Dokumentation über DDR-Mode: Widerstand aus Duschvorhängen
Die DDR verlangte ideologische und visuelle Linientreue. Wie man dagegen rebellierte, erzählt der Dokumentarfilm "Ein Traum in Erdbeerfolie - Comrade Couture".
Kann ein Film von heute verständlich machen, was in den 80er-Jahren in der DDR Menschen dazu brachte, Performances zu organisieren, die zwar "Modeperformances" hießen, mit Mode aber nicht viel zu tun hatten? "Ein Traum in Erdbeerfolie", eine Mischung aus Dokumentarfilm und Beschwörung der letzten DDR-Tage, versucht es. Marco Wilms, der Regisseur, war in der DDR selbst mit Mode befasst: Er wurde 1988 vom Modeinstitut der DDR als "männliches Mannequin" zugelassen. Wichtiger noch für seinen Film aber ist: Er war Teil eines Mode-Undergrounds, dessen Mitglieder kurz vor dem Mauerfall selbstgemachte Klamotten trugen wie Protestbanner.
In "Ein Traum in Erdbeerfolie" geht es nicht um Trend-Victims, die alle sechs Monate die neuesten Pariser Couture-Schnitte über die Grenzen schmuggelten. Nein, Mode diente ihnen als Chiffre - als Reizwort, mit dem sich das DDR-Regime, das nicht nur ideologische, sondern auch visuelle Linientreue forderte, mächtig provozieren ließ.
Man versteht dies nicht gleich in "Ein Traum in Erdbeerfolie". Man will die seltsamen Space-Outfits, die die Designerin Sabine von Oettingen für Performances der Gruppe "Chic Charmant und Dauerhaft" aus Erdbeerfolie, Eingeweidebeuteln der Charité und Duschvorhängen schneiderte, einfach geschmacklos finden. Hat man die Idee begriffen, sehen diese Kreationen aber fantastisch aus, auf politische Weise absurd. Besonders, wenn sie von Sven Marquardt fotografiert wurden, einem Künstler, der in den 80ern für die DDR-Modezeitschrift Sybille arbeitete. Marquardt ist heute als Türsteher des Berliner Techno-Clubs Berghain bekannt, seine Fotografien werden seit einiger Zeit von Galeristen entdeckt.
"Dieses tolle Lebensgefühl wollte ich wiederfinden", erklärt Marco Wilms. Und um die Geschichte dieses visuellen Widerstands zu erzählen, holt er damalige Protagonisten wie Sabine von Oettingen, Frank Schäfer, Angelika Kroker oder Robert Paris vor die Kamera. Sven Marquardt, dessen Fotos den Film stark prägen, bleibt als Person absent. Und natürlich lässt sich "dieses tolle Lebensgefühl" heute nirgends mehr finden.
Der Provo-Gestus, der in der DDR noch funktionierte, funktioniert in der gesamtdeutschen Erlebnis-Demokratie einfach nicht mehr. Frank Schäfer, Make-up-Artist und Friseur, verdeutlicht dies am simplen Beispiel der "Schamhaarfrisuren", die er nach der Wende in seinem Frisörsalon anbot: Schäfer wundert sich noch vor Wilms' Kamera darüber, dass seine "Erfindung" damals keine Welle offizieller Entrüstung zur Folge hatte. Arabella Kiesbauer, Jean-Paul Gaultier - alle wollten den krausen Vorschlag als abgefahrene Erweiterung der modischen Grenzüberschreitungsmöglichkeiten werten. So ist natürlich keine (Mode-)Revolution mehr zu machen - wenn der Totalitarismus in einem totalen Verwertungsprinzip aufgegangen ist!
Dass es ein Totalitarismus war, daran bleibt in "Ein Traum in Erdbeerfolie" kein Zweifel: Marco Wilms interviewt auch Jürgen B., einen ehemaligen Stasi-Offizier, der in der DDR "negative Jugendliche bearbeitete" (um negativ aufzufallen, genügte schon ein Spritzer Glitzerspray im Haar). B. erinnert sich an die Vergangenheit mit einer ihm offenbar satt erhaltenen Gewissheit, damals genau das Richtige getan zu haben.
All dies ist zugleich hochinteressant und schockierend. Leider denkt sich Marco Wilms für das Ende des Films dann etwas ziemlich Gruseliges aus: eine "Ostblockparty", bei der das Anti-Lebensgefühl von damals beschworen werden soll. Sabine von Oettingen schneidert noch mal ihre "Chic Charmant und Dauerhaft"-Outfits nach, und Wilms zieht, bewaffnet mit Megafon, der Bolschewistischen Kurkapelle und Eislers "Solidaritätslied", durch die Alte Schönhauser Straße - so als wolle er ernsthaft testen, ob es ähnlich viel Mut erfordert, die "Mitties" von heute für eine DDR-Party im sanierten Altbau zu begeistern, wie es früher Mut erforderte, mit selbst genähtem Freak-Outfit auf dem Alexanderplatz Dissidenz zu demonstrieren und dafür von Männern wie Jürgen B. "weggesammelt" zu werden.
So lässt sich dem Aktivismus von früher, der Unzufriedenheit, die die Protagonisten zum visuellen Widerstand trieb, natürlich nicht gerecht werden. Letztlich beweist der Film, dass es neben Ostalgie genauso auch so etwas wie eine ostdeutsche Anti-Ost-Nostalgie geben kann. Und man versteht, warum Sven Marquardt sich für solch ein Vorhaben nicht vor die Kamera bewegen lassen wollte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!