Dokumentarfilm „Mapplethorpe“: Die Politik des Penis fehlt
In ihrem Künstlerportrait nähern sich Fenton Bailey und Randy Barbato dem Fotografen Robert Mapplethorpe vor allem über dessen Biografie an.
Neulich ertappte ich mich in einem Gespräch mit einer Kollegin über einen Dokumentarfilm bei der Bemerkung: „Trotzdem bin ich froh, dass ich den Film gesehen habe.“ Es ging um den Film „Chemsex“, dem weder sie noch ich formal oder inszenatorisch etwas abgewinnen konnten. Dennoch konnten wir allein in der Vermittlung der Inhalte – es geht darum, wie der Konsum chemischer Drogen Teile der Londoner Schwulenszene zerstört – einen Mehrwert sehen.
Als Filmkritiker die Relevanz eines Themas so pauschal über die Mise en Scène zu stellen und Film als ästhetische Erfahrung damit quasi zu negieren, kam mir falsch vor. „Na ja, es gibt halt keinen anderen Film zu dem Thema“, meinte ich dann noch fast trotzig und sagte damit eigentlich nur, dass es über alles und jeden einen Film geben müsse. Muss es das?
Mit „Mapplethorpe: Look at the Pictures“ der Regisseure Fenton Bailey und Randy Barbato kommt jetzt ein vom Fernsehsender HBO produzierter Dokumentarfilm in die Kinos, über den man ebenfalls sagen könnte, er sei wichtig – und das ist auch nicht gelogen. Den einen großen Film über den 1989 an Aids verstorbenen Fotografen, dessen ikonische Porträt- und männliche Aktfotografien längst ihren festen Platz in der zeitgenössischen Kunstgeschichte gefunden haben, gibt es nämlich noch nicht. Aber hätte er ausgerechnet so ausfallen müssen?
An Archivmaterial, Zeitzeugen und anderen Menschen, die bereitwillig über Robert Mapplethorpe Auskunft geben, mangelt es den Regisseuren jedenfalls nicht, aber vielleicht liegt darin das größte Problem: Von ArchivarInnen des Getty Research Institute zu Familienmitgliedern über ehemalige Liebhaber und Redakteure, von Priestern über Weggefährten zu Prominenten und Porträtierten wie Debbie Harry oder Gloria von Thurn und Taxis dürfen alle erzählen, was Robert Mapplethorpe so für ein Mensch war.
Ein „teuflischer Junge“
Extrem ehrgeizig und fast skrupellos anderen gegenüber war er. Jemand, der sehr viele Liebhaber hatte und seinen Charme zu nutzen wusste. Ein Künstler, dessen Pornografie „nicht zweitklassig“ war, ein „teuflischer Junge“, der seinen Geschwistern Zigarettenasche in den Mund steckte, und ein Mann, der viele Drogen nahm – all das war Robert Mapplethorpe, wenn wir den Aussagen der Überlebenden glauben, auf die der Tote nicht mehr antworten kann.
Indirekt tut er dies schon, denn aus wohl erst kürzlich wiederentdeckten, teils verkratzten Tonbandaufnahmen spricht der Künstler wie ein Geist manchmal in den Film, und man wünschte sich, er würde nicht ständig von denjenigen unterbrochen, deren Relevanz eher darin besteht, dass sie Mapplethorpe kannten, als in dem, was sie zu sagen haben.
„Mapplethorpe: Look at the Pictures“. Regie: Fenton Bailey, Randy Barbato. USA/Deutschland 2016, 109 Min. Filmstart: 03.11.2016
„Die Kunst nahm ihn ein“, weiß da Bruder Edward Mapplethorpe zu berichten. „Er versteckt nicht, was er tut“, weiß wiederum eine Kuratorin über das berühmte Selbstporträt zu erzählen, in dem Mapplethorpe in Lederoutfit und mit Peitsche im Rektum direkt in die Kamera blickt.
Dass Mapplethorpes Bilder dabei bis zum Abbruch von Ausstellungen führten, weil US-Senatoren die Nahaufnahmen von Penissen nicht als „ästhetische Kunst“ anerkennen wollten, macht der Film in einer dramatischen inhaltlichen Klammer deutlich und nutzt dabei eben die Momente des Skandals, die es sich gelohnt hätte, genauer zu betrachten.
So sehr wir heute an die Aktbilder Mapplethorpes gewöhnt sind, ist das transgressive Potenzial seiner Bilder, nicht nur in Hinblick auf das tödlich homophobe Klima in den USA während der Aidskrise, nicht zu gering einzuschätzen. Als radikaler Pionier einer Ästhetik des schwulen Begehrens, dessen Fetische von SM-Sex, Leder und später von den schwarzen Körpern und Penissen seiner Liebhaber bestimmt waren, hätte Mapplethorpe eine politische Auseinandersetzung verdient, in der Biografisches, Psychologisches und Anekdotisches in den Hintergrund treten. Eine Auseinandersetzung zudem, die für die ästhetischen Strategien eines Künstlers eine überzeugende visuelle Übersetzung findet und nicht nur ein schnell geschnittenes Potpourri an „Material“ und sprechenden Köpfen zu bieten hat.
Wenn ein Film automatisch dadurch wichtig wird, weil er eine Person porträtiert, die einen wichtigen Beitrag zur Zeitgeschichte geliefert hat, stimmt etwas nicht im Kino. In Bezug auf filmische Künstlerporträts und Dokumentarfilme über schwule Aktivisten ist das allerdings leider keine Ausnahme. Bin ich trotzdem froh, den Film gesehen zu haben? Solange es keinen besseren Film zum Thema gibt: irgendwie, ja.
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