Dragqueen-Show mit Heidi Klum: Die Meisterin der Abwertung
Heidi Klum wird eine Art deutsche Version von „RuPaul's Drag Race“ moderieren. Das ist eine Beleidigung für alle Fans der schwulen US-Show.
Sänger und Dragqueen RuPaul sucht seit 2008 nach „Charisma, Einzigartigkeit, Mut und Talent“ und hat die queere Kulturpraxis des Drags in den Mainstream gebracht. Das theatralische Spiel mit Geschlecht und Sexualität, die Übertreibung in Gestik, Mimik, Make-up, Kleidung und Bewegung, die Herausforderung von Geschlechterrollen, all das mit enger Verbindung zu schwuler Subkultur.
Er ist die Mutter der Queens, die in seiner Show während der Gestaltung von Runway Outfits oder der Vorbereitung auf Sketches und Performances auch mal über Homophobie, Coming-out-Prozesse, Konversionstherapien, HIV oder Polizeigewalt sprechen. Oft ist eine grundsätzliche Solidarität unter den Teilnehmern zu spüren, die vielfach ähnliche Erfahrungen als meist schwule oder bisexuelle Männer gemacht haben. Auch Transfrauen haben bereits an der Show teilgenommen.
Heidi Klums „Germany's Next Topmodel“ ist das Gegenteil davon. Konkurrenz unter Frauen wird hier geradezu angestachelt. Junge Frauen, im Format durchgehend als „Mädchen“ oder „Mädels“ bezeichnet, werden einer Jury bewertet, die nicht davor zurückschreckt, die Kandidatinnen bloßzustellen. Sie werden objektiviert, zur Ware gemacht und dazu angehalten, immer „sexy“ zu sein.
Es geht nicht darum, dass sie keine Dragqueen ist
Die Sendung propagiert extrem limitierte Körper- und Schönheitsideale, die junge Frauen stark unter Druck setzen können. Teilnehmerinnen, die von diesen Idealen abweichen, haben keine Chance – im Gegensatz zu „RuPaul's Drag Race“, wo Menschen mit allen möglichen Körperformen gefeiert und geliebt werden. Bento hat besonders schäbige von Klum in der Show geäußerte Zitate gesammelt: „Ich will nichts schwabbeln sehen“, „Ein kleines bisschen sieht sie aus wie ein geprügelter Hund!“, „Mach ein bisschen mehr sexy. Du siehst im Moment aus, als ob du ein bisschen besoffen wärst“, oder: „Bist du schwanger geworden, seitdem wir uns das letzte Mal gesehen haben?“
Bei GNTM geht es also um Abwertung, Beschämung und Konkurrenz. Bei RPDR geht es um Empowerment, subversive Fabelhaftigkeit und Solidarität. Für die deutschen Fans von RuPaul und seinen Queens ist die Wahl Klums als Jury-Vorsitzende eine Beleidigung. Sie hat mit Drag-Kunst nichts zu tun. An dieser Stelle möchte man sie allerdings schon fast gegen ihre KritikerInnen verteidigen: Denn es geht nicht darum, dass sie eine heterosexuelle Frau und keine Dragqueen ist.
Dieses Argument ähnelt der falschen Forderung, dass schwule Figuren im Film ausschließlich von schwulen Darstellern gespielt werden sollen. Selbstverständlich ist Repräsentation wichtig, doch wer dies behauptet, hat nicht verstanden, was Schauspiel ist. Schauspiel ist Drag und Drag ist Schauspiel. Doch während sich RuPaul seit Jahrzehnten für die Belange der LGBT-Bewegung einsetzt, hört Heidi Klums Liste bei ein paar CSD-Besuchen auf.
2011 verriet sie dem US-Magazin Lucky, dass „der beste Mensch, um shoppen zu gehen“, ihr schwuler Freund Michael Ostrow sei. Als Kämpferin für die Rechte von Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transpersonen hat sie sich nicht gerade hervorgetan – auch wenn sie sich bei GNTM in den letzten Jahren mit Dragqueens geschmückt hat. Sorry, aber zur Fag Hag reicht das nicht. Dass sie Dragqueens mit dem gleichen Respekt behandelt wie RuPaul, ist schwer vorstellbar. Da wären ihre Mit-Juroren Conchita Wurst und Bill Kaulitz schon geeigneter gewesen.
Sashay away!
Die Berliner Dragqueen Jurassica Parka will sogar herausgefunden haben, dass das Konzept der deutschen Show „komplett entschwult“ werden soll. „Szenerelevante Themen wie HIV oder Coming-out haben bei ProSieben so gar nichts zu suchen. Dass das Leben als queerer Mensch ganz vielleicht auch etwas mit der Drag-Kunst zu tun haben könnte … soviel Transferleistung traut man in Unterföhring dem gemeinen Zuschauer nicht zu“, schreibt sie in der Siegessäule, in der das Gerücht bereits Anfang Juni thematisiert wurde.
„RuPaul's Drag Race“ funktioniert auch deshalb so gut, weil es die großartigen Seiten schwuler Subkultur mit den großartigen Seiten amerikanischer Popkultur verbindet. Eines von vielen Slangwörtern, das RuPaul in seiner Show erfunden hat, wird genutzt, um sich von einer Dragqueen zu verabschieden, die den Wettbewerb verlassen muss. Man möchte es Heidi Klum jetzt zurufen: „Sashay away!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen