Diskussion um Vier-Tage-Woche: Noch weniger ist mehr
Da ist sie wieder – die Forderung nach einer Arbeitszeitreduzierung, die sich Mitarbeitende auch leisten können. Die Idee kann ausgeweitet werden.
D en Freitag beim Wort nehmen: vier Tage die Woche Lohnarbeit, und dann ab ins verlängerte Wochenende. Diese Idee versuchen derzeit sowohl die IG Metall als auch die Linkspartei zu popularisieren. Der Moment zur Reanimierung der alten Forderung, die Wochenarbeitszeit zu reduzieren, ist günstig. Die ohnehin laufenden Prozesse zur digitalen Umstrukturierung der Großindustrie erfahren in der Pandemie erhöhte Aufmerksamkeit und Dringlichkeit.
Auch wenn zumindest der Vorschlag der Gewerkschaft hie und da recht positiv aufgenommen wurde – selbst Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) kann sich vorstellen, bei teilweisem Lohnausgleich der steigenden Produktivität zugunsten der Arbeitnehmer*innen Rechnung zu tragen – melden sich erwartbar negative Stimmen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, der CDU-Wirtschaftsrat und andere Profitpropheten mit gutem Kapitalkontakt sind, nun ja, skeptisch.
Dass ein Großteil der Beschäftigten in den Niedriglohnjobs der Gig-Economy nicht im Interesse einer besseren Work-Life-Balance auf Einkommen verzichten kann, stört die Kapitallobby dabei nicht so sehr. Ihre Sorge gilt den durch angeblich nötige Neueinstellungen steigenden Lohnnebenkosten, denn der Staat ist ja bekanntermaßen unersättlich; und wird doch eigentlich nur dazu gebraucht, das Vermögen der Investor*innen vor dem Corona-Armageddon zu bewahren.
Schön sozialdemokratisch
Da ist es doch schön, dass es noch die eine oder andere Instanz gibt, die es wagt zu fragen, ob gesellschaftlicher Wohlstand nicht ein kleines bisschen fairer verteilt werden könnte, und sei es mit diesem Freizeitausgleich.
Statt dies allein den Tarifverhandlungen in Schlüsselbranchen zu überlassen, wäre ein politischer Vorstoß auf Bundesebene, wie von der Linken vorgeschlagen, vielleicht keine schlechte Idee. Klar, in der Großen Koalition wird das nicht zu realisieren sein. Ein schicker Wahlkampfslogan aber für den Kanzlerkandidaten der SPD, Olaf Scholz, könnte das doch sein: „Am Freitag gehört die Mami mir.“
Das ist schön sozialdemokratisch, ohne gleich jenes ganz große Fass aufmachen zu müssen, was für eine derbe Zumutung der erzwungene Verkauf der eigenen Arbeitskraft überhaupt ist. Also, traut euch!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin