Dramatische Kulturkürzungen in Berlin: Das Ausbluten der kreativen Szene
In Berlin wurde der Kulturhaushalt der nächsten beiden Jahre verabschiedet. Drastische Kürzungen bedrohen die freie Szene in ihrer Existenz.
Berlin, du warst so sexy. So arm und so, so sexy. Dass das vorbei ist, dass bald immer mehr sehr arm, einige wenige sehr reich und nichts mehr sexy sein wird, ist längst bekannt. Seit den drakonischen Haushaltskürzungen des letzten Jahres toben die Kulturproteste, die Uni-Proteste, die Proteste des Sozialsektors und versuchten sich mit Händen und Füßen gegen die teils existenzbedrohenden Einsparungen zu stemmen.
Unter #BerlinIstKultur formierte sich ein Aktionsbündnis, das zwar immer wieder für gute und wichtige Bilder des Protestes sorgte, dessen Demos doch häufig von Mattheit und Verzweiflung geprägt wirkten, zeigten sie doch vor allem eine Szene, die, ausgeblutet und allein, um ihre schiere Existenz zu kämpfen schien, denn der im Sommer veröffentlichte Entwurf für den Doppelhaushalt 2024/25 versprach wenig bis keine Besserung.
In ebenjenen am Donnerstag verabschiedeten finalen Haushalt für die kommenden zwei Jahre, der insgesamt um 4 Milliarden Euro ansteigt, kam es dann noch schlimmer als von Kultursenatorin Wedl-Wilson (parteilos) versprochen. Laut dem Grünen Daniel Wesener, Sprecher für Kulturfinanzierung, wird der Kulturetat mit circa 150 Millionen Euro unproportional stark gekürzt, erstmals seit Jahren rutscht er damit unter die 2 Prozent des Gesamthaushaltsvolumens. Während bei fast allen Titeln, insbesondere den großen und etablierten Häusern und Institutionen, insgesamt circa 3 Prozent eingespart werden, trifft es einige besonders hart.
Es fehlen Probenräume
So werden beispielsweise die Mittel zum Honorar- und Gagenausgleich der Kinder- und Jugendtheater gestrichen und damit eine Prekarisierung der meist freiberuflich arbeitenden Darsteller:innen und Mitarbeiter:innen vorangetrieben. Noch härter trifft es freischaffende Künstler:innen und Musiker:innen durch massive Einsparungen im Arbeitsraumprogramm. Ateliers-, Studios- und Proberäume verlieren fast das gesamte Volumen für den Ausbau, beim Erhalt werden 9 Millionen gestrichen und verlieren damit mehr als ein Drittel aller Mittel.
Der jetzige Bestand der wortwörtlichen Arbeitsplätze vieler, meist an der Existenzgrenze lebender Soloselbstständiger kann damit in den nächsten Jahren, in denen viele bestehende Mietverträge zu alten Konditionen auslaufen werden, nicht gesichert werden.
Es fällt schwer die Unverhältnismäßigkeiten in einem der kleinesten Etats der Stadt nicht als politischen Willen zu interpretieren: So war es insbesondere die Freie Szene, die in den Arbeitsräumen der Stadt zu Hause ist, die sich in den letzten Jahren vehement in verschiedenen politischen und sozialen Protesten engagierte.
Schiere Existenznot
Während die großen, etablierten Häuser der Hochkultur in Krisen auf Freundeskreise und Fördervereine, Sammler:innen und Mäzene zurückfallen können oder sich, wie im Falle der großen Museen, mehr und mehr kommerzielle Partnerschaften in die Häuser holen, um die Kassen aufzufüllen, ist der breite, fruchtbare Bodensatz der Produzierenden auf verhältnismäßig geringe Summen öffentlicher Gelder für die schiere Existenz angewiesen.
Die finanziellen Einsparungen, die der Senat so gewinnt, stehen mitnichten im Verhältnis zum nachhaltigen Schaden, den nicht nur real betroffene Einzelpersonen, sondern langfristig die gesamte Stadt von verringerter Lebensqualität bis hin zu einem dramatisch beschädigten internationalen Ruf nimmt, der sich aus der immer restriktiver werdenden, armutsverachtenden Politik des schwarz-roten Senats speist.
Gemeinsam für freie Presse
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert