Drei Galionsfiguren der Protestbewegung gegen Stuttgart 21. Wo machen Gangolf Stocker, Walter Sittler und Egon Hopfenzitz am 13. März ihr Kreuz? Einer will für die Linke stimmen, einer für die Grünen. Und der dritte?: Von links bis rechts
von Kontext-Autor Oliver Stenzel
Wäre nicht die Protestbewegung gegen Stuttgart 21 gewesen, die Grünen in Baden-Württemberg hätten wohl trotz Fukushima kein so gutes Ergebnis bei der Landtagswahl 2011 erreicht, Winfried Kretschmann wäre nicht Ministerpräsident geworden. Doch spätestens seit der Schlossgartenrodung im Februar 2012 ist bei vielen S-21-Gegnern, ob auf Montagsdemos oder im Parkschützerforum, die Enttäuschung über die mit ins Amt gehievte Regierung mit Händen zu greifen: Nie wieder Grün, so scheint der Tenor. Am 17. Februar haben nun 40 mal mehr, mal weniger prominente Gegner des Tiefbahnhofs einen Wahlaufruf für die Linke vorgestellt; unter den Erstunterzeichnern sind der Theaterregisseur Volker Lösch und der Architekt und Bonatz-Enkel Paul Dübbers. Nicht alle früheren Galionsfiguren des Protests wollen sich indes so entscheiden.
Stuttgart 21 spielt für Egon Hopfenzitz diesmal keine Rolle
Einer der Enttäuschten ist der pensionierte Stuttgarter Bahnhofsvorsteher Egon Hopfenzitz. Der 1929 Geborene wurde wegen seiner bescheidenen Art und seiner präzisen Kritik an Stuttgart 21 schnell extrem populär in der Protestbewegung, er sprach mehrmals auf S-21-Montagsdemos und war auch an Geißlers Faktencheck beteiligt. Zeitlebens hatte er CDU gewählt, bei der Landtagswahl 2011 aber gab Hopfenzitz erstmals den Grünen seine Stimme und rief zu deren Wahl auf.
Seine Wahlentscheidung bereute er schon 2012, bezeichnete es öffentlich als Fehler, Grün gewählt zu haben. Kretschmann ist für ihn „der große Umfaller“, da er seine vor der Wahl geäußerten Versprechen zu Stuttgart 21 gebrochen habe, um den Posten des Ministerpräsidenten zu ergattern, und weil er sich an die Volksabstimmung binde, obwohl deren Ergebnis auf Fehlinformationen beruhe.
Vor der Bundestagswahl 2013 gelangte Hopfenzitz mit seiner Kritik an Kretschmann in einen Essay des Nachrichtenmagazins Der Spiegel. Autorin Barbara Supp schrieb: „Wenn man ihn fragt, wie er sich entschieden hat bei dieser Wahl, dann deutet er zum ersten Mal, und ausnahmsweise, sagt er, ganz nach links.“ Wird er auch jetzt wieder Die Linke wählen? „Nein“, antwortet Hopfenzitz bedächtig, „ich werde AfD wählen.“ Warum gerade AfD? Stuttgart 21 spiele für ihn diesmal keine Rolle, auch andere spezifische Landesthemen nicht, die Entscheidung erfolge aus „Opposition zu dem, was die Bundeskanzlerin macht“. Die Flüchtlingskrise mache ihm große Sorgen, „irgendwie scheint mir der Zustrom nicht mehr zu stoppen, und das wird, meine ich, gefährlich“. Deswegen wähle er „ganz bewusst“ AfD.
Ganz egal, dass sich manche Politiker der rechtspopulistischen Partei rassistisch äußern, dass Frauke Petry und Beatrice von Storch über Schusswaffengebrauch an den Grenzen sinnieren? Für ihn keine Gründe, diese Partei kritisch zu sehen? „Nein“, sagt Hopfenzitz, „die spielen eigentlich für diese Wahl bei mir überhaupt keine Rolle.“
Nachdem diese Aussagen in der Netzausgabe von Kontext erschienen, schrieb Volker Lösch einen offenen Brief an Hopfenzitz, mit dem er häufig auf S-21-Protestbühnen gestanden hat. Er möge bitte nochmal darüber nachdenken, ob er wirklich diese Partei, die das „gesellschaftliche Klima vergiftet“, wählen wolle, appellierte der Theaterregisseur an seinen Mitstreiter. Er habe ihn als „warmherzigen, wachen und klugen Mann“ erlebt. Diese Entscheidung, so Lösch weiter, „passt einfach nicht zu Ihnen, zu Ihrem Mut, Ihrer Intelligenz – und auch nicht zu Ihrem Humor“. Inzwischen bedauert Hopfenzitz seine „missverständlichen“ Äußerungen. Er werde „alles andere“ wählen als die AfD.
Grün trotz Stuttgart 21: Walter Sittler
Im Sommer 2010 initiierte Walter Sittler gemeinsam mit Volker Lösch den Schwabenstreich, damals wurde der Schauspieler schnell zu einem der bundesweit prominentesten S-21-Gegner. Auch weil er in zahlreichen TV-Talkshows eloquent den Protest gegen das Projekt erklärte. Ende 2012 unterzeichnete Sittler noch gemeinsam mit Lösch, Hopfenzitz und der Linken-Bundestagsabgeordneten Sabine Leidig einen kritischen Brief an die Spitzenpolitiker der Landesgrünen, in dem der sofortige Stopp des Projekts gefordert wurde. Nun taucht Walter Sittler in einer Wahlkampfbroschüre der Grünen auf, wirbt mit Porträt und Zitat für Kretschmann.
Warum diese Positionierung? Mit dem Bahnhofsprojekt habe er sich nicht angefreundet, betont Sittler. Aber er werbe nun für Grün, „weil es neben Stuttgart 21 noch viele andere Bereiche der Politik gibt, die gemacht werden müssen“, und weil es Bereiche gebe, in denen durch Grün-Rot einiges vorangegangen sei seit 2011. Etwa die Verkehrspolitik jenseits von S 21, die „den Erhalt guter Sachen über den bedingungslosen Ausbau stellt, den die CDU fordert“, oder die Schulpolitik.
Zum anderen begründet Sittler seine Haltung mit Fortschritten bei der Bürgerbeteiligung. „Dass da noch Nachholbedarf ist, ist überhaupt keine Frage“, räumt Sittler ein, „aber mit der CDU hätten wir gar nichts.“ Und weitergehen werde es nur, „wenn die jetzige Landesregierung, vielleicht mit einem weiteren Partner, weiterregieren kann“. Mit der CDU dagegen gehe es wieder auf null zurück. Überhaupt, was CDU-Spitzenkandidat Guido Wolf so rede, „das möchte ich nicht umgesetzt sehen“.
Weiter links: Gangolf Stocker
Überraschungen gibt es bei Gangolf Stocker nicht. Der 71-jährige Mitbegründer der Protestbewegung, bis 2011 Sprecher des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21, wählte 2011 die Linke, wie schon die Jahre davor. Und „ich werde diesmal selbstverständlich auch die Linke wählen und hoffe, dass sie es in den Landtag schafft“, so Stocker.
Stocker sitzt seit 2009 im Stuttgarter Gemeinderat für das parteifreie Bündnis SÖS, das mit der Linken eine Fraktionsgemeinschaft bildet. Doch obwohl er nie Grüne gewählt habe, habe er lange „mit den Grünen das beste Verhältnis gehabt“. Am Abend der letzten Landtagswahl legte Stocker sein Amt als Sprecher des Aktionsbündnisses gegen S 21 nieder – „auch weil ich dachte: Jetzt kann ein anderer weitermachen. Wir haben den Protest bis dahin auf höchstem Niveau durchgezogen, jetzt ist der Kretschmann Ministerpräsident, dann soll er zeigen, was er kann.“ Das sei natürlich naiv gewesen. „Eine Weile habe ich dieser Landesregierung die Stange gehalten“, sagt Stocker. „Aber das war sehr schnell vorbei.“
Nachdem sie ihr Ziel erreicht hätten, sei der Machterhalt den Grünen viel wichtiger gewesen als inhaltliche Fragen, urteilt Stocker, viel wichtiger, als Stuttgart 21 zu verhindern. „Aber gut, so sind einfach Politiker, die ändern halt von heute auf morgen sehr schnell ihre Meinung.“
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