Diskussion um grünen Innensenator: „Nicht jeden Posten bespielen“
Die Berliner Grünen sollen sich auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren, sagt der Parteienforscher Michael Lühmann. Das Innenressort gehört nicht dazu.
taz: Herr Lühmann, sind die Berliner Grünen reif für das Amt des Innensenators?
Michael Lühmann: Reif sind die Grünen für alles Mögliche. Ob es klug ist, jeden Posten anzustreben, der ihnen angeboten wird, ist allerdings eine andere Frage.
Inwiefern?
In Rheinland-Pfalz etwa haben die Grünen 2011 das Wirtschaftsministerium übernommen und wurden dafür bei den darauf folgenden Landtagswahlen abgestraft. Die Wähler waren – das zeigen die Kompetenzwerte – auch nach fünf Jahren nicht der Meinung, dass die Grünen Wirtschaftspolitik können.
Aber Berlin gilt ja als besonders progressive Stadt. Wäre das nicht das richtige Experimentierfeld, um so etwas auszuprobieren?
Sicher ist Berlin eine Experimentierfeld, etwa für die Zukunft des Wohnens, des Arbeitens, der Mobilität, der Integration. Aber progressive Polizeipolitik, das wäre aus grüner Sicht die falsche Priorität. Außerdem sind mit dem Amt des Innensenators viele unpopuläre Entscheidungen verbunden.
Die Grünen müssten zum Beispiel Abschiebungen verantworten.
Ja, und ich glaube nicht, dass sich solche Entscheidungen reibungsfrei in die Partei kommunizieren lassen. Schließlich besteht auch der Berliner Landesverband nicht nur aus Realos, die solche Dinge klaglos mittragen. Eine solche Zerreißprobe muss man sich nicht ohne Not ins Haus holen. Insofern ist der Posten des Innensenators ein vergiftetes Angebot der SPD.
ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Göttinger Institut für Demokratieforschung mit Schwerpunkt Parteienforschung.
Die Realos argumentieren, ein Grüner könnte das Amt des Innensenators menschlicher und integrativer gestalten – grüner Humanismus statt Law and Order. Was ist davon zu halten?
Natürlich können die Grünen in diesem Amt vieles besser machen. Und dennoch: Das was sie gut machen, würde durch Einzelfälle zerstört. Denn die unangenehmen Dinge muss man eben trotzdem verantworten. Und gerade auf einem verminten Terrain wie der Migrationspolitik kann man mit Sachpolitik kaum reüssieren. Eine einzige emotionale Entscheidung, die dem grünen Senator angelastet wird, kann dann die ganze Legislaturperiode prägen.
Die Grünen sollten sich also auf das konzentrieren, was sie können?
Natürlich. Auch wenn sie es vor ein paar Jahren gerne geworden wären, sind die Grünen nun mal keine Volkspartei. Sie müssen nicht jeden Posten bespielen können. Ihre Kompetenz liegt in der Ökologie. Das sehen auch die Wähler so, wie Umfragen stets aufs Neue bestätigen. Und ausgehend von diesem Denkgebäude, dem ökologischen Denken, lassen sich viele andere Probleme angehen: sozialpolitische Fragen, Verteilungspolitik und so weiter. Das sollten die Grünen beherzigen und nicht aus einem falsch verstanden Pragmatismus alle möglichen Ämter anstreben.
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