Dokumentation über Avantgarde-Musikerin: Björk war regelrecht starstruck
Die 82-jährige Meredith Monk gewann den Goldenen Löwen für ihr Lebenswerk der Biennale Musica. Nun kommt die Dokumentation „Monk in Pieces“ ins Kino.
Die Avantgarde-Künstlerin Meredith Monk darf man wohl als klassischen musician’s musician bezeichnen. Sie wird nicht nur von Popgrößen wie David Byrne oder Björk bewundert – Letztere reagiert bei einem Treffen mit Monk regelrecht starstruck, wie im Dokumentarfilm „Monk in Pieces“ von Billy Shebar und David Roberts zu sehen ist; Monk beeinflusste darüber hinaus Künstler:innen verschiedener Disziplinen.
Einem breiteren Publikum ist sie hierzulande kaum bekannt. Jazzaffine Kreise haben vielleicht einige der Alben auf dem Schirm, die sie seit den frühen 1980er Jahren bei der Plattenfirma ECM veröffentlichte. Für ihr Labeldebüt „Dolmen Music“ (1981) – woraus übrigens DJ Shadow, eine weiterer Fan aus der Popwelt, einige Passagen sampelte – bekam sie seinerzeit den Preis der deutschen Schallplattenkritik.
Die ganze Bandbreite ihres Schaffens kennen jedoch die wenigsten. Neben ihrer Performance-Art komponierte sie, unter anderem die Oper „Atlas“; zudem arbeitete sie als Choreografin und Filmemacherin. Dahinter steckte bemerkenswertes Durchhaltevermögen – obwohl ihre Kunst oft ignoriert, lächerlich gemacht oder missverstanden wurde, gestaltete sie mit Beharrlichkeit ihren ganz eigenen Kosmos.
Ihren männlichen Wegbegleitern aus der New Yorker Downtown-Szene, etwa den Minimal-Music-Pionieren Steve Reich und Philip Glass, wurde da doch wesentlich größere Aufmerksamkeit zuteil. Letzterer empfindet das übrigens bis heute als große Ungerechtigkeit – war und ist Meredith Monk in seinen Augen doch „unter uns allen die einzigartig Begabte“, wie er es im Film formuliert.
Monk gewann den Goldenen Löwen
Immerhin: Im Oktober wird Monk in Venedig den Goldenen Löwen der Biennale Musica für ihr Lebenswerk erhalten. Fast zeitgleich kommt nun dieser kaleidoskopartige Dokumentarfilm in die Kinos. Der ist selbst ein kleines Kunstwerk – und eine gelungene Einführung in ihr vielschichtiges Werk.
Shebar und sein Co-Regisseur Roberts umschiffen dabei jene Fallstricke, die vergleichbare Künstlerporträts bisweilen allzu zäh wie vorhersehbar wirken lassen. So vermeiden sie es, einen „talking head“ an den nächsten zu reihen. Zwar lassen auch Shebar und Roberts renommierte Akademiker und Kritiker Monks Schaffen beschreiben.
Der Witz dabei: In der entsprechenden Sequenz sind sie allesamt nebeneinander in Video-Call-Kacheln über den Bildschirm verteilt und produzieren ein weitgehend sinnfreies Geplapper. Lediglich ein paar Sätze ragen aus dem Gequassel heraus. Das Ganze wirkt wie das verpeilte Gegenstück einer Collage, die an früherer Stelle des Films zu sehen ist. In der umreißt Monk in verschiedenen Interviews ihr künstlerisches Selbstverständnis ganz klar – und, obwohl Jahre zwischen den Aussagen liegen, bemerkenswert konsistent.
Überhaupt lassen die beiden Filmemacher lieber Monk und ihre Kunst sprechen, als Einordnungen vorzunehmen. Statt chronologisch durch ihre Biografie zu führen – Monk wurde 1942 in eine Familie von Berufsmusikern geboren, Nachkommen von jüdischen Einwanderern aus Russland und Deutschland –, stellen die Filmemacher einige ihrer Arbeiten genauer vor.
Mit 82 Jahren immer noch künstlerisch tätig
Besonders eindrücklich ist das Kapitel, in der die mit 82 immer noch künstlerisch tätige Monk Teiles ihres Werks jungen Kolleginnen vermittelt – auf dass ihre Kunst weiterwirkte, wenn sie selbst irgendwann nicht mehr da ist.
1968 gründete sie mit The House ein Ensemble, das verschiedene Formen von Performance-Art zusammenführte. Interdisziplinär arbeitete Monk schon lange, bevor der Begriff zur überstrapazierten Phrase mutierte. Später wurde sie Teil der vielschichtigen Downtown-Szene, in der sich in den späten 1970er Jahren Avantgarde und Subkultur trafen. Und doch hat Monks Schaffen eine aus der Zeit gefallene Qualität.
Regie: Billy Shebar. USA/Deutschland/Frankreich 2025, 93 Min.
Mit ihren sogenannten „extended vocal techniques“ schafft sie es, Gefühle zu kommunizieren, ohne Sprache zu bemühen: zwitschernd, gurgelnd, trillernd, jodelnd. Mit ihrer elastischen, über drei Oktaven reichenden Stimme schafft sie Lautmalereien, die etwas Archaisches, Kulturübergreifendes haben. „Altertümlich und futuristisch zugleich“ wolle sie klingen, erklärte Monk in Interviews.
Dass bei ihr stimmlicher Ausdruck mit körperlicher Bewegung einhergeht, hat mit der Krankheit zu tun, die ihre Kindheit prägte. Sie schielte so extrem, dass sie dadurch motorische Probleme hatte. Ihre Mutter schickte sie wegen dieses Strabismus zur Dalcroze-Eurythmie, einer von dem Musikpädagogen Émile Jaques-Dalcroze entwickelten rhythmischen Gymnastik. Ein Nebeneffekt war, dass Monk fortan Körperempfindungen und stimmlichen Ausdruck zusammendachte.
Empfohlener externer Inhalt

Eine Heilungsgeschichte mit künstlerischem Potenzial – gelang es ihr doch auf diesem Weg, Grenzen aufzubrechen: zwischen Körper und Geist und auch zwischen Emotionen und ihrer Artikulation. Davon profitieren demnächst übrigens auch Studierende in Essen: Monk wird im kommenden Wintersemester die Pina-Bausch-Professur an der Folkwang Universität übernehmen.
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