Diskussion um #Metoo: Bitte keine Sprechverbote!
Die Debatte um sexuelle Gewalt wird ergebnisarm versanden. Und das liegt weniger an der Sache, sondern an der Gesprächsunkultur.
D ieser Text muss damit rechnen, ganz grundsätzlich abgewiesen zu werden – der Autor ist ein Mann, wenngleich einer, der in Sachen Anbahnung von Geschlechtsdingen heterosexueller Prägung nichts mitzureden hat. Aber das ist womöglich ein besonderer Nachteil, denn reden sollen nur Betroffene, Opfer der Umstände, die sie beklagen. In der öffentlichen Arena soll nur Legitimität haben, wer die Annahme teilt, alles an den weltweit geäußerten Klagen über Männer und durch sie verübte sexualisierte Gewalt sei unterschiedslos gewichtig.
Weinstein, Spacey und alle anderen Männer: Die Debatte um sexuelle Gewalt wird ergebnisarm versanden. Und das liegt weniger an der Sache selbst, an mauernden Männern, sondern an einer Gesprächsunkultur, die alle Differenzierungen mit Empörungsgesten abweist.
Meine Kollegin Fatma Aydemir mokierte sich in dieser Woche über den Zeit-Redakteur Adam Soboczynski und seinen Text „Überreizte Debatte“, der die Unterzeile trägt: „Wer Vergewaltigungsfälle dazu nutzt, kleine Alltagsrechnungen zu begleichen, verharmlost schwere Straftaten.“ Sie schreibt: „Wie kommt eine Person auf die Idee, dass alltägliche Belästigungen und Übergriffe Nichtigkeiten seien, die nicht der Rede wert sind? Eben, weil diese Person nicht tagtäglich von diesem Verhalten betroffen ist. Am Ende von Soboczynskis polemischem Text bleibt nur noch eins hängen: Wer (noch) nicht vergewaltigt wurde, soll besser die Klappe halten und nicht über Sexismus klagen. Es bleibt zu hoffen, dass genügend Leser*innen erkennen: Diese Position ist einfach nur belanglos.“
Davon abgesehen, dass Soboczynski tatsächlich an keiner Stelle seiner Bitte um Differenzierung von „Nichtigkeiten“ spricht, wird ihm ein „belanglos“ hinterhergerufen, was auch so interpretiert werden kann: Was er sagt, ist nicht interessant – weil er keine Frau ist.
Der Kollege der Zeit ist ein Mann, aber eine Art Sprechverbot bekam auch am vorigen Sonntag die Schriftstellerin Heike-Melba Fendel verpasst. In der Talkshow „Anne Will“ wagte sie es, das Gebot der Dauerbetroffenheit zu verletzen: Sie wies darauf hin, dass in Hollywood keine #Metoo-Solidaritätsbekundung interesselos geäußert werde, dass es sozusagen zum promotionell guten Ton gehört, ein „Ich auch!“ hinterherzutwittern, weil das im Gespräch hält.
Die Art, wie etwa Ursula Schele, Vorsteherin einer in Kiel beheimateten Institution für „Gewaltprävention“, Heike-Melba Fendel in dieser Sendung ins Wort fiel, sie mit aggressiv-fürsorgerischer Art zu verunmöglichen suchte, war verblüffend. Es schien, als ob ein Rederecht nur hat, wer die Gebote der Erkenntnisse Frau Scheles akzeptiert: Frauen – überall und immer Opfer.
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Dabei sind es gerade Stimmen wie von Fendel oder Soboczynski, die wichtig wären, um das, wofür inzwischen das Wort „Weinstein“ steht, besser zu verstehen. Mit Erklärungen zur Belanglosigkeit von Statements oder augenrollend vorgetragenen Einschüchterungen ist es ja nicht getan – sie befriedigen nur den kleinen Abwertungsimpuls des anderen in einer Debatte. Denn muss nicht tatsächlich auseinandergehalten werden, ob eine Frau Opfer eines Verbrechens wurde – einer Vergewaltigung etwa? Oder ob sie einen miesen Spruch erntete, auf den zu antworten ihr nichts Passendes einfiel? Oder sich nicht verwahren konnte gegen ein Grabschen?
Man könnte die Debatte jetzt anreichern durch das Fachpersonal aus den Polizeien und den Rechtsinstitutionen: Wie epidemisch ist denn wirklich die Rate von Gewalt gegen Frauen? Was ergeben die Ermittlungen – auch Befunde von Falschanschuldigungen? Oder ist spätestens an dieser Stelle die Gelegenheit gekommen, schärfste Missbilligung auszusprechen? Andererseits: Gab es nicht den Fall des TV-Meteorologen Jörg Kachelmann, der fälschlich der Vergewaltigung bezichtigt wurde, wie ein Gericht bestätigte – und der trotzdem im Milieu des Feminismus mit der moralischen Anklage leben muss, er sei nur mangels Beweisen freigesprochen worden – aber eigentlich doch der Täter?
Was ist mein Anteil an den Geschlechtsverhältnissen?
Die Schauspielerin Annette Frier gab am Mittwoch der Berliner Zeitung zu Protokoll: „Wir brauchen keinen Sexismus-Tüv mit zweijährlicher Hauptuntersuchung und Prüfplakette. Wenn wir über Sexismus und sexuelle Gewalt als eine besonders miese Spielart des Machtmissbrauchs sprechen, dann finde ich ein anderes Gedankenspiel interessant: Wo bin ich selbst eigentlich anfällig dafür, Macht auszuüben? Wie nutze ich als Mutter meine argumentative Überlegenheit gegenüber den eigenen Kindern aus? Wie verhalte ich mich im Beruf? Spiele ich damit, wie ich auf Männer wirke – besonders dann, wenn es ‚wichtige‘ Männer sind? Nehme ich in Besprechungen Blickkontakt vor allem zu denen auf, die etwas zu sagen haben, weil es mir auf sie ankommt, egal, ob Mann oder Frau?“
Frier, recht verstanden: Die #metoo-Geschichten sind komplizierter gewirkt als eine jede Empörung vermuten möchte. Die Bekundung der Schauspielerin hat vor allem für sich, dass sie auf jede Opferhaltung verzichtet, vielmehr sich selbst ins Spiel bringt: Was ist mein Anteil, dass die (heterosexuellen) Geschlechtsverhältnisse so sind, wie sie noch sind?
Ihre Sprechposition lädt zur Debatte ein und schließt sie gegen Unliebsame (Fendel, Soboczynski etc.) nicht ab. Sie fragt: Was ist die Macht von Frauen – und verhindert damit, dass die Frau als solche zur zartgliedrigen und chronisch wehrlosen Figur abgewertet wird. Wie gesagt: Hierbei geht es nicht um Kriminelles, um Verbrechen, um die sich die Staatsanwaltschaft zu kümmern hat. Hier geht es um den Alltag, um das, was Soboczynski „kleine Alltagsrechnungen“ nennt: Sie mögen nicht vermischt werden mit dem, was durch die Strafgesetze geahndet werden kann.
Das wäre ungefähr der Rahmen, in dem ein produktives Sprechen möglich sein könnte – seitens der Männer. Nicht wie Volker Schlöndorff, Filmregisseur, der Dustin Hoffman in Schutz nahm (Delikt: vulgäre Sprüche am Filmset). Eher von Männern, die nur dies berichten: Welche Ängste treiben sie? Welche Demütigungen (durch Männer, auch durch Frauen) ertragen sie? Wie wehren sie sich gegen die Traditionen – und was wünschen sie im Sinne eines besseren (Sex-)Lebens? Sollen sie doch erzählen, wo sie selbst übergriffig wurden, wie schon geschehen, leider viel zu oft in Büßerpose. Und Frauen könnten auch gleich berichten, welche Täterinnenfantasien sie hegen.
Sprechen lohnt sich bestimmt, vielleicht nicht immer gleich in der Zeitung, aber darüber etwa: Wie soll Sexuelles überhaupt sein? Als Vertragsverhandlungen? Wie geht dann Verführung? Wie kann Überwältigung (nicht: Vergewaltigung!) gelingen, sofern beide das wünschen? Sprecheinschränkungen oder Abwertungen von Sprechenden wegen ihrer Haltungen oder gar wegen ihres Geschlechts: wertlos, alles.
Es ist eine Erscheinung, die uns aus den Universitäten anweht: dass nur noch Betroffene von dem, was sie angeht, reden dürfen. Keine hellhäutigen Menschen über People of Colour, nicht diese über weiße Personen. Alle reden über alles – das wäre schon mal ein Fortschritt.
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