Dokumentarfilm über Sebastian Kurz: Politik ohne Programm
Der Dokumentarfilm „Projekt Ballhausplatz“ zeigt „Aufstieg und Fall des Sebastian Kurz“. Er bietet das Beispiel einer populistischen Machtübernahme.
Österreich ist mit Sebastian Kurz noch nicht fertig. Das „Projekt Ballhausplatz“ – Codename seiner internen Chatgruppe für den kalkulierten Aufstieg ins Bundeskanzleramt am Wiener Ballhausplatz – ist gescheitert, doch die einen arbeiten sich an den Skandalen seiner zwei kurzen Amtszeiten zwischen 2017 und 2021 ab, die anderen feiern den jugendlichen Egoshooter, der als erster Kanzler der Social-Media-Generation zeigte, wie man mit popkulturellem Kandidaten-Branding und datengetriebenen Kampagnen Wahlen gewinnt.
„Projekt Ballhausplatz“, ein Dokumentarfilm des Wiener Journalisten und Produzenten Kurt Langbein, durchleuchtet die Fassade. Seine Chronik der Ereignisse dekonstruiert das „System Kurz“, soweit möglich, bevor die strafrechtliche Aufarbeitung beendet ist.
Die Crux eines Politiker-Porträts, dass es nur exemplarische Beispiele der praktischen Politik streifen kann, betrifft auch „Projekt Ballhausplatz“.
Der Film beschreibt Entscheidungen in Kurz’ Zeit als Staatssekretär für Integration ab 2011, Außenminister ab 2013 und Bundeskanzler zweier Amtszeiten von 2017 bis 2021, konzentriert sich dabei aber auf die „machiavellistischen“ Methoden, die die Außenwirkung seiner Partei und Politik immer stärker auf ihn und seinen Machtzuwachs als Heilsbringer für das zerstrittene Lager der österreichischen Konservativen zuschnitten – nicht zuletzt durch die kosmetische Kur, den „Schwarzen“ der ÖVP in ewiger Konkurrenz zu den sozialdemokratischen „Roten“ mit der Farbe Türkis ein schillernd neues Image aufzudrücken.
„Projekt Ballhausplatz. Aufstieg und Fall des Sebastian Kurz“. Regie: Kurt Langbein. Österreich 2023, 95 Min.
Türkis war ein Wink Richtung FPÖ, denn mit den „Blauen“ von der rechtsradikalen Partei ging Kurz als Kanzler 2017 die erste Koalition ein – bis zum koksberauschten Traum ihres damaligen Vorsitzenden Strache, der im heimlich gedrehten „Ibiza“-Video von einem Verkauf österreichischer Medien an eine dubiose Russin schwadronierte. Mehr Aufklärung über Kurz und sein Verhältnis zur FPÖ hätten dem Film gutgetan.
Nach „Ibiza“ und Kurz’ Rücktritt 2019 sowie einer zweiten Koalition mit den Grünen 2021 hat sich der Absturz der ÖVP verstetigt, während die FPÖ momentan mit 28 Prozent den höchsten Zuwachs der Umfragewerte für die Nationalratswahlen im September erwartet.
Einladungen zum Interview ausgeschlagen
Frisierte Erfolgszahlen stehen nicht für solide Politik, will „Projekt Ballhausplatz“ vermitteln, dafür muss sich der Film seit der Wiener Premiere vor einem Jahr unter schrilleren PR-Spins behaupten. Ein Film der Kurz-Biografin Judith Grohmann ist in Arbeit, ein Buch des Ex-Kanzlers persönlich erschien im selben Jahr.
Und „Kurz – Der Film“, ein eher unkritisches TV-Porträt, wurde just in der Woche vor dem Kinostart von „Projekt Ballhausplatz“ in einem Wiener Kino platziert. Laut Trailer und Presseecho sprechen da die Vertrauten und der „Bundes-Basti“ selbst. „Erfolg schafft Gefolgschaft“, bringt eine ehemalige Ministerin ihre Faszination auf den Punkt. Kurt Langbeins Einladungen zum Interview schlugen die Kurz-„Prätorianer“ dagegen aus.
Zum Kontext gehört auch, dass Sebastian Kurz im Februar vom Wiener Landgericht zu einer achtmonatigen Bewährungsstrafe wegen Falschaussage verurteilt wurde. Man sah es als erwiesen an, dass er, anders als im parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum „Ibiza“-Skandal behauptet, einem früheren Vertrauten aktiv ins hochbezahlte Amt des Aufsichtsrats der Staatsholding ÖBAG verholfen hat.
Er lege Berufung ein, sagte der inzwischen für die Vereinigten Arabischen Emirate operierende Lobbyist und Unternehmer, sichtlich pausbäckiger geworden, in einem TV-Kanal. Weitere Urteile zu Bestechungsvorwürfen aus seiner Amtszeit stehen noch aus, aber der 37-Jährige hält eisern am Framing des gelassenen Ehrenmanns fest.
Dichte und Logik der Argumente
Kurt Langbein glaubt ihm nicht. „Projekt Ballhausplatz“ beschreibt mit einer Fülle von TV-Ausschnitten und den Statements von Insidern der investigativen Presse sowie Abgeordneten der Oppositionsparteien SPÖ und Neos, wie das „System“, das Kurz mit einer Riege diensteifriger Karrieristen etablierte, seine politischen Ambitionen beflügelte.
Vieles ist bekannt und kursiert im Internet, die Dichte und Logik der Argumente macht aus Langbeins Dokumentation jedoch ein packendes Fallbeispiel populistischer Machtübernahme.
Da war der PR-Move zum „Fremdschämen“, so die Journalistin Barbara Tóth. 2010 lud der abgebrochene Jurastudent und Obmann der ÖVP-Jugend mit dem „Geilomobil“, einem Hummer-Boliden samt Pin-up-Girls, mit seiner „Schwarz-macht-geil“-Kampagne zu den Wiener Gemeindewahlen ein, kultivierte aber zugleich für ältere Fans die Aura des manierlichen Schwiegersohns.
Langbeins Film verzichtet auf Off-Kommentare und satirische Töne, illustriert sein Gefühl schieren Unwohlseins jedoch durch eine prätentiöse Musik. Auch den Running Gag mit einem Hummer, der im Lauf des Films auseinandergenommen wird und – Achtung Metapher! – nichts als hohles Blech enthält, braucht es nicht.
Manipulations- und Korruptionsvorwürfe
2011 Staatssekretär für Integrationswesen, plädierte Sebastian Kurz für bessere Integrationsmaßnahmen, 2013 als jüngster Außenminister Österreichs „in die Weltpolitik gestolpert“, nahm er eine ausgleichende Haltung gegenüber Putin ein (Waffenstillstand in der Ostukraine gegen Lockerung der Sanktionen), setzte aber mit einer harten Haltung die Schließung der Balkanroute für Flüchtlinge durch.
„Wandlungsfähig“ nennt das eine Journalistin, die „geschickte Bewirtschaftung von Stimmungen und Themen“ sieht ein Ex-Politiker der Neos-Partei in Kurz’ Politik ohne Programm.
Mehr zur komplexen europäischen Lage im vergangenen Jahrzehnt muss man sich andernorts anlesen. Der Film konzentriert sich auf die Manipulations- und Korruptionsvorwürfe, die nach dem Bruch mit der FPÖ und der glorreich gewonnenen Wahl zur zweiten Amtszeit ab 2019 ans Licht kamen.
Die Ministerien hatte Kurz durch Generalsekretäre, seine „Prätorianer“, unmittelbar unterstellt. In ständigem Chat-Kontakt setzten sie für ihn Themen und Kampagnen, oft über das ministerielle Personal hinweg und nicht selten mit krimineller Energie.
Eine Warnung vor der Rückkehr
Im Zuge der parlamentarischen Aufarbeitung kam es zu gerichtlich erzwungenen Razzien und einer mysteriösen Schredder-Aktion von Festplatten des Finanzministeriums. Verdachtsmomente, nach denen Kurz als Spitzenkandidat 2019 durch Fake-Umfragen und Medienkampagnen gepuscht und für solche Gefälligkeiten Steuergeld abgezweigt worden war, liegen den Gerichten vor. Aus den dreist-zynischen Chats der Buddies mit Kurz, nicht zuletzt ein Sargnagel für seine Karriere, zitiert Kurt Langbein lakonisch.
Kommt er wie Trump zurück in die Politik? Was bleibt von seinen Erfolgen außer dem 24-Stunden-Betrieb der Wiener U-Bahn an den Wochenenden? Kurt Langbeins Schurkenstück warnt.
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