Doku-Film über Sexismus und Gewalt: Obszöne Vulven, gefeierte Penisse
#Female Pleasure lässt fünf Aktivistinnen aus fünf Perspektiven erzählen. Trotz schockierender Berichte hat der Film etwas Empowerndes.
Die japanische Künstlerin Rokudenashiko wurde 2014 verhaftet und von PolizistInnen in Handschellen abgeführt, weil sie einen 3D-Abdruck ihrer Vulva anfertigte. Ein Verstoß gegen japanische Sittengesetze, hieß es. Gleichzeitig bejubelten tausende Menschen einen riesigen Phallus bei einem shintoistischen Fruchtbarkeitsfest und saugten an kleinen Penis-Lutschern. Vulven sind obszön und Penisse werden gefeiert.
Das ist einer der Widersprüche im gesellschaftlichen Umgang mit Geschlecht, die der neue Dokumentarfilm #Female Pleasure von Barbara Miller veranschaulicht. In der beim Filmfest Locarno erstmals gezeigten Doku stehen fünf Aktivistinnen aus fünf unterschiedlichen Kulturkreisen im Vordergrund. Ohne erzählende oder kommentierende Instanz aus dem Off berichten die Protagonistinnen von der Gewalt, die sie erlebt haben: Vergewaltigungen, Genitalverstümmelung und Zwangsehen. Szene für Szene legen sie brutale gesellschaftliche Strukturen frei, die den weiblichen Körper und die weibliche Sexualität dominieren und kontrollieren. Weltweit und kulturübergreifend.
Es geht „um die jahrtausendealte und leider immer noch brandaktuelle strukturelle Dämonisierung des weiblichen Körpers, über alle religiösen und kulturellen Schranken hinweg“, fasst Regisseurin Barbara Miller zusammen.
Unterschiedliche Formen der Misogynie
Neben Rokudenashiko ist auch die Autorin Deborah Feldman eine der Protagonistinnen des Films. Sie wuchs in einer chassidischen Gemeinde – einer sehr traditionelle Ausprägung des Judentums – in Brooklyn auf. Als junge Frau wurde sie zwangsverheiratet. „Ich musste mit einem Unbekannten Sex haben, ob ich wollte oder nicht.“ Unaufgeregt und sachlich erzählt Feldman von der Macht, die die Gemeinschaft über Frauen ausübt. Der weibliche Körper gelte als Ursprung allen Übels und unterliege daher strengsten Regeln. Für eine Frau sei es unmöglich, innerhalb der Gemeinde frei über ihren eigenen Körper zu verfügen.
Eine weitere Geschichte erzählt Leyla Hussein. Sie ist Somalierin und hat als Siebenjährige eine Genitalverstümmelung erlitten – so wie 200 Millionen Frauen auf der ganzen Welt. An einer überdimensional großen Vulva aus Knete demonstriert sie das brutale Vorgehen zu Aufklärungszwecken.
Viele Frauen könnten nie wieder sexuelle Lust empfinden nach der Prozedur. Daher sei auch die Beschneidung bei Jungen nicht mit denen bei Mädchen vergleichbar – da müsste man den ganzen Penis entfernen. Mit einem Messer. „Wir müssen immer wieder erklären, dass es falsch ist. Ich habe es so satt!“ Leyla Hussein engagiert sich in Projekten gegen die Verstümmelung von Mädchen und betreibt Aufklärungsarbeit auf der ganzen Welt.
„Ich beschloss, das Schweigen zu brechen“
Immer wieder werden frauenfeindliche Zitate aus den heiligen Schriften der fünf Weltreligionen eingeblendet. Es geht um althergebrachte, starre Mechanismen der Misogynie. „Und die weltweiten Parallelen dabei sind erschreckend“, stellt Miller fest. Sie bietet keine Analyse dieser religiösen oder kulturellen Strukturen und gibt keine Antworten auf das große „Warum?“, das einem als ZuschauerIn immer wieder vor Augen steht. Das ist gut so. #Female Pleasure zieht seine Stärke aus den schonungslosen Geschichten der Protagonistinnen. Er lässt die Frauen für sich sprechen und hält sich formal zurück.
Anfängliche Bedenken, dass der Film besonders drastische Einzelschicksale zeigt, erfüllen sich nicht. Miller illustriert kein überzogenes Bild der Realität. Im Gegenteil: Die fünf Aktivistinnen stehen für eine Großzahl an Frauen, für die brutale, frauenfeindliche Lebensrealitäten Alltag ist.
„#Female Pleasure“, Regie: Barbara Miller, Mit Deborah Feldman u.a., Schweiz/Deutschland 2018, 97 Min, Kinostart: 8. November 2018.
Auch die Bedenken, dass #Female Pleasure mit seinem Fokus auf die Religion die moderne, westliche Welt vor den Vorwürfen verschont, bestätigen sich nicht. Zu Beginn wird die ZuschauerIn mit sexistischer Werbefotografie konfrontiert und fragt sich noch, was das mit Genitalverstümmelung zu tun hat. Retrospektiv drängt sich eine Gewissheit auf: Frauenhass kann je nach Kontext völlig unterschiedliche Formen annehmen und sexistische Werbung ist ein Teil von Misogynie.
Die Auswahl der engagierten Protagonistinnen hat noch eines gemeinsam: Sie sind allesamt Frauen, die das Schweigen gebrochen und der Gewalt den Kampf angesagt haben. Durch das Darstellen der politischen und emanzipatorischen Aktivitäten der fünf Protagonistinnen, schafft der Film es, trotz der brutalen Berichte, empowernd zu wirken.
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