Drei-Prozent-Hürde bei Europawahl: Immer auf die Kleinen
Der Bundestag hat eine Drei-Prozent-Hürde für die Wahlen zum Europarlament 2014 beschlossen. Kleinparteien kündigen Verfassungsklagen an.
BERLIN taz | Erst im November 2011 hatte das Bundesverfassungsgericht Prozenthürden bei Europawahlen für verfassungswidrig erklärt. Doch der Bundestag will das Karlsruher Urteil nicht hinnehmen: In der Nacht zum Freitag beschloss der Bundestag eine neue Drei-Prozent-Hürde für die Europawahl 2014.
Die Bundestagsabgeordneten halten das Karlsruher Urteil für falsch und wollen einen neuen Anlauf unternehmen, das Verfassungsgericht von ihrer Sicht zu überzeugen. Beschlossen wurde im Bundestag ein gemeinsamer Gesetzentwurf von Union, FDP, SPD und Grünen. Nur die Linke stimmte dagegen.
Bisher bestand bei Europawahlen eine Fünf-Prozent-Klausel, wie sie auch bei Bundes- und Landtagswahlen üblich ist. Diese hatte jedoch das Bundesverfassungsgericht für unzulässig erklärt. Der Eingriff in die Gleichheit des Stimmgewichts sei bei Europawahlen nicht zu rechtfertigen.
Im Europaparlament, so die Richter, seien ohnehin 162 Parteien vertreten, die sich aber zu sieben Fraktionen zusammenfinden. Es sei damit zu rechnen, dass auch zusätzliche deutsche Kleinparteien in einer der Fraktionen aufgenommen werden. Außerdem wähle das Europaparlament keine Regierung, die auf seine kontinuierliche Unterstützung angewiesen sei.
Bundestag fürchtet Zersplitterung
Der Bundestag erklärte nun, dass auch die Funktionsfähigkeit des Europaparlaments gegen eine übergroße Zersplitterung geschützt werden müsse. „Ohne Sperrklausel kämen aus Deutschland etwa 13 oder 14 Parteien ins Europaparlament“, warnte der CDU-Abgeordnete Reinhard Grindel, „und zwar zusätzlich gerade solche, die von den bisherigen Fraktionen nicht integriert werden können.“
Zusätzliche fraktionslose Abgeordnete könnten aber den Entscheidungsprozess behindern, so Grindel, schließlich wollen die Parteien bei der kommenden Wahl den Präsidenten der EU-Kommission nicht im Konsens auskungeln, sondern per Kampfabstimmung zwischen den großen Lagern im Europa-Parlament bestimmen.
Die Parlamentarier zeigten sich selbstbewusst und konfliktbereit. „Wir akzeptieren zwar, dass das Bundesverfassungsgericht das letzte Wort hat, aber die hohen Damen und Herren in Karlsruhe müssen dann auch akzeptieren, dass wir dort unsere Argumente vorbringen“, argumentierte etwa der Grünen-Abgeordnete Wolfgang Wieland.
Doch die Abgeordneten versuchten auch, den Verfassungsrichtern Brücken zu bauen. „Eine Drei-Prozent-Hürde ist ein geringerer Eingriff als eine Fünf-Prozent-Hürde“, betonte etwa der FDP-Mann Stefan Ruppert. Und in der Begründung des Gesetzes heißt es, die Verhältnisse hätten sich seit dem Karlsruher Urteil 2011 „wesentlich verändert“.
Verwiesen wird dabei aber lediglich auf eine Resolution des Europaparlaments aus dem November 2012, wonach sich diese die Einführung nationaler Prozenthürden ausdrücklich wünscht.
Linke stimmt gegen Sperrklausel
Nur die Linke stimmte am Donnerstagabend kurz vor Mitternacht gegen das Gesetz. „Auch bei einer Drei-Prozent-Hürde wären bei der letzten Europawahl rund zehn Prozent der abgegebenen Stimmen unter den Tisch gefallen“, sagte die Abgeordnete Halina Wawzyniak.
Der Grünen-Abgeordnete Christian Ströbele gab eine persönliche Erklärung ab: „Sperrklauseln im Wahlrecht sind undemokratisch“, hieß es darin, „auch wenn die eigene Partei davon nicht betroffen ist.“
Das neue Gesetz wird mit großer Sicherheit noch vor der Europawahl vom Bundesverfassungsgericht geprüft werden. Mehrere Kleinparteien wie die Piraten und die Freien Wähler haben bereits Verfassungsklagen angekündigt. Ein Klage der NPD ist sogar schon in Karlsruhe eingegangen, kommt aber zu früh, da das Gesetz noch gar nicht im Gesetzblatt verkündet wurde.
Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass die Verfassungsrichter ihre Meinung ändern. Schließlich haben sie 2011 betont, dass gerade beim Wahlrecht eine strenge Kontrolle des Bundestags notwendig ist, da hier die Abgeordneten Gesetze in eigener Sache machen. So gehen die Mandate, die den Kleinparteien vorenthalten werden, in vollem Umfang an die Parteien, die die Drei-Prozent-Hürde jetzt beschlossen haben.
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