Dolmetsch-Flatrate in Bremen: Bei Anruf Übersetzung
In Bremen sollen Online-Dolmetscher*innen bei der Verständigung helfen, Beschäftigte im öffentlichen Dienst entlasten – und Gewaltopfern helfen.
![Drei Menschen stehen über ein Smartphone gebeugt an einem Bahnhof Drei Menschen stehen über ein Smartphone gebeugt an einem Bahnhof](https://taz.de/picture/6727391/14/280067677-1.jpeg)
Solche Situationen könnten in Bremen in Zukunft erleichtert werden. Der bremische Senat hat kurz vor Weihnachten eine Dolmetscher-Flatrate beschlossen, die in Zukunft allen Mitarbeiter*innen von Behörden, sowie im Sozial- und Gesundheitssystem zur Verfügung stehen soll.
Wenn etwa Polizist*innen, die wegen häuslicher Gewalt gerufen werden, keine gemeinsame Sprache mit der Betroffenen teilen, können sie in Zukunft eine zentrale Telefonnummer anrufen und werden dann online mit einem*einer Dolmetscher*in verbunden, der*die ihnen bei der Verständigung helfen kann. Funktionieren soll das sowohl über das Smartphone, als auch über den Computer oder das Telefon.
Entstanden ist die Idee in der Zusammenarbeit der Gesundheitsbehörde und der Bremischen Zentralstelle für die Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau (ZGF), die zusammen den Landesaktionsplan gegen Gewalt an Frauen umsetzen, sagt Susanne Gieffers von der ZGF. Das Problem sei, dass es in Fällen von Gewalt oft an geschlechtssensiblen und anonymen Übersetzungsmöglichkeiten fehlt.
„Ganz schlimm ist, wenn Kinder für ihre Mütter übersetzen und ihnen womöglich schlimme Botschaften übermitteln müssen“, sagt Gieffers. Durch den schnellen Zugriff auf die Übersetzungen, „wird hilfesuchenden Frauen mit Sprachbarrieren der Zugang zum gesamten Hilfesystem überhaupt erst ermöglicht“, sagt Landesfrauenbeauftragte Bettina Wilhelm. „Die betroffenen Frauen können sich selbstständig Hilfe holen und verständlich machen“. Das sei „ein riesiger Fortschritt beim Gewaltschutz“, so Wilhelm.
Hilfe bei der Verständigung
Aber nicht nur Menschen, die von geschlechtsspezifischer oder häuslicher Gewalt betroffen sind, sollen davon profitieren. Die Flatrate soll auch Lehrer*innen bei Elterngesprächen, Beamt*innen bei Kontrollen auf Baustellen, oder bei der Führerscheinstelle helfen.
Vor allem in kurzfristigen Situationen – wenn etwa jemand Wohngeld beantragen möchte, sich aber nicht verständigen kann – bekommt dieser Mensch dann „sofort eine Dolmetschung“ sagt Matthias Makosch von der Finanzbehörde.
Bezahlt wird die Flatrate vom Finanzressort, das als Querschnittsressort für bremische Personalangelegenheiten und auch die bisher bereits bestehenden Dolmetsch- und Sprachmittlerdienste der Verwaltung zuständig ist, sagt Makosch.
Für Finanzsenator Björn Fecker (Grüne) ist der Beschluss ein „Meilenstein“ für mehr Bürgerservice und soll gleichzeitig die Beschäftigten im öffentlichen Dienst entlasten. „In Bremen ist gut ein Viertel der Bevölkerung zugewandert. Nicht alle beherrschen das Amtsdeutsch so gut, dass die Verständigung reibungslos klappt“, sagt Fecker. Das Angebot solle Sprachbarrieren überwinden und Teilhabe sichern.
Dolmetsch-Flatrate als Ergänzung gedacht
In Thüringen, wo es die Dolmetsch-Flatrate schon seit 2019 gibt, kritisierten Thüringer Dolmetschbüros 2020 in einem gemeinsamen Positionspapier zum Videodolmetschen, dass das Programm „in seiner aktuellen Gestalt“ die regionalen Strukturen in Thüringen schwäche und sich „als Existenzbedrohung für in Thüringen lebende und arbeitende Dolmetscher*innen“ erweise.
Bettina Wilhelm, Landesfrauenbeauftragte in Bremen
Dass der Online-Service auch in Bremen die lokalen Strukturen bedrohen könnte, glaubt man zumindest in der Verwaltung nicht. Die bestehenden Dolmetscher- und Sprachmittlerdienste sollen erhalten bleibe. Die Flatrate ist in Bremen „definitiv als Ergänzung gedacht“, sagt Matthias Makosch von der Finanzbehörde.
Auch in Brandenburg gibt es seit diesem Jahr einen Dolmetsch-Service. „Funktioniert super“, sagt Sozialarbeiterin Jana Reinhardt vom Frauenhaus Rathenow aus Brandenburg, wo der Dienst seit Juli genutzt wird. „Vorher war es wirklich schwierig“, sagt Reinhardt. Die finanziellen Mittel hätten oft gefehlt um Dolmetscher*innen und deren Anfahrt zu bezahlen. Man habe sich mit Übersetzungs-Apps geholfen. Der Online-Service funktioniere „sehr schnell“ und man könne sogar Termine vereinbaren, so dass etwa eine fortlaufende Beratung immer wieder mit der gleichen Dolmetscherin durchgeführt werden könne.
In wie viele Sprachen übersetzt werden soll, steht noch nicht fest. Die Details werden in Bremen noch ausgearbeitet. Der Dolmetsch-Dienst soll Anfang des Jahres – in Zusammenarbeit mit der ZGF – europaweit ausgeschrieben werden. Voraussichtlich ab der zweiten Jahreshälfte 2024 soll er, laut Senat, zur Verfügung stehen.
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