Dokumentarfilm über Klezmermusik: Abdrücke einstigen Lebens
„Das Klezmer-Projekt – In mir tanze ich“, ein argentinischer Doku-Spielfilm, geht den Spuren der traditionellen Klezmermusik in Osteuropa nach.
Zu den schönen Dingen am Medium Film gehört, welch poetische Wirkung es haben kann, wenn Echtes und Erfundenes zu einem Ganzen vereint werden. Mitunter kommt dabei etwas so Charmantes heraus wie „Das Klezmer-Projekt“, ein origineller Debütfilm, der mithilfe einer halbfiktiven Rahmenhandlung ein Thema lebendig macht, das es als reine Dokumentation wohl schwer hätte, einen Verleih zu finden.
Diese Rahmenhandlung enthält eine Liebesgeschichte und geht so: Der Kameramann Leandro, der sich mit dem Abfilmen von Hochzeitsfeiern durchs Leben schlägt, verliebt sich in die Klarinettistin Paloma, die er auf einer dieser Feiern kennenlernt.
Paloma interessiert sich sehr für die Herkunft der Klezmermusik, die sie mit ihrer Band spielt, und plant deswegen eine Forschungsreise nach Osteuropa – ziemlich ans andere Ende der Welt also, denn Paloma und Leandro leben in Argentinien, wohin ihre jüdischen Vorfahr*innen einst ausgewandert sind.
Um Paloma nahe sein zu können, behauptet Leandro, sowieso gerade eine Dokumentation über Klezmer zu drehen, und reist ihr hinterher. Zunächst ist er mit einem österreichischen Produzenten unterwegs, später trifft er Paloma und den US-amerikanischen Musikethnologen Bob Cohen, der in Budapest lebt. Einigermaßen desillusioniert reist das österreichische Team irgendwann ab, denn das Drehbuch, das Leandro eingereicht hat, ist nicht einmal annähernd zu realisieren, da es die vielen großartigen Klezmerbands, die er hineinfantasiert hat, schlicht nicht gibt.
Verschwundene jiddische Kultur
Aber Leandro gibt die Suche nicht auf. Und es ist wohl so, wie Bob Cohen es sinngemäß formuliert: Die einstige jiddische Kultur sei verschwunden, aber sie habe wie in einem Negativ ihre Abdrücke hinterlassen. Und die ließen sich weiterhin finden.
Die „Abdrücke“ sind die vielen, vielen Musikerporträts, aus denen dieser Film zum großen Teil besteht: Mal ist es ein Dorfpostbote, der nebenbei mit seiner Geige die musikalischen Traditionen der Gegenden südlich der Karpaten bewahrt, mal erleben wir ein cooles argentinisches Klezmer-Duo aus Blockflöte und Gitarre, dann eine rumänische Dorfkapelle in vollem Trachtenornat.
Die Musiker sind fast immer männlich – nur der Postbote wird von seiner Tochter begleitet –, und musiziert wird für die Kamera oft in Wohnstuben, die opulent mit bunten Tüchern und Wandteppichen ausstaffiert sind.
Längst nicht alles, was gefilmt wird, ist Klezmer, aber oft ist irgendwie Klezmer mit drin. Denn die Musikanten haben über Generationen aufgesogen und weitergegeben, was in ihrer Gegend gespielt wurde, und die Kulturen haben sich überlagert und gegenseitig beeinflusst. Sowieso seien die Juden früher, wenn sie Musik für eine Hochzeit brauchten, oft zu den Zigeunern gegangen, sagt einer.
Stimme im Off
Über dieser musikalisch-dokumentarischen Ebene liegt wie ein doppeltes Wahrnehmungsprisma die Rahmengeschichte. Denn während der Film Bilder von Leandro und Paloma zeigt, liest im Off die Stimme einer Frau eine Geschichte auf Jiddisch. Sie handelt vom jungen Jankel, der sich in Taibele, die Tochter des Dorf-Rabbis, verliebt und ihr in die Stadt folgt, wohin sie geflohen ist, um in Freiheit lernen zu können.
„Das Klezmer-Projekt – In mir tanze ich“. Regie: Leandro Koch/Paloma Schachmann. Österreich/Argentinien 2023, 110 Min.
Die Geschichte von Jankel und Taibele hat ebenso wenig ein konventionelles Happy End wie jene von Leandro und Paloma – und wie die Geschichte von zweien, die auszogen, um die traditionelle Klezmer-Musik in Osteuropa zu finden. Was dort einmal war, gibt es nicht mehr.
Aber wer sucht, der findet außer den Abdrücken des Gewesenen immer auch vieles andere. Und weil das trotz allem irgendwie sehr schön ist, haftet diesem durch und durch menschenfreundlichen, träumerischen Pseudo-Doku-Roadmovie, das dieser Film geworden ist, so gar nichts Melancholisches an.
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