Dokumentartheater über Signa: Die Blase musste platzen
Der „Aufstieg und Fall des Herrn René Benko“ füllt das Wiener Volkstheater bis auf den letzten Platz. Der Abend wird zum Scherbengericht.
Viel mitgeschrieben wurde an diesem Abend im ausverkauften Wiener Volkstheater, weniger von Notizblockkritiker:innen, die, statt hinzuschauen, gerade einen Einfall notieren, eher von juristischem Personal. Mit „Aufstieg und Fall des Herrn René Benko“ von Calle Fuhr wagt sich das Theater, der von jeher „andere Ort“, diesmal ziemlich nah heran an die realen Stätten des Grauens. Das erfordert große Sorgfalt auch über das ästhetische Verfahren hinaus. Die Schurken der Dramenliteratur können, im Gegensatz zu lebenden Personen, keine Zivilklagen mehr einbringen.
Was ursprünglich als dokumentarisches Fringe-Format für die Nebenspielstätte konzipiert war, füllt nun das Haupthaus bis in den letzten Rang. Die Causa prima der Republik, deren verlustreiche Dominoeffekte weit über sie hinausgehen, weckt einen Bedarf an Orientierungswissen.
Bei allen Abgesängen aufs Theater als Institution bürgerlicher Öffentlichkeit mag es zunächst verwundern, dass es gerade hier gesucht wird. Wäre nicht ein informativer Podcast oder multimedial aufbereites Storytelling hinter der Bezahlschranke eines Qualitätsmediums das bessere Format? Zumindest die Vorstellung davon, zusammenzutreten und gemeinschaftlich zu handeln, macht aus Usern erst Citoyens und Theater überraschenderweise auch dort, wo die spielästhetische Umformung seiner Gestände in den Hintergrund tritt. Der Abend wird zum Scherbengericht, nicht über Personen, sondern die Verhältnisse, die sie hervorbringen.
Calle Fuhr, eigentlich Autor und Dramaturg am Haus, trägt erst einmal vor, was er über René Benko, die schwer nachvollziehbaren Geschäfte der in ihrer Struktur schwer nachvollziehbaren Immobilienholding Signa und die größte österreichische Pleite seit Bestehen der Zweiten Republik aus der Zusammenarbeit des Volkstheaters mit der Wiener Rechercheplattform Dossier weiß und auch sagen kann.
Er zeichnet den Weg nach vom Strukturvertriebskeiler in der Tiroler Provinz bis hin zu einstelligen Platzziffern diverser Vermögensrankings und wieder zurück, folgt der Spur des Geldes, benennt die Entourage, die Mitwirkenden, Investoren, die jetzt eine Armada von Gläubigern stellen, aber jahrelang gut verdient haben, die Kontaktleute zu Banken, Parteien und Regierungen. Es geht um ein Systemversagen, das die oligarchische Verknüpfung von Wirtschaft und Politik erst ermöglicht hat. Die Blase musste platzen, weil sie, als gäbe es kein Morgen, auf Expansion angelegt war.
Wie sieht Kapitalzirkulation auf der Bühne aus?
Der milliardenschweren Pleitekomplex passt in eine One-Man-Show, Fuhr spielt die Varietäten des Genres durch, vom TED-Talk über die Vorlesung zur Stand-up-Comedy. Sendung-mit-der-Maus-artige Videosequenzen erläutern bildhaft abstraktere ökonomische Vorgänge.
Als Bösewichte noch blutige Dolche verbargen, konnte Theater von der Verantwortung des Einzelnen handeln. Aber wie sieht Kapitalzirkulation auf der Bühne aus? Wie geht man damit um, dass die heutigen Akteure zwar reich werden, und falls nicht, lieber zugrunde gehen wollen? Dass das eigentliche Subjekt ihres Handelns ein abstrakter Verwertungszwang ist?
Es kann dieses Missverhältnis nur offen austragen. Pure Clownerie erläutert das Verfahren der spekulativen Aufwertung von Immobilien. Nach Art der „Feuerzangenbowle“ schlüpft Fuhr in die Rolle seines früheren kauzigen Mathelehrers aus dem Rheinland. Der Unernst ist Methode gegen den Ernst der Lage.
Die Helden der Geschichte sind die Journalist:innen der Rechercheplattformen, die das alles ausgegraben haben. Warum es sie überhaupt braucht? Ihnen gegenüber steht das vollständige Versagen einer medialen Öffentlichkeit, die im Wettbewerb um Aufmerksamkeit lange genug das Narrativ des überlebensgroßen Selfmademans genährt hat, das dem des populistischen Führers nicht unähnlich ist. Wenn diese Lichtgestalten an der Sonne verbrennen, wird es gemeinhin sehr teuer.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Verkehrsvorbild in den USA
Ein Tempolimit ist möglich, zeigt New York City
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich