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Drastischer Zuwachs an SportwettenDeutschlands Sonderweg

Sportwetten boomen in Deutschland – dank fast grenzenloser Liberalisierung. Gesellschaftliche Schäden sind immens. Das muss sich ändern.

Die Fans des Premier-League-Vereins Everton sind siegesgewiss Foto: Carl Recine/reuters

Wer derzeit Fußball schaut, kann Sportwettenwerbung kaum aus dem Weg gehen. Gruselig omnipräsent ist sie geworden auf Banden im Stadion, auf Trikots oder in Werbespots. Die Sportwettenanbieter sponsern fast alle Männer-Bundesligisten, sie sponsern die Nationalteams der Männer und Frauen, die Deutsche Fußball-Liga (DFL) und werben in der „Sportschau“. Längst ist das Zocken so eng mit dem Kicken verknüpft wie die uralte Autos-und-Bier-Leier.

Schon als viele der Konzerne noch illegale Angebote hatten, störte das den FC Bayern, den DFB oder auch den netten SC Freiburg nicht. Seit Juli 2021 ist nun alles noch viel leichter: Seitdem ist der neue Glücksspielstaatsvertrag in Kraft, der Online-Glücksspiel unter Auflagen legalisiert und Sportwetten bundesweit erlaubt. Schon bei der Einführung kritisierten Ex­per­t:in­nen die zu lasche Kontrolle, die einhergehende Amnestie für illegale Anbieter und zu lasche Auflagen.

Nun hat die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen einen Bericht vorgelegt, der den Verdacht bestätigt: Die Legalisierung hat nichts eingehegt, sondern dem Profit mit der Abzocke Tür und Tor geöffnet. Für den Glücksspielmarkt stiegen die Umsätze laut Bericht 2021 um 14,6 Prozent; Sportwetten explodierten um heftige 409,6 Prozent auf einen Umsatz von 18,3 Milliarden Euro. Der Bericht führt das vor allem auf den geänderten Glücksspielstaatsvertrag zurück.

Mehr Regulierung ist überfällig

Mehr Regulierung ist überfällig auf dem deutschen Markt, der fatalerweise den gegenteiligen Weg vieler anderer europäischer Länder gegangen ist. Anderswo verschärft man, Deutschland liberalisiert. Seit 2018 schon hat Italien jegliche Glücksspielwerbung auch im Sport verboten. Spanien zog nach und verbietet ebenfalls Sponsoring von Glücksspielanbietern für Sportteams; TV-Werbung ist stark reguliert.

Und im April einigten sich die Klubs der englischen Premier League, Wettanbieter ab 2026 zumindest auf der Vorderseite ihrer Trikots nicht mehr zu zeigen. In Deutschland ließ man den Markt erst lange in einer rechtlichen Grauzone und hat ihn danach weit geöffnet, inklusive aggressiver Vermarktung.

Bei aller Schrille der Stimmen wäre es zu einfach, die Umsatzsteigerung allein auf Werbung und die Neuregelung zurückzuführen. Sportwetten boomten in Deutschland schon vorher. Grund ist zum Beispiel der Wandel des Wettmarkts selbst von piefigen Wettlokalen hin ins Internet, wo die Hemmschwelle geringer ist, wo Geld mit einem Klick verschwindet und die Angebote schwerer kontrollierbar sind. Und die stetig wachsende Zahl der Anbieter, die gerade bei jungem und prekärem männlichem Publikum einen Markt finden.

Gerade im Profisport sind es Menschen mit viel Zeit und Geld

Auch die zunehmende Aufmerksamkeit für Sport spielt eine Rolle – Wettanbieter wuchsen symbiotisch mit dem zu jeder Uhrzeit laufenden Spitzensport. Und das Leben der Aktiven: Gerade im Profisport sind das Menschen mit viel freier Zeit und häufig zu viel Geld, die den Kick des Spieltags zu reproduzieren versuchen und sich bei Sportwetten für kompetent halten. Laut Fan-Organisation „Unsere Kurve“ weisen zehn Prozent der Profi- und Brei­ten­fußballer:innen problematisches Zockverhalten auf. Obwohl Experimente nachgewiesen haben, dass etwa Sport­re­por­te­r:in­nen nicht erfolgreicher tippen als an Fußball desinteressierte Hausfrauen. Eine ganze Kultur glorifiziert das Zocken.

Ein Werbeverbot wäre ein wichtiger erster Schritt, ein Allheilmittel ist es nicht. Der Markt muss viel ambitionierter reguliert werden. Plumpe Verbote bringen nicht viel, durch sie entstand in Deutschland ein unregulierter Online-Schwarzmarkt. Und die Finanzierung von Sport an sich gehört endlich geändert. In einem System, wo mehr Geld bessere Spie­le­r:in­nen und damit mehr Erfolg bringt und alle Klubs nach oben streben, sind sie bereit, Geld aus jeder erdenklichen Quelle anzunehmen. Längst sind das Summen, die nur unethische Konzerne bereitstellen können.

Gesellschaftliche Schäden finanzieren dieses Spiel und die Villen seiner Helden, in dem Fall zahlen Süchtige und Prekäre. Solange wir keine andere Wettbewerbsstruktur und eine gesellschaftlich gesteuerte Finanzierung statt Profitmaximierung schaffen, ist die Ausbeutung nicht zu besiegen. Immerhin, mittlerweile gibt es auch hierzulande eine Lobby gegen Sportwettenwerbung: Durch Fan-Organisationen wie „Unsere Kurve“ oder das neu gegründete Bündnis gegen Sportwettenwerbung. Um zumindest der unheiligen Symbiose ein Ende zu setzen.

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4 Kommentare

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  • Wetten macht einfach Spaß. Mir geht diese Tendenz jedes exzessive Verhalten gleich mit einem Gesamtverbot lösen zu wollen auf den Keks.

  • BANKEN-wetten gehen doch auch, und sind zu unser Aller Wohl! So wohl, dass der Staat sogar die Rettungsgelder direkt an die Vorstände auszahlt!

  • Ich stimme der Kritik an der Werbung für Sportwetten völlig zu und ja, auch ich gehe davon aus, dass „die gerade beim jungen und prekären männlichen Publikum einen Markt finden“. Aber wo bleibt die Kritik an der Werbung für die Zockerei bei Lotto und dessen gigantischem „Jackpot“? Jede Woche werden die „Glückszahlen“ und die „Gewinnsummen“ im ÖR genannt - als kostenlose Werbung in den Tagesnachrichten. Ich gehe davon aus, dass in diesem Fall auch noch zusätzlich das weibliche prekäre Publikum angesprochen wird. Der Unterschied: bei Sportwetten geht der Profit „in die Villa seiner Helden“, bei Lotto geht zumindest ein Teil zurück in die Gesellschaft. Wie gross dieser Teil ist und wer sonst noch davon profitiert ist allerdings nicht transparent. Wie auch immer, konsequenterweise sollte der einzige Sportwettenanbieter der Staat sein, denn einfach verbieten lässt sich Zockerei nicht.

    • @Lola S:

      Werbung (schon der Begriff ist ein Euphemismus) ist in dieser Gesellschaft ein stark unterschätztes Problem. Die Schwierigkeiten dieser Welt wären deutlich kleiner wenn Reklame deutlich eingeschränkt bzw. in weiten Teilen ganz unterbunden würde (z.B im öffentlichen Raum). Reklame preist vor allem unnütze und schädliche Dinge an.