Dominic Johnson über das Brexit-Votum im britischen Parlament: Übung in Demokratie
Seit Theresa May im Juni ihre vorgezogenen Neuwahlen vergeigte, ist die britische Innenpolitik etwas unübersichtlich geworden. Die meisten politischen Kräfte sind zufrieden: Labour unter Jeremy Corbyn sonnt sich in neuem Selbstbewusstsein, und die Konservativen, traditionell ein Haufen Individualisten, haben sowieso lieber eine schwache Premierministerin, vor der die Mäuse auf dem Tisch tanzen können.
Die jüngsten Brexit-Beratungen im britischen Parlament haben dies nun entlang der Frage durchgespielt, ob die britische Regierung beim Übertragen von EU-Bestimmungen in britisches Recht Veränderungen an diesen Bestimmungen eigenhändig vornehmen darf, also am Parlament vorbei. Die Regierung will das, die Parlamentarier wollen das nicht. Letzteres gilt auch für jene Parlamentarier, die dem Gesetzentwurf der Regierung in der Nacht zum Dienstag zur Mehrheit verhalfen, also die komplette konservative Fraktion. Sie stimmten dem Gesetz zu, weil es die Bedingung für einen funktionierenden Brexit ist, aber sie werden es jetzt in den Ausschüssen zerpflücken, bis May die Haare zu Berge stehen.
Es ist gut, dass dies genau anhand dieser Frage geschieht. In jedem EU-Mitgliedstaat erlangen EU-Direktiven und -Regelwerke automatisch Gesetzeskraft, und die gewählten nationalen Parlamente sind da machtlos. Beim Brexit mit seinem Slogan „Take Back Control“ geht es darum, diesen Zustand zu beenden. Die Regierung May mag sich nun wundern, wieso Abgeordnete das klaglos hinnahmen, als es aus Brüssel kam, aber jetzt Zeter und Mordio schreien, wenn sie selbst es machen will. Sie sollte sich stattdessen lieber darüber freuen, dass auch die EU-Fans in der britischen Politik zu demokratischer Reife finden. Indem der Brexit eine Ebene der undemokratischen Willensbildung abschafft, ist er eine Chance zur Demokratisierung der gesamten britischen Politik. Eigentlich könnten andere europäische Länder davon lernen.
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