Doping im Radsport: Armstrongs Exit-Strategie
Nach den umfassenden Dopingenthüllungen hält sich Lance Armstrong noch immer bedeckt. Was plant der Rekord-Tour-de-France-Sieger?
BERLIN taz | Es sind jeweils nur ein paar dürre Zeilen, die Lance Armstrong in die Welt hinausschickt. Alle paar Tage twittert er etwas an seine über 3,8 Millionen Follower. Es ist nichts Weltbewegendes dabei. Einmal lässt er sich auf dem heimischen Sofa ablichten, im Hintergrund sieht man sieben gelbe Trikots, jedes einzelne davon steht für einen erschummelten Sieg bei der Tour de France.
Ein andermal gibt er ein paar Trainingsdaten preis. Man erfährt, dass er auf Hawaii läuft und Rad fährt. Dass er zum Beispiel auf fast 130 Kilometern 2.817 Kalorien auf dem Rennrad verbrannt hat. Seine Gemeinde folgt ihm andächtig und macht ihm Mut. „The show must go on“, schreibt einer. Der Nächste meint: „Lance, du bist immer noch mein Held!“ Der Dritte postet: „Wäre doch schade, wenn es bei dem lebenslangen Bann bleiben würde.“
Nur eines vermisst man auf Armstrongs Twitter-Account: Erhellendes zum 1.000-seitigen Bericht der US-Antidopingbehörde Usada, die Armstrong als strategischen Doper entlarvt hat. Armstrong kommentiert nicht, er verzichtet auf eine Replik, er ätzt und giftet nicht, ja, er bezeichnet Usada-Chef Trevis Tygart nicht einmal als einen „Fanatiker, der mit Steuergeld eine Hexenjagd“ inszeniere, so wie er das noch 2011 getan hatte.
Das ist ganz und gar untypisch für den Texaner. Wurde Armstrong von der Schockwelle der Dopingvorwürfe also förmlich zu Boden geworfen? Musste er sich erst wieder sammeln? Arbeitet er an einer Strategie? Ein paar dürre Hinweise auf seine spezielle Art der Problembewältigung finden sich aber doch in Armstrongs Einträgen.
Er deutet an, man solle die Vergangenheit ruhen lassen, und verweist auf einen Fall aus der Leichtathletik, wo eine sehr erfolgreiche Trainerin von ihrem College suspendiert wurde, weil sie 2002 eine Beziehung mit einem Studenten begonnen hatte. Einen Neuanfang propagiert auch Armstrongs Haus- und Hoffotograf Graham Watson in seinem Blog „Graham’s View“.
Die Hand, die ihn füttert
Kein Wunder, dass Armstrong sich auf diesen Text bezieht. Armstrong schreibt in einer Twitter-Kurznachricht: „Es brauchte erst einen ’Fotografen‘, der das ausgewogenste Stück ’schreibt‘, das wir bisher gesehen haben.“ Was schreibt also Watson zum Sturz des einstmaligen Wunderradlers Armstrong? Er, Watson, wolle nichts Schlechtes über einen verbreiten, der ihm geholfen habe, seine Einkünfte beträchtlich aufzubessern, stellt er zunächst klar.
Daran hält sich der schreibende Fotograf dann auch konsequent: Armstrong habe nichts anderes getan als ein Staatspräsident auch, nichts anderes als ein Armeegeneral, ein Industriekapitän oder Karrierepolitiker: „Er war ambitioniert, unbarmherzig, hoch talentiert, taff, und er wusste, wie er seine Teammitglieder zu führen und Konkurrenten einzuschüchtern hat.“ Er habe zwar betrogen, doch im Grunde habe er nur Betrüger betrogen – ausgenommen die Radsportfangemeinde.
Wer allerdings glaubt, Armstrongs Abtauchen habe etwas Resignatives, der irrt. Er arbeitet allem Anschein nach an einer Strategie, um vom passiven wieder ins aktive Fach zu wechseln. Es soll nach Berichten der Los Angeles Times und New York Times ein Treffen zwischen Tygart und Armstrong stattgefunden haben. Tygart wollte sich dazu nicht äußern. Armstrongs Anwalt in Austin/Texas dementierte solch ein Meeting – aus welchen Gründen auch immer.
Deutungshoheit komplett verloren
Inhalt eines solchen Gesprächs könnte gewesen sein, auf welche Weise sich die lebenslange Sperre reduzieren ließe Armstrong möchte gern beim Ironman auf Hawaii starten, dem bekanntesten und härstesten Triathlon-Rennen der Welt. Ferner möchte er die Deutungshoheit über einen Fall erlangen, der ihm komplett entglitten ist. Warum nicht seine Sicht der Dinge präsentieren in einer Dopingbeichte, die mit Getöse um die Welt geht?
Warum nicht ein eigenes Buch schreiben, sich als der geläuterte Lance präsentieren und damit die Verkaufshitlisten stürmen? Fakt ist: Armstrong ist auf der Suche. Er sondiert, lotet aus und spielt in Gedanken durch, was ihn wieder zurück ins Spiel bringen könnte. Zu bedenken wären ja auch die finanziellen Folgen eines Geständnisses.
Armstrong wird aber nicht darauf bauen können, wie so oft eine Sonderbehandlung zu bekommen. Als Messlatte könnte der Fall des US-Radfahrers Joe Papp dienen, der erst gedopt und später dann mit Dopingmitteln gedealt hatte. Papp sollte nach seinem zweiten Vergehen lebenslang gesperrt werden, doch weil er sich als Kronzeuge anbot, wurde das Strafmaß auf acht Jahre reduziert. Papp tourt jetzt als Doping-Aufklärer durch die Staaten. Acht Jahre? Damit würde sich Lance Armstrong wohl nicht zufrieden geben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei