Doping-Paradies Russland: Immer rein in die Vene
Alle reden über gedopte Supersprinter. Verbotene Mittel werden indes in allen Disziplinen eingesetzt – vor allem in Russland. Dort findet 2013 die Leichtathletik-WM statt.
BERLIN taz | Inga Abitowa führt die Aufzählung des Grauens an. Der Name der Langstreckenläuferin aus Russland, die 2006 Europameisterin über 10.000 Meter wurde, ist der Erste auf der alphabetisch gereihten Liste des Internationalen Leichtathletikverbandes IAAF, in der die Namen aller Athleten aufgeführt sind, die derzeit wegen Dopingvergehen gesperrt sind. Die jüngste Ausgabe datiert vom 4. Juli.
Die Namen der gefallen Sprintgötter und -göttinnen Tyson Gay, Asafa Powell, Veronica Campell-Brown und Sherone Simpson fehlen noch. Und auch wenn die Namen der fiesen Sprinter, deren Rennen die Sportwelt immer wieder faszinieren, in der Auflistung fehlen, so sagt sie doch einiges über den Zustand der Leichtathletik aus. Die Szene, die sich bei den Weltmeisterschaften im August in Moskau so gerne selbst feiern will, ist verseucht wie kaum eine zweite in der Sportwelt.
Da passt es ganz gut ins Bild, dass das wichtigste Event der Läufer, Springer und Werfer in diesem Jahr in Moskau ausgetragen wird. In keinem anderen Land wird so hemmungslos gedopt wie in Russland. Die Doping-Liste der IAAF vom Juli enthält die Namen von 37 russischen Leichtathleten, die derzeit eine Dopingsperre absitzen. Darunter sind jede Menge Medaillengewinner bei internationalen Großereignissen – wie Inga Abitowa.
Abitowa wurde gesperrt, weil ihre Blutwerte, die im Blutpassprogramm der IAAF überprüft werden, allzu auffällig waren. Der Sieg beim Yokohama-Marathon 2009 wurde ihr aberkannt. Nicht einmal im notorisch durchgedopten Radsport werden die Siegerlisten derart häufig geändert wie in der Leichtathletik.
Nailja Julamanowa, auch sie eine russische Langstreckenläuferin, beendete den Marathon bei den Europameisterschaften 2010 in Barcelona als Zweite. Kurz danach wurde ihr die Goldmedaille übergeben, nachdem die Schnellste des Rennens, die Litauerin Zivile Balciunaite, des Dopings überführt worden war.
Die Dritte gewinnt
Als Auffälligkeiten in ihrem Blutpass festgestellt wurden, nahm man Julamanowa den Titel flugs wieder weg. Europameisterin darf sich jetzt die damals Drittplatzierte Italienerin Anna Incerti nennen. Der Streit darüber, ob man dem italienischen Bergradler Marco Pantani seinen Sieg bei der skandalträchtigen und medikamentös beschleunigten Tour de France von 1998 posthum wegnehmen soll, nimmt sich gegen eine derartige Medaillenumverteilung fast lächerlich aus.
Immer wieder sind es die Vergehen russischer Sportler, die die Ranglisten der Großereignisse im Nachhinein durcheinanderwürfeln. So darf sich die deutsche Kugelstoßerin Nadine Kleinert über eine verspätete Bronzemedaille freuen. Nachdem die weißrussische Weltmeisterin von 2005, Nadeschda Ostaptschuk, ihr Gold wegen Doping zurückgeben muss, wurde auch die viertplatzierte Swetlana Kriweljowa aus Russland bei Nachtests mit der verbotenen Substanz Oxandrolon erwischt.
Neben vielen Medaillengewinnern finden sich aber auch zahlreiche junge russische Athleten in der IAAF-Liste. Sie sind auf der Jagd nach Titeln für ihr Land zu ungestüm gedopt worden. Nun müssen sie eben zwei Jahre aussetzen, weil sie beispielsweise in der Dosierung von Epo nicht vorsichtig genug waren. Die Geschichten der überführten russischen Athleten zeigen, wie verseucht der Sport ist, und wie wenig die Bestrafung der Sportler zur Beseitigung der Dopingkultur beiträgt.
Seit zwei Jahren gibt es ein Anti-Doping-Gesetz in Russland, das den Handel mit verbotenen Substanzen unter Strafe stellt, die Kontrollen wurden massiv ausgeweitet, und doch hat sich an der Doping-Kultur nichts geändert. Im Juni sind drei weitere Namen russischer Leichtathleten in die Betrügerliste des IAAF aufgenommen worden: Der Geher Artur Grigorjew, die Kugelstoßerin Ekatarina Sjuganowa und die Mittelstreckenläuferin Valeria Charitonowa.
Wer immer noch auf einen positiven Dopingbefund von Supersprinter Usain Bolt wartet, bevor er anfängt, an der Leichtathletik zu zweifeln, dem ist wahrlich nicht mehr zu helfen.
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