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Dramatische Kulturkürzungen in BerlinDas Ausbluten der kreativen Szene

In Berlin wurde der Kulturhaushalt der nächsten beiden Jahre verabschiedet. Drastische Kürzungen bedrohen die freie Szene in ihrer Existenz.

Protestaktion gegen die geplanten Kürzungen des Kulturetats in Berlin. Getroffen hat es jetzt vor allem die freie Szene Foto: Stefan Boness

Berlin, du warst so sexy. So arm und so, so sexy. Dass das vorbei ist, dass bald immer mehr sehr arm, einige wenige sehr reich und nichts mehr sexy sein wird, ist längst bekannt. Seit den drakonischen Haushaltskürzungen des letzten Jahres toben die Kulturproteste, die Uni-Proteste, die Proteste des Sozialsektors und versuchten sich mit Händen und Füßen gegen die teils existenzbedrohenden Einsparungen zu stemmen.

Unter #BerlinIstKultur formierte sich ein Aktionsbündnis, das zwar immer wieder für gute und wichtige Bilder des Protestes sorgte, dessen Demos doch häufig von Mattheit und Verzweiflung geprägt wirkten, zeigten sie doch vor allem eine Szene, die, ausgeblutet und allein, um ihre schiere Existenz zu kämpfen schien, denn der im Sommer veröffentlichte Entwurf für den Doppelhaushalt 2024/25 versprach wenig bis keine Besserung.

In ebenjenen am Donnerstag verabschiedeten finalen Haushalt für die kommenden zwei Jahre, der insgesamt um 4 Milliarden Euro ansteigt, kam es dann noch schlimmer als von Kultursenatorin Wedl-Wilson (parteilos) versprochen. Laut dem Grünen Daniel Wesener, Sprecher für Kulturfinanzierung, wird der Kulturetat mit circa 150 Millionen Euro unproportional stark gekürzt, erstmals seit Jahren rutscht er damit unter die 2 Prozent des Gesamthaushaltsvolumens. Während bei fast allen Titeln, insbesondere den großen und etablierten Häusern und Institutionen, insgesamt circa 3 Prozent eingespart werden, trifft es einige besonders hart.

Es fehlen Probenräume

So werden beispielsweise die Mittel zum Honorar- und Gagenausgleich der Kinder- und Jugendtheater gestrichen und damit eine Prekarisierung der meist freiberuflich arbeitenden Dar­stel­le­r:in­nen und Mit­ar­bei­te­r:in­nen vorangetrieben. Noch härter trifft es freischaffende Künst­le­r:in­nen und Mu­si­ke­r:in­nen durch massive Einsparungen im Arbeitsraumprogramm. Ateliers-, Studios- und Proberäume verlieren fast das gesamte Volumen für den Ausbau, beim Erhalt werden 9 Millionen gestrichen und verlieren damit mehr als ein Drittel aller Mittel.

Der jetzige Bestand der wortwörtlichen Arbeitsplätze vieler, meist an der Existenzgrenze lebender Soloselbstständiger kann damit in den nächsten Jahren, in denen viele bestehende Mietverträge zu alten Konditionen auslaufen werden, nicht gesichert werden.

Es fällt schwer die Unverhältnismäßigkeiten in einem der kleinesten Etats der Stadt nicht als politischen Willen zu interpretieren: So war es insbesondere die Freie Szene, die in den Arbeitsräumen der Stadt zu Hause ist, die sich in den letzten Jahren vehement in verschiedenen politischen und sozialen Protesten engagierte.

Schiere Existenznot

Während die großen, etablierten Häuser der Hochkultur in Krisen auf Freundeskreise und Fördervereine, Samm­le­r:in­nen und Mäzene zurückfallen können oder sich, wie im Falle der großen Museen, mehr und mehr kommerzielle Partnerschaften in die Häuser holen, um die Kassen aufzufüllen, ist der breite, fruchtbare Bodensatz der Produzierenden auf verhältnismäßig geringe Summen öffentlicher Gelder für die schiere Existenz angewiesen.

Die finanziellen Einsparungen, die der Senat so gewinnt, stehen mitnichten im Verhältnis zum nachhaltigen Schaden, den nicht nur real betroffene Einzelpersonen, sondern langfristig die gesamte Stadt von verringerter Lebensqualität bis hin zu einem dramatisch beschädigten internationalen Ruf nimmt, der sich aus der immer restriktiver werdenden, armutsverachtenden Politik des schwarz-roten Senats speist.

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5 Kommentare

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  • "Hofnarr" nannte Scholz Chialo,. der damals so etwas für die CDU weggrinsen sollte. Wir finden sicher einen schöneren Ausdruck für alle, die jetzt die gute Miene aufsetzen müssen.

    Berlin scheint mir dabei schon jetzt auch keine Wüste zu sein. Kultur hat freilich positive externe Effekte, gesellschaftlich, bildend und auch ökonomisch, das darf gerne ein wenig belohnt werden.

  • In fast allen Städten Deutschlands versickern jährlich beträchtliche Mittel in die sogenannte Freie Szene. Also Menschen die sich selbst zu Kulturschaffenden für was auch immer erklären. Hier kommt es oft zu willkürlichen, undurchsichtigen und lobbygetriebenen Entscheidungen ohne wirkliche Verwendungs- und Erfolgsnachweise.

    Anstatt Personen und Projekte willkürlich zu fördern sollten sich die Gemeinden darauf beschränken die Infrastruktur, also Spielstätten, Proberäume und Ausstellungsräume bereitzustellen und für alle gegen einen Kostenbeitrag zugänglich zu machen.

    • @Dromedar:In:

      Warum wäre die meist sehr aufwendige städtische Bühne dann besser, nur weil sie nicht eine freie Bühne ist? Werden nicht auch die Zuschüsse für Freie im Gemeinderat oder wenigstens in den Ausschüssen beschlossen? Oder habe ich Sie falsch verstanden?

  • Kulturschaffende, die von ihren Werken nicht leben können, sollten sich vielleicht eingestehen, dass sie ein Hobby verfolgen und normale Tätigkeiten aufnehmen.

    • @FraMa:

      (Das könnte für Autoingenieure o.ä. gerade ein guter Hinweis sein.)



      Wie die Ameise der Grille etwas vorhält, um mit einem "normal" zu kulminieren, das will ich Ihnen nicht nehmen.

      Die positive Wirkung von Kultur in viele andere Bereiche, die ist nur eben schwer über die Preise abzubilden.



      Nur Westend-Theater und grauenhaftes Musicalmarketing für die Touristen soll es ferner doch auch nicht werden, oder?