Disneyfilm „Alles steht Kopf 2“: Umbau in der Schaltzentrale
Im Team mit Neid und Zweifel: Der Animationsfilm „Alles steht Kopf 2“ findet neue Bilder für das Drama der Pubertät – im Gehirn.
Neurowissenschaft als Knubbelmonsterkabinett: Mit dem Animationsfilm „Alles steht Kopf“ von Pete Docter und Ronaldo del Carmen gelang Disney 2015 ein Kassenhit. Dabei war die Prämisse für die Geschichte um die neugeborene Riley eher trocken. Der Film erzählte die Entstehung von Rileys Emotionen in ihrem Kopf, genauer in ihrem Hirn. Mit personalisierten Emotionen in Gestalt bunter Figuren.
So ähnlich hatte das der Regisseur Woody Allen in einer Episode seiner Komödie „Was Sie schon immer über Sex wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten“ im Jahr 1972 zuvor erfolgreich durchgespielt. Bei ihm agierten im Gehirn lediglich echte Schauspieler statt Zeichentrickfiguren. Die für Disney unter ökonomischen Gesichtspunkten interessante Lektion: Das Publikum für fantasievoll gestaltete Bilder aus dem Oberstübchen ist mithin vorhanden.
Mit „Alles steht Kopf 2“ gibt es jetzt denn auch eine Fortsetzung unter der Regie von Kelsey Mann. Das Personal aus dem ersten Teil ist weiterhin vorhanden, wieder sorgen sich die farbigen Emotionen Freude, Kummer, Angst, Wut und Ekel um die Geschicke der jungen Riley.
Sie gehen gewissenhaft ihrer Arbeit nach, sortieren die Erinnerungen von Riley, die in Gestalt von bunten Kugeln bei ihnen in der Schaltzentrale eintreffen, ein ins Langzeitgedächtnis, wo sie hübsch ordentlich in Regalen landen, oder unter „zu Vergessendes“, das dann weit entfernt auf einem großen Haufen landet.
Aus Erinnerungen wachsen Überzeugungen
„Alles steht Kopf 2“. Regie: Kelsey Mann. USA 2024, 96 Min.
Die schönsten Erinnerungen legen sie in einem Teich ab, aus dem leuchtende Fäden, womöglich Synapsenbahnen, emporwachsen, die Rileys Überzeugungen bilden. Zusammen ergeben sie ihr Selbst beziehungsweise ihr Selbstbild, zusammengefasst im Satz „Ich bin ein guter Mensch“. Das Team der Emotionen kabbelt sich mitunter etwas, doch eigentlich läuft alles gut, fast ein bisschen langweilig.
Diese Arbeit und das daraus entstandene Selbstbild werden jedoch buchstäblich erschüttert. Gerade als eine neue unerfreuliche Erinnerung auf die „Müllhalde“ befördert wurde, leuchtet eine rote Lampe am Kontrollpult auf, die noch niemand vorher bemerkt hatte. „Pubertät“ steht darunter.
Kurz darauf rauscht eine Abrissbirne durch eines der Fenster der Schaltzentrale, gefolgt von blauen Kullermännchen mit Bauhelmen, die den Innenraum zu verwüsten scheinen. Auf die entsetzte Frage, was die Zerstörung soll, erhalten die Emotionen die Antwort, dass Platz für „die Neuen“ geschaffen werde.
Diese Neuen sind eine Handvoll Emotionen, die in dieser Lebensphase zu Rileys Persönlichkeit hinzukommen. Sie heißen Zweifel, Neid, Ennui und Peinlich. Zweifel ist orange und sieht ein bisschen aus wie der hysterische Bruder von Ernie aus der Sesamstraße, Neid ist klein, rund und grünblau, Ennui eine lila Bohnenstange und Peinlich ein pummeliger rosa Koloss mit großer Nase, der den Rest seines Gesichts meistens unter einer Kapuze versteckt.
Abstraktes Denken kubistisch dargestellt
In „Alles steht Kopf“ ging es seinerzeit vor allem um die Emotionen und ihren „Platz“ im Gehirn, was mit wunderbar variierten Bildern verdeutlicht wurde. Für die Darstellung von abstraktem Denken etwa wählten die Filmemacher einen an den Kubismus gemahnenden Zeichenstil, der in seiner eckigen Flächigkeit einen scharfen Kontrast zu den sonst dreidimensional weich animierten Figuren bildete.
Für den zweiten Teil hat sich Kelsey Mann mehr auf das vorhandene Bildarsenal verlassen und stattdessen auf die neuen Figuren konzentriert. Wie diese langsam lernen, miteinander klarzukommen, ist dabei der interessantere Teil der Handlung als die äußere Geschichte.
Denn Riley steht nicht nur an der Schwelle der Pubertät, sie wechselt auch auf die High School. Für die begabte Schülerin soll ein Eishockey-Trainingscamp entscheiden, ob sie zudem in das von ihr bewunderte Team aufgenommen wird. Zweifel sollen sie an diesem Wochenende ebenso begleiten wie Neid, Scham und gelegentliche Langweile. Selbst Sarkasmus gehört fortan zu ihrem Gestenrepertoire.
Aus dem an Stellen merklich didaktischen Plot macht Kelsey Mann eine kurzweilige Dramedy, in der die komischen Anteile klar überwiegen. Man mag die Grundannahme des Films, die Persönlichkeitsentwicklung auf neurowissenschaftlicher Basis zu schildern, für reduktionistisch halten.
Der Vorteil dieses Ansatzes ist allerdings, dass sich damit herrliche Bilder finden lassen. Und Gelegenheit für Quatsch bietet er obendrein. Denn die Erinnerungen Rileys speisen sich unter anderem aus Zeichentrickserien und Computerspielen, die als verdrängte Erinnerung zurückkehren. Und die können zur Not für rettende Einfälle sorgen. Psyche macht eben erfinderisch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind