Doku über Massaker in Indonesien: Vielleicht war der Fisch verdorben
„The Act of Killing“ handelt von politischen Morden in den 60er Jahren in Indonesien. Die Täter von einst setzen sich ohne Reue in Szene.
Joshua Oppenheimers Dokumentarfilm „The Act of Killing“ beginnt mit einer Totalen, die aus gemessenem Abstand auf eine unwirkliche Szenerie blickt. Tänzerinnen in festlichen Kostümen entsteigen erst einer Riesenkarpfen-Installation und performen dann vor einem rauschenden Wasserfall.
In der zweiten Einstellung dieser weichzeichnerisch gefilmten Musical-Phantasie mischen sich zwei Männer unter das Ensemble, einer schwarz gewandet, der andere im Kostüm einer Drag Queen und grell geschminkt. Schließlich wird die ohnehin instabile Fiktionsschicht von einer Regiestimme zerstört, die den Film, den wir sehen, in ein Making-of verwandelt. Sie gibt den Schauspielern einen Rat, den diese im Folgenden denkbar gründlich ignorieren werden: „Don’t let the camera catch you looking bad.“
Die große, anhaltende Irritation, die „The Act of Killing“ auslöst, hängt wesentlich damit zusammen, dass den männlichen Hauptdarstellern jeder Sinn dafür zu fehlen scheint, auf welch fundamentale Weise sie sich selbst in ein schlechtes Licht rücken.
Die beiden Männer, Anwar Congo und Herman Koto, stellen den Film durch dieses Bewusstseinsdefizit vor ein moralisches und geschichtspolitisches Problem, das ästhetisch nicht folgenlos bleiben kann: Wie filmt man Massenmörder, die glauben, nichts zu verbergen zu haben?
Reenactment von Folterszenen
Die Kamera muss hier nämlich niemanden „erwischen“ oder heimlich überführen, sondern nur registrieren, was offen ausgesprochen und mit unverstelltem Vergnügen nachgespielt wird. Zum Making-of wird Oppenheimers Film, weil die Mörder selber einen Film drehen wollen. Eine fiktionale Verpackung soll dieser bizarre Historienfilm nicht deshalb haben, um die darin gezeigten Taten geschickter leugnen oder abschwächen zu können.
Im Gegenteil: Angestrebt wird deren drastische Ausschmückung. Die sinnfreien Tanzeinlagen vor Naturkulisse sollen als Ornamente lediglich den allgemeinen Unterhaltungswert steigern.
Anwar Congo liebt das amerikanische Kino. Früher handelte er mit Eintrittskarten auf dem Schwarzmarkt. Jetzt will er seine Geschichte als Genrestück nachgebaut und erinnert wissen. Congo möchte Cowboy und Gangster sein. Das Reenactment der Folterszenen wünscht er sich im Stil eines Film noir. Die Filmsets triggern die Artikulation eines Tätergedächtnisses, das ohnehin keine Widerstände kennt.
Verblendungszusammenhang namens „Domino-Theorie“
Aber um welche Geschichte geht es eigentlich? Auf die einordnende Vermittlung des historischen Kontexts verwendet Oppenheimer kurze Schrifteinblendungen zu Beginn. Den Rest kann, muss man nachlesen, auch weil der dazugehörige Ereigniszusammenhang nicht nur in der bis heute propagandistisch überformten kollektiven Erinnerung der Indonesier, sondern auch im globalen Gedächtnis der Massenmorde des 20. Jahrhunderts eine Position am Rande des Vergessens einnimmt.
Congo ist ein lokaler Protagonist jener paramilitärischen Todesschwadronen, die 1965/66 ein landesweites, diffus antikommunistisches Massaker verübten – agitiert durch Einheiten von General Suharto, dessen Militärdiktatur sich im parallel dazu laufenden Gründungsmoment als Verteidigung gegen einen linksnationalistischen Putsch inszenierte. Defensiven Schätzungen zufolge wurden dabei eine halbe Million Menschen ermordet: Mitglieder der kommunistischen Partei, spontan als Staatsfeinde deklarierte Bürger, vor allem ethnische Chinesen.
Im Dunkeln liegen bis heute die genaueren Umstände des rechten Gegenputsches, den Suhartos Schergen „Saison der Hackmesser“ tauften. Unzweideutig ist im Rückblick hingegen die geopolitische Konstellation: Die Westmächte standen unter dem ideologischen Verblendungszusammenhang namens „Domino-Theorie“ und schauten tatenlos bis zustimmend zu. Insbesondere den USA war an einem mindestens „blockfreien“ Indonesien gelegen. Suharto dankte es ihnen bekanntlich später in Vietnam und Osttimor.
Mit Schutzgelderpressungen schikaniert
Dass alles, der Kontext, aber auch jede Form offener Widerrede, bleibt bei Oppenheimers Vorgehen im Off. Er konzentriert und verlässt sich ganz auf das pathologische Spektakel, das die Täter zur eigenen Belustigung und Opferverhöhnung inszenieren. Einmal tanzt Anwar Congo auf einer Terrasse beschwingt Cha-Cha-Cha, nachdem er ausführlich demonstrieren durfte, welche Drahtkonstruktion sich an eben dieser Stelle als effizienteste Mordwaffe erwiesen hatte.
Über sieben Jahre lang hat Oppenheimer sich immer wieder mit seinen Protagonisten getroffen, sie gefilmt, ihnen das Drehmaterial vorgeführt. Mit Werner Herzog und Errol Morris fungierten schließlich zwei sehr unterschiedliche Meister des spekulativen Dokumentarfilms als ausführende Produzenten.
Seine plausibelsten Momente hat „The Act of Killing“ bei der Beobachtung der indonesischen Gegenwart, der die Setzung einer politischen und gesellschaftlichen Zäsur zur Ära des Massakers bis heute nicht wirklich gelungen ist. Ein tumber Schläger wie Herman Koto kann hier für ein Regionalparlament kandidieren.
Die aggressiv orangefarbene Uniform der Pancasila-Jugend, jener paramilitärischen Miliz, die den Massenmord wesentlich zu verantworten hat, versetzt noch immer viele Menschen in Nordsumatras Hauptstadt Medan in Angst und Schrecken. Man sieht etwa, wie die verbliebene chinesische Community mit Schutzgelderpressungen schikaniert wird und Frauen den exzessiven männlichen Chauvinismus der reaktionären Nationalisten ertragen müssen.
Bizarrer Fiktionsschub
Für den Film, den Anwar Congo im Entstehen wähnt, lassen sich auch die heutigen Führer der Pancasila leicht erwärmen. Einer spielt bei der Nachstellung eines Dorfmassakers fröhlich mit und zögert nach der Performance nur kurz, ob das blutrünstige Element nicht doch etwas zurückgenommen werden müsste.
Den mit Abstand bizarrsten Fiktionsschub produziert allerdings keine der immer wirrer werdenden Reenactment-Szenen, bei denen die Täter schließlich mit trashigen Slasher-Film-Masken auch die Rollen der Opfer spielen, sondern die Aufzeichnung einer Talkshow des indonesischen Staatsfernsehens. Eine realgesellschaftliche Bühne zeigt sich da, auf der sich Congo und seine Kameraden ungehindert als „freie Männer“ feiern lassen können. In der medialen Routine wird deutlich, wie kompatibel die Vorstellungswelt der Täter mit der offiziellen Staatsdoktrin ist.
„The Act of Killing“. Regie: Joshua Oppenheimer. Dokumentarfilm, USA 2012, 115 Min.
„The Act of Killing“ ist durch seine Entscheidung, ganz der Perspektive, der Inszenierungslust, dem fehlenden Schuldgefühl der Mörder zu folgen, zum höchst befremdlichen Spiegelbild einer Siegergeschichtsschreibung geworden. Darin ist der Film konsequent, aber auch effektheischend – und vor allem schwer erträglich. Nur an einer Stelle wird der Zuschauer aus dieser geschlossenen Einfühlung in die reale und imaginäre Bildproduktion der Täter entlassen, wenn ein beiläufiger Blick tatsächlich einmal profund hinter die Kulissen fällt und zeigt, wie die Techniker, die die Talkshow produzieren, voller Verachtung Congos jovial vorgetragene Geschichtsreminiszenzen kommentieren.
Diesen kurzen Gegenblick schwächt Oppenheimer allerdings wieder ab, insofern „The Act of Killing“ sich doch auf eine kleine Katharsis-Pointe meint einlassen zu müssen. Noch einmal betritt Congo die Terrasse, auf der so viele Unschuldige durch seine Hände zu Tode kamen. Plötzlich überkommt ihn ein heftiger Würgreiz, hindert ihn minutenlang am Sprechen. Als würden die historischen Tatsachen immerhin seinem Körpergedächtnis in ihrer faktischen Monstrosität vorliegen. Vielleicht wird dem Zuschauer aber nur wieder ein Außenblick vorenthalten, der hier verraten würde, dass Anwar Congo an diesem Abend nicht zum ersten Mal nachhaltig von seiner Schuld eingeholt wird, sondern verdorbenen Fisch gegessen hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Gastbeitrag in der „Welt am Sonntag“
Bequem gemacht im Pseudoliberalismus