Doping im Amateursport: "Ich nehme nur Ana"
Anabolikamissbrauch hat unter Jugendlichen sprunghaft zugenommen. Dopingfälle im Spitzensport wirken keineswegs abschreckend auf Muskelfetischisten.
"Machen wir uns nichts vor: Hier geht es nicht um Sport, hier geht es um Muskeln und um massives Aussehen." So fasst der Betreuer eines Jugendfreizeitzentrums in Köln-Bilderstöckchen, der ungenannt bleiben möchte, die Motivation seiner Teilnehmer zusammen. "Von denen, die hier trainieren, nehmen über 90 Prozent Steroide." Während Dopingskandale im Spitzensport regelmäßig für Schlagzeilen sorgen, wird die Problematik des Medikamentenmissbrauchs im Breiten- und Freizeitsport oft unterschätzt.
Vor allem Jugendliche bedienen sich heute mehr denn je leistungssteigernder Mittel. Nach Schätzungen des Robert-Koch-Instituts liegt der Anteil der Jugendlichen, die Anabolika für schnelles Muskelwachstum zu sich nehmen, zwischen 6 und 8 Prozent. Eine Umfrage an 24 Fitnessstudios in Norddeutschland ergab, dass ein Viertel der Männer und 8 Prozent der Frauen regelmäßig anabole Steroide spritzen. Während das Bundesinnenministerium davon ausgeht, dass 22 Prozent aller männlichen Fitnessstudiobesucher zur Spritze greifen, setzt der Apothekerverband diese Zahl doppelt so hoch an - bei sage und schreibe 45 Prozent. Diese alarmierenden Zahlen sind einer der Gründe, weshalb sich jetzt das Gesundheitsministerium mit dem Problem befasst.
"Wir haben festgestellt, dass sich im Bereich Jugendgesundheit viel zu wenig präventiv unternommen wird. Daher wollen wir das Thema auch mehr in die öffentliche Debatte rücken", sagt Dagmar Kaiser, Referatsleiterin im Ministerium. Kürzlich lud Ulla Schmidt daher Experten zu einer Veranstaltung nach Berlin ein, im nächsten Jahr soll eine breit angelegte Studie eindeutige Zahlen liefern. "Das Problem ist, dass bislang keine wirklich repräsentative Untersuchung für ganz Deutschland vorliegt", sagt Michael Sauer vom Donike-Institut für Dopinganalytik an der Sporthochschule Köln, das sich unter anderem mit Prävention im Jugendsport befasst. Außerdem habe die Brisanz der Dopingproblematik in den vergangenen Jahren drastisch zugenommen.
Als Sauer vor fünf Jahren Jugendliche befragte, waren Anabolika zwar schon ein Thema, aber noch nicht Bestandteil des Fitnessalltags. "Heute wissen fast alle sehr genau Bescheid, welche Substanzen es gibt, wie sie wirken und wo man sie beschaffen kann", erklärt Michael Sauer. Außerdem sei zunehmend ein sorgloser Umgang mit dem Thema zu beobachten. "Wenn ich heute einen Teenager frage: ,Dopst du?', dann bekomme ich oft zu hören: ,Nee, ich nehme nur Ana' ", sagt Sauer.
Meist sind die Langzeitfolgen und Nebenwirkungen zwar bekannt, werden aber zugunsten einer kurzfristigen Leistungssteigerung verdrängt. Symptomatisch hierfür ist das Erlebnis des Sportmediziners Michael Fritz aus Viersen, der von einem Rennradnachwuchsfahrer offen nach Dopingmitteln gefragt wurde. Sein Masseur hatte ihn geschickt, er solle sich vom Arzt ein rezeptpflichtiges veterinärmedizinisches Präparat verschreiben lassen.
Von Fritz, Mitglied im Sportärztebund, auf die legalen und gesundheitlichen Risiken angesprochen, wiegelte der Jugendliche ab: "Ist doch egal, wenn es mich schneller macht." Doch woher kommt diese Sorglosigkeit, vor allem unter Jugendlichen? Am schlechten Beispiel, das gedopte Spitzensportler abgeben, kann es nicht nur liegen, sagt Michael Fritz. "Wir haben es mit einem komplexen gesellschaftlichen Problem zu tun, an dem mehrere Ebenen beteiligt sind."
Dem pflichtet auch Michael Sauer bei: "Heutzutage herrscht ein enormer Druck auf Jugendliche, Leistung zu bringen und gut auszusehen, da ist die Versuchung natürlich groß." Die Zunahme von Doping ist außerdem ein schleichender Prozess. Es sei mittlerweile völlig normal, zu Nahrungsergänzungsmitteln zu greifen - "und dann ist der Schritt zu Medikamenten nicht mehr weit". Neben kurzfristigen Schäden, wie Haarausfall oder "Schwangerschaftsstreifen", machen vor allem die Langzeitfolgen den Ärzteverbänden große Sorgen. "Doping ist hochriskant und führt zu dauerhaften körperlichen und seelischen Schäden, oftmals auch zum Tod", warnt Mediziner Fritz. Deshalb sei Prävention enorm wichtig.
Wie man gegen das Problem vorgehen kann, zeigt das Heidelberger Zentrum für Dopingprävention. Dort wird gezielt im Nachwuchsbereich sowie bei der Trainerausbildung gearbeitet, um die Jugendlichen für die Problematik zu sensibilisieren. Der Leiter des Zentrums, Professor Gerhard Treutlein, ist jedoch sicher, dass schärfere Kontrollen nicht der Königsweg sind: "Wir wollen nicht mit dem erhobenen Zeigefinger kommen, sondern die Jugendlichen auf die Probleme hinweisen, damit sie sich für ihre Entscheidungen verantwortlich fühlen können."
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