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Dokumentarfilm zum Anschlag von HanauZeugnis ablegen für die Getöteten

Marcin Wierzchowski blickt in dem Dokumentarfilm „Das deutsche Volk“ auf den Anschlag von Hanau aus der Perspektive der Angehörigen und Überlebenden.

Der Markplatz von Hanau mit dem Denkmal der Gebrüder Grimm Foto: Rise and shine Cinema

Ein Vater beschreibt das Mausoleum, das er auf einem Friedhof für seinen Sohn errichtet hat. Das Kreuz ist aus demselben Marmor wie er am Kurt-Schumacher-Platz in Hanau verwendet wurde. Vili Viorel-Păun, der Sohn, ist einer der neun Menschen, die ein deutscher Neonazi am 19. Februar 2020 in Hanau erschoss, bevor er nach Hause fuhr, erst seine Mutter und dann sich selbst tötete. Marcin Wierzchowskis Dokumentarfilm „Das Deutsche Volk“ zeigt das Nachwirken des Anschlags aus der Sicht der Angehörigen und Überlebenden.

Im Februar feierte der Film als Special auf der Berlinale Premiere, nun startet er regulär im Kino. 2021, ein Jahr nach dem Attentat, drehte Wierzchowski bereits den mittellangen Film „Hanau – Eine Nacht und ihre Folgen“ über den Anschlag. Der Film wurde mit einem Grimme-Preis ausgezeichnet. Für „Das Deutsche Volk“ begleitete Wierzchowski die Angehörigen und Überlebenden in den Jahren seit dem Anschlag.

In der Arena Bar, einem der Tatorte, sehen sich Überlebende des Mordens das Video einer Überwachungskamera an. In ihren Erinnerungen an die Zeit, die die Polizei sich gelassen hat, bis sie auf die Notrufe reagierte, und ihrer zögerlichen Reaktion, als Menschen, die vor den Schüssen geflohen sind, sie auf die Tat hingewiesen haben, ist die Empörung unüberhörbar. Trauer steht neben Wut darüber, wie die Überlebenden und Angehörigen nach dem Morden alleingelassen wurden.

Die Stärke von Wierzchowskis Film liegt in der Klarheit, mit der er sich auf die Perspektiven der Angehörigen und Überlebenden konzentriert, und der Empathie, mit der er ihnen in Gesprächen Raum gibt, ihre Erlebnisse in den Tagen direkt nach dem Anschlag, aber auch in der Zeit danach zu schildern. Viele davon sind bis heute unfassbar.

Ein Verletzter als Deckung benutzt

So erzählt einer der Überlebenden, dass er angeschossen noch versuchte, anderen zu helfen, aber immer wieder feststellen musste, dass alle Hilfe zu spät kam. Als er dann schließlich auf dem Parkplatz vor der Arena Bar von Sanitätern behandelt wurde und es hieß, der Täter sei zurück, wurde er von diesen und Umstehenden auf der Liege liegend als Deckung benutzt. Immer wieder berichten Angehörige, dass die Polizei sie stundenlang im Ungewissen gelassen hat.

Den Gesprächen stellt der Film eine Reihe von öffentlichen wie privaten Ritualen an die Seite. Kundgebungen und Mahnwachen erinnern an die Getöteten, aber auch Alltagsgegenstände, die ihnen gehört hatten; das Laden eines Handys, das Betrachten von Bildern ist für einige der Angehörigen zu Elementen der Trauerarbeit geworden.

Der Film

„Das deutsche Volk“. Regie: Marcin Wierzchowski. Deutschland 2025, 132 Min. Filmstart: 04. September 2025.

Die Bilder des Films sind in fotografisch klarem Schwarz-Weiß gehalten, und vermutlich treffen alle Assoziationen, die man dabei haben kann, jeweils ein bisschen zu: der Verzicht auf Farbe als Mittel der Distanz zur Härte des Gezeigten, als Respektbekundung vor den Toten. Wierzchowskis Film ist kein journalistischer Dokumentarfilm, sondern erweist sich bei aller formalen Zurückhaltung mit der Zeit als Essay über die verschiedenen Umgangsweisen mit dem Anschlag und über politische Trauerarbeit.

Sehr zu recht hat der Film nach seiner Premiere auf der Berlinale viel Beachtung gefunden. Dennoch bleibt ein schaler Beigeschmack, der mit der politischen Gegenwart in Deutschland zu tun hat. Nach den Morden des NSU hat Aysun Bademsoy ein Jahr vor dem Attentat in Hanau einen Film über die Perspektive der Überlebenden erstellt. Ähnlich wie Wierzchowskis Film macht „Spuren – Die Opfer des NSU“ sichtbar, wie sehr die Angehörigen alleingelassen wurden.

Die eigentliche Frage aber lautet, wann es endlich nicht mehr nötig sein wird, solche Filme zu machen, weil es die rassistischen Morde nicht mehr gibt

Auch Julian Vogel ist in seiner Trilogie „Einzeltäter“ über die rassistischen Morde am Münchner Olympiazentrum, in Halle und in Hanau ähnlich vorgegangen. Parallel zu „Das Deutsche Volk“ lief auf der Berlinale Martina Priessners „Möllner Briefe“ über die Briefe an die Angehörigen der bei dem Brandanschlag auf ein Wohnhaus in Mölln im November 1992 Ermordeten – Briefe, die die Stadt den Angehörigen jahrzehntelang wissentlich vorenthalten hat.

Diese und andere Dokumentarfilme tragen dazu bei, das Muster aus rassistischen Morden, teils selbst rassistisch motivierten mangelhaften Ermittlungen, einer ebenso mangelhaften Aufarbeitung durch die Justiz und eines jenseits von einzelnen Auftritten empathiebefreiten Agierens deutscher Behörden wenigstens punktuell und auch Jahre nach den Taten öffentlich sichtbar zu halten.

Die eigentliche Frage aber lautet, wann es endlich nicht mehr nötig sein wird, solche Filme zu machen, weil es die rassistischen Morde nicht mehr gibt und die deutschen Behörden ihr Handeln nachhaltig verändert haben. Hoffentlich gibt der Film und die Wut über das Gezeigte einigen seiner Zuschauer_innen für die Zukunft mehr Kraft für Empathie und Solidarität.

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