Dozent vs. Blogger: Abgemahnt wegen Internet-Mem
Mitte Januar verbreitete sich ein Foto von einem per Zettel ausgetragenen Nachbarschaftszoff. Jetzt meldet sich der Urheber und mahnt die Blogger ab.
BERLIN taz | Das Foto wirkt wie ein klassischer Schnappschuss, wie gemacht für ein Internet-Mem. Darauf zu sehen: Zettel in einem Treppenhaus, auf denen sich zwei Nachbarn köstlich humorvoll beleidigen. Schnell verbreitete sich das Bild in sozialen Medien, mehrere reichweitenstarke deutsche Blogs berichteten und zeigten das Bild. Nach wenigen Tagen war der Spaß vergessen.
Jetzt holt die juristische Realität einige Blogger wieder ein. Wie Christian Brandes von „Schlecky Silberstein“ berichtet, erreichte ihn jüngst ein Anwaltsschreiben. Darin schreibt der Anwalt, dass sein Mandant sich die Texte auf dem Foto ausgedacht, die Seiten konzipiert, gedruckt, arrangiert und fotografiert habe. Urheber sei demnach ein Unternehmer im Bereich Online-Marketing der zugleich als Dozent an der Hochschule Hannover lehrt. Der habe lange nach einer Idee für ein Bild gesucht, mit dem er zeigen könne, dass über soziale Netzwerke effektiv Werbung betrieben werden könne, schreibt der Anwalt.
Die Ergebnisse wolle er an der Uni im Rahmen seiner Vorlesung zeigen und für sein Unternehmen nutzen. „Durch die besondere Auswahl des Motivs, des Standorts, des Belichtungsausschnitts sowie durch die Wahl der Blenden und aufgrund ihres besonders ausgeprägten Charakters erweist sich die Aufnahme als Werk, das dem besonderen Schutz des Urheberrechtsgesetzes unterliegt.“ Die Folge: Abmahnung. Auch Kraftfuttermischwerk und dressed like machines seien davon betroffen.
Brandes reagiert zunächst mit Humor – dann mit einer ausführlichen Stellungnahme. „Vielleicht mag der Herr Dozent seinen Studierenden auch gleich mal erklären, dass besonders gute virale Maßnahmen dadurch bestätigt werden, dass über sie in Blogs geschrieben wird. Der Zettel hat von der Konzeption her perfekt funktioniert, denn er trug für uns Blogs nicht den Charakter einer professionellen Fotografie, sondern roch stark nach Schnappschuss für das Amüsement der Allgemeinheit.“
In der Regel frage man die Urheber von Bildern, bevor man sie veröffentliche. Bei einem „schrammeligen Aushang im Treppenhaus, der definitiv keine Rückschlüsse darauf zulässt, dass sich da jemand Gedanken um Belichtung, Blende und Bildkomposition gemacht hat, da lassen wir's bleiben“.
Mit seiner Stellungnahmen will Brandes vor allem kleine Blogs warnen, die bei derartigen Abmahnungen mit Kosten von mindestens 2.000 Euro rechnen müssten. Brandes kündigt zudem an, den Fall zum Anlass zu nehmen, in einer kleinen Webserie das deutsche Urheberrecht zu diskutieren. Gerne auch direkt mit dem Urheber, gerne auch „im Rahmen Ihrer Vorlesung“.
Eine gute Idee. Zumal der Fall an den Disput zwischen dem Fotografen Martin Langer und Moderator Jan Böhmermann erinnert, der vor wenigen Wochen ebenfalls eine Debatte zum Urheberrecht anstoßen wollte.
In den Kommentarspalte schlägt dem Dozenten derzeit Entsetzen und Hass entgegen, viele unterstellen ihm betrügerische Absichten, andere nutzen seine Vorlage für Remixe. Ganz ausblenden darf man aber auch die Möglichkeit nicht, dass das Anwaltsschreiben nur ein weiterer Dreh im Experiment des Dozenten ist, der so dazu beitragen will, sein Foto weiter viral zu verbreiten.
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