Doku „Sgt. Pepper’s Musical Revolution“: Es geht nur um die Musik
Ein Musiklehrer erklärt zum 50-jährigen Jubiläum das Album „Sgt. Pepper’s“. Dabei geht es nicht um die Beatlesmania, sondern um Harmonien und Töne.
E s muss wirklich nicht noch einmal gesagt werden. Wenn es etwas gibt auf der Welt, was wirklich jeder weiß, dann das: dass „Sgt. Peppers Lonely Hearts Club Band“ das großartigste Album, ja das Größte überhaupt in Sachen Musik ist, dass es je gegeben hat. Weshalb übrigens auch die immer mal wieder bemühte Beatles/Stones-Dichotomie ein einziger großer Irrtum ist.
Die Rhythm-and-Blues-Cover-Band um den hysterischen Zappelkobold war nie ein Maßstab, an dem die Beatles sich hätten messen müssen. Vielmehr ging es darum, eine angemessene Antwort auf das – aus heutiger Sicht – zweitgrößte Gesamtkunstwerk der Popmusikgeschichte zu finden, die genau ein Jahr zuvor erschienenen „Pet Sounds“ der Beach Boys.
Wie gesagt, es muss, es müsste nicht noch einmal gesagt werden – doch der rührige Kultursender Arte lässt es sich nicht nehmen. Hat er doch diesen Sommer 2017, in dem sich die Veröffentlichung von „Sgt. Pepper’s“ zum fünfzigsten Mal jährt, zum „Summer of Fish ’n’ Chips“ erklärt. Zeigt er also zwischen Richard Lesters Beatles-Film „A Hard Day’s Night“ und dem Konzert, das der treulose John Lennon 1972 mit Yoko Onos Plastic Ono Elephant’s Memory Band in New York gegeben hat, dieses einzigartige Stück …, nun ja: Schulfernsehen.
Keine Beatlemania
Arte: „Sgt. Pepper’s Musical Revolution“ (23:25 Uhr)
In „Sgt. Pepper’s Musical Revolution“ geht es einmal nicht um die Beatles als Phänomen der Popkultur, um unbedarfte Jungs in einem Hamburger Stripclub, das Swinging London, die Beatlemania, die Frage, ob die Beatles berühmter waren als Jesus und so weiter. Es geht nur um: die Musik.
Da steht also ein Mann, der nicht mehr ganz jung ist, zu jung aber, um 1967 schon genug Taschengeld bekommen zu haben für „Sgt. Pepper’s“, vor seinem Keyboard und haut in die Tasten. Typ moderner Musiklehrer, der eben weiß, dass es außer der Wiener Klassik auch noch anderes gibt. Howard Goodall ist Filmkomponist – etwa der Fernsehserie „Mr. Bean“. Hier spielt – und singt – er nun mit sichtlicher Begeisterung die „Sgt. Pepper’s“-Songs an, um vorzuführen, was er vorher oder hinterher über Harmonien und Modulationen, über Polyphonie und Kontrapunkt zu dozieren weiß. „She’s Leaving Home“ zum Beispiel: „In der westlichen Musik gab es lange vor Dur und Moll das alte modale System von Kirchentonleitern. […] Paul hat sich aber bestimmt nicht vorgenommen, eine modale Tonleiter zu schreiben. Das geschah eher intuitiv. Modi sind tief in den anglo-keltischen Folksongs seiner Jugend verankert.“
Zeitgenössische Einflüsse
Aber natürlich waren die Beatles auch aufgeschlossen für zeitgenössische Einflüsse, Cage und Stockhausen. So wiesen sie ein vierzigköpfiges Orchester nach dem Prinzip der aleatorischen Komposition an: „Die Musiker sollten mit der tiefsten Note ihres Instruments beginnen und dann so viele Noten frei dazu spielen, wie sie wollten, solange die Tonhöhe dabei ansteigt und sie am Ende dabei auf einer der drei Noten des E-Dur-Akkords landen, idealerweise in der höchsten Stimmlage ihres Instruments.“ Zwischendurch haben die Beatles, die sich mit dem damaligen Standard von vier Aufnahmespuren nicht zufrieden geben wollten, noch das Sound-Sampling und das Bouncen erfunden.
Es war dies die Zeit vor den alles vermögenden Handy-Apps, als es noch echten Sportsgeists bedurfte in einer Situation, in der die Aufzeichnungsmaschinen noch keine variable Geschwindigkeitsfunktion hatten (man verlangsamte die Geschwindigkeit, indem man die Stromversorgung manipulierte.) Und wurde schon gesagt, dass die Beatles mit dem mit indischen Sitar-Klängen eben nicht nur dekorierten „Within You Without You“ en passant auch die Weltmusik begründet haben?
Es darf bei all der Lobpreisung nicht unterschlagen werden, wem die Beatles den entscheidenden Anstoß für ihre Heldentat zu verdanken hatten: ihren Fans. Nur weil die es sich zur Regel gemacht hatten, bei den Beatles-Konzerten so ohrenbetäubend laut zu schreien, dass am Ende nicht einmal mehr die Beatles selbst sich noch hören konnten, konnten die Beatles sich dazu entschließen, künftig keine Konzerte mehr zu geben. Nur weil sie dadurch die Sorge los waren, ihre Platten auch live aufführen zu müssen, hatten sie plötzlich alle kompositorischen Freiheiten. Und möglich wurde „Sgt. Pepper’s“, das großartigste Album, das es je gegeben hat …
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