte ist gnadenlos, der jagt uns alle. Egal, wo wir uns verstecken.“
76 Prozent stehen hinter dem neuen Präsidenten
Die Mehrheit der Philippiner findet gut, was ihr neuer Präsident macht – 76 Prozent sind Umfragen zufolge mit Duterte zufrieden. Sie wollen, dass er landesweit so aufräumt wie er es als Bürgermeister der Hafenstadt Davao getan hat. Aus der einstigen „Mörderstadt“ machte Duterte in mehr als 20 Amtsjahren eine prosperierende Metropole, in der er gnadenlos gegen Kriminalität und Korruption vorging. Er schaffte soziale Sicherheit und ließ die Infrastruktur ausbauen, was selbst internationale Unternehmen anlockte.
Auf der Strecke blieben 1.400 von Todesschwadronen umgebrachte Menschen, zumeist Kleinkriminelle. Nun sind solche Killertrupps in Manila unterwegs. Bei der Polizei will man nichts dazu sagen, Interviewanfragen werden nicht beantwortet.
Im Manila der kleinen Leute, jenen Inseln aus schmalen, überbevölkerten Straßen inmitten der Wolkenkratzerviertel, ist Aufbruchsstimmung zu spüren. Romeo Abuan lebt in einem solchen Mikrokosmos, der von Duterte-Postern geschmückt ist.
„Duterte redet nicht nur, der macht“
Wie jeden Morgen sitzt er vor dem zweistöckigen Haus, das er mit neun Verwandten bewohnt, und trinkt einen Instantkaffee. Auf der Straße knattern Zweitakter vorbei, Hunde bellen, nebenan kräht ein Kampfhahn. Schulkinder in Uniform laufen vorbei, in einer halben Stunde beginnt der Unterricht.
Auch Romeo Abuan muss bald los, zur Arbeit in einer Möbelfabrik. Trotz seiner 67 Jahre kann sich der Philippiner keinen Ruhestand leisten. „Meine Rente reicht nicht“, meint er schulterzuckend. „In diesem Land gibt es für Leute wie mich keine Chance. Wer unten ist, bleibt unten. Aber Duterte wird das ändern. Der redet nicht nur, wie die anderen Politiker, der macht. Wenn erst mal die ganzen Kriminellen weg sind, wird er sich darum kümmern, dass es uns Armen besser geht.“
Auf die Frage, ob er kein Mitleid habe mit den Ermordeten und deren Familien, blickt er nachdenklich die Straße hinunter. „Das hier ist eigentlich kein schlechtes Viertel, wissen Sie. Aber auch hier gibt es Dealer, wir kennen die alle“, erzählt er schließlich, „wir reden nur nie darüber, weil wir keinen Ärger wollen. Aber das sind alles Kriminelle, eine permanente Bedrohung.“
Sein Kaffee ist kalt geworden, er schüttet ihn weg und setzt eine Schirmmütze auf. „Ich möchte einfach keine Angst mehr um meine Enkel haben“, meint er noch zum Abschied. „Deswegen bin ich froh, dass Duterte jetzt aufräumt.“
Die Drogentoten sind erst der Anfang, glaubt der Anwalt
Seit Rodrigo Duterte regiert, sind die Philippinen ein gespaltenes Land: Auf der einen Seite wächst die Angst, auf der anderen verstärkt sich der Eindruck einer neu gewonnenen Sicherheit. Doch diese Sicherheit ist trügerisch, glaubt Jose M. Diokno. Er ist einer der profiliertesten Menschenrechtsvertreter im Land, 55 Jahre alt. Er ist einer der wenigen, der deutliche Kritik an dem neuen Präsidenten wagt.
Treffpunkt ist ein belebtes Café in Manilas Univiertel Quezon City. Fröhlich begrüßt der Barista die Neuankömmlinge, fragt nach dem Befinden. Smalltalk, den Diokno ignoriert. „Ich bin sehr aufgebracht über das, was passiert“, sagt der Anwalt zur Begrüßung. „Nicht nur wegen der vielen Toten, sondern weil unsere Demokratie in Gefahr ist. Duterte ist das Gesetz, er untergräbt das juristische System.“
Diokno redet mit ruhiger Stimme, doch seine Hände sprechen eine andere Sprache. Wieder und wieder faltet er eine Serviette, während er weiterredet: Die Drogentoten seien erst der Anfang. „Die Morde werden nicht aufhören, es wird andere treffen, die mit Drogen nichts zu tun haben. Jeder kann jeden verleumden jetzt. Und die Killer kommen ungeschoren davon“, so seine düstere Bilanz.
Kein Geld für die Beerdigung
Er würde gerne juristisch gegen die Täter vorgehen, „doch die Angehörigen wollen keine Anzeige erstatten. Aus Angst, und weil sie keinen Rückhalt haben. Freunde und Nachbarn ziehen sich zurück, die Familien sind rasch isoliert. Die Killer zerstören mehr als nur ein Leben.“
Für Roselle Tubale ist dieser Albtraum Wirklichkeit geworden. „Uns stand keiner zur Seite“, sagt sie. Von ihrem alten Leben ist nichts übriggeblieben als ein Schutthaufen: Nachdem Tubale bei ihrer Schwester untergekommen war, ließ die Stadt ihre Hütte abreißen.
Sie ist ein letztes Mal gekommen, um nach Habseligkeiten zu suchen. Vergeblich. Die Nachbarn beobachten sie, ihre Mienen sind ausdruckslos. Niemand spricht die Witwe an, nach kurzer Zeit gibt sie auf. „Jetzt habe ich nichts mehr, keinen Mann, keinen Job, kein Haus“, sagt sie. „Nur drei Kinder, die ihren Vater vermissen. Und der liegt im Leichenschauhaus, weil ich kein Geld für seine Beerdigung habe.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“