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Dreiprozenthürde bei Europawahl 2014„Stimmen für den Papierkorb“

Eine Dreiprozenthürde für die Europawahl 2014 verletze die Chancengleichheit von kleinen Parteien, warnt der Jurist Martin Morlok. Sie sei verfassungswidrig, meint er.

Die neue Dreiprozentregel verletze das Wahlrecht der Bürger, sagt Morlok. Bild: ap
Christian Rath
Interview von Christian Rath

taz: Herr Morlok, bei der Europawahl 2014 soll in Deutschland eine Dreiprozenthürde gelten. Das wollen Union, SPD, FDP und Grüne demnächst im Bundestag beschließen. Was halten Sie davon?

Martin Morlok: Der Plan dürfte verfassungswidrig sein. Erst 2011 hat das Bundesverfassungsgericht die Fünfprozenthürde bei Europawahlen mit einem überzeugenden Urteil beanstandet. Gegen die Grundgedanken dieses Urteils würde auch eine Dreiprozenthürde verstoßen.

Welche Verfassungsrechte würden verletzt?

Verletzt würde zum einen die Chancengleichheit der Parteien. Kleine Parteien, die weniger als 3 Prozent der Stimmen erzielen, bekommen die Mandate nicht, die ihnen rechnerisch zustehen. Zum anderen wird das Wahlrecht der Wähler verletzt, die solche Parteien gewählt haben. Ihre Stimmen wandern sozusagen in den Papierkorb.

Bei der Bundestagswahl im Herbst gibt es die Fünfprozenthürde. Wo ist der Unterschied?

Das Bundesverfassungsgericht lässt Eingriffe in das Wahlrecht nur zu, wenn es dafür Gründe von Verfassungsrang gibt. Ein solcher Grund ist die Sicherung einer funktionsfähigen Regierung. Das Europäische Parlament wählt aber weder eine Regierung noch gibt es feste Koalitionen bei der Gesetzgebung.

Bild: dpa
Im Interview: Martin Morlok

Jg. 1949, ist Professor für Öffentliches Recht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Morlok gilt als führender Parteienrechtler in Deutschland.

Befürworter sagen, dass die Dreiprozenthürde das Europaparlament arbeitsfähiger mache.

Mag sein. Aber bei Eingriffen in das Wahlrecht kann es nicht um ein Optimum an parlamentarischer Handlungsfähigkeit gehen. Entscheidend ist, dass eine ausreichende Arbeitsfähigkeit gewährleistet wird, und das ist auch ohne deutsche Dreiprozenthürde der Fall. Derzeit sind im Europaparlament 162 Parteien vertreten. Es ist zu erwarten, dass sich auch deutsche Kleinparteien wie die Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP) einer der bestehenden sieben Fraktionen anschließen.

Ist es ein Affront gegen Karlsruhe, wenn die Parteien jetzt eine Dreiprozenthürde für die Europawahl vorschlagen?

Es ist natürlich zulässig, dass ein selbstbewusster Gesetzgeber versucht, die Grenzen der Verfassungsrechtsprechung auszutesten. Aber in der derzeitigen Situation, wo es zwischen Berlin und Karlsruhe eh knirscht, hat es auch einen demonstrativen Charakter, wenn der Bundestag sagt: „Na, das wollen wir mal sehen …“

Der Bundestag hat sich doch bewegt: Eine Dreiprozenthürde ist deutlich niedriger als eine Fünfprozenthürde.

Auf den ersten Blick, ja. Faktisch hätte eine Dreiprozenthürde bei der letzten Europawahl aber genau die gleiche Wirkung gehabt wie die beanstandete Fünfprozenthürde, da alle kleinen Parteien weniger als 2 Prozent der Stimmen erzielten. Da soll also tendenziell der alte Zustand wiederhergestellt werden.

Karlsruhe hat seine strenge Kontrolle in Wahlrechtsfragen damit begründet, dass die Bundestagsparteien eigene Interessen verfolgen.

Das Wahlrecht ist eine Wettbewerbsordnung, bei der manche Wettbewerber die Regeln bestimmen, auch zulasten anderer Wettbewerber. Da ist eine strenge Kontrolle durch das Verfassungsgericht sehr angebracht. Es wirkt ja doch etwas schäbig, dass die Mandate, die die Kleinparteien nicht bekommen sollen, bei den Parteien verbleiben, die die Dreiprozenthürde jetzt beschließen.

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2 Kommentare

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  • FS
    Felix Staratschek

    Die ÖDP wird bei dieser Europawahl scheitern! Ihr Parteichef verschenkt ein Alleinstellungsmerkaml nach dem anderen, mit dem die ÖDP Punkten könnte. Er unterstützt eine Aktion, die verkauft wird, als ginge es gegen ESM und Fiskalpakt, in Wahrheit fordert er den einzigen Weg zu beschreiten, wie man das Grundgesetz abschaffen kann, um es durch eine neue Verfassung zu ersetzen, die alles durchwinkt, was von der EU kommt. Deswegen werden Gruppen, die 2009 noch die ÖDP empfohlen haben das nicht mehr tun, deswegen werden Freunde einer besseren EU,die 2009 die ÖDP wählten, diesmal die AFD oder die Piraten wählen. Hinzu kommt, dass es künftig ein paar weniger deutsche Abgeordnete gibt, so dass die Hürde für das erste Mandat steigt. Sollte Sebastian Frankenberger zu den Spitzenkandidaten der ÖDP gehören, hoffe ich, dass die Partei, die bisher immer meine bevorzugte Wahl war, bei der Europawahl scheitert. Familienpartei und Tierschutzpartei werden wahrscheinlich einziehen und wichtige Themen in die Politik tragen.

  • R
    rolfmueller

    Seltsam, dass alle Bundestags-Parteien, außer der Linken, ständig Bürgerrechte und Demokratie einzuschränken versuchen und nur von den Bundesverfassungsrichtern daran gehindert werden. Aber ausgerechnet die Linke, die für mehr Bürgerrechte und mehr Demokratie eintritt, wird vom Verfassungsschutz verfolgt.

    Wir scheinen inzwischen voll bei George Orwells „1984“ angekommen zu sein, wo ja auch das Wahrheitsministerium für die Lügen zuständig war, nur merken es die meisten Deutschen nicht.