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Diskussion über offene BriefeEin gewisser eitler Akt

Momentan hat er wieder Konjunktur. Eine Veranstaltung im Literaturhaus Berlin widmete sich dem offenen Brief als Ausdrucksform.

Schon im Treppenhaus empfing den Besucher der Brief „J'accuse…!“ von Émile Zola Foto: Archiv

Schon im Treppenhaus empfing den Besucher ein Ausdruck des berühmten offenen Briefs von Émile Zola, den er an den französischen Präsidenten adressiert hatte: „J’accuse…! Lettre au Président de la Rèpublique“, hob dieser an. Der am 13. Januar 1898 auf der Titelseite der Tageszeitung L’Aurore veröffentlichte Text gab der Dreyfus-Affäre eine entscheidende Wendung. Seitdem gilt der Ausdruck „J’accuse“ als mutige öffentliche Meinungsäußerung gegen Machtmissbrauch.

Solche, vermeintlich mutigen Meinungsäußerungen hat es in letzter Zeit nun wirklich zuhauf gegeben. Allein als Reaktion auf die israelische Reaktion gegen den Terror der Hamas gab es weltweit zahlreiche offene Briefe mit teilweise namhaften Unterschreibern. Meistens ging es darin gegen Israel. Immerhin ein offener Brief hatte den deutschen Literaturbetrieb dazu aufgefordert, sich eindeutiger gegen Antisemitismus zu positionieren.

Die Jahresauftaktveranstaltung „Miteinander reden! J'accuse! Der offene Brief: literarisch, politisch, medial“ des Literaturhauses Berlin vorigen Donnerstag hätte reichlich Stoff gehabt, nur sollte es darum – zumindest um den Inhalt dieser Briefe – nicht gehen. Man wolle sich dem Thema vielmehr mit den „Mitteln der Literatur“ nähern, so die Leiterin des Literaturhauses, Janika Gelinek. Also formal. Zum Jahresauftakt sollte es politisch nicht gleich Krach geben, könnte man schlussfolgern.

Nicht ohne Folgen

Drei der vier Podiumsgäste der unterhaltsamen Abendveranstaltung hatten bereits selbst offene Briefe unterschrieben. Während die Schriftstellerin Nora Bossong schon solche für afghanische Kulturmachende, für Julian Assange oder die Kunstfreiheit unterschrieben hatte, konnten die Autoren und Schriftsteller Dmitrij Kapitelman und Hasnain Kazim jeweils nur einen Brief vorweisen.

Dmitrij Kapitelman zum Beispiel war einer der drei Verfasser des offenen Briefs für die Einführung einer Parlamentspoetin aus dem Jahr 2022 gewesen. Hasnain Kazim hatte mal einen offenen Brief darüber verfasst, dass er nicht in der ehemaligen Schule seiner Frau zusammen mit einem AfD-Politiker auftreten möchte.

So ein offener Brief, lernte man, bleibt für die Unterzeichner und Verfasser nicht ohne Folgen. Es sei der „größte Shitstorm“ gewesen, den er je erlebt hätte, so Kapitelman. Dabei sei es in seinem doch bloß um die Einführung einer Parlamentspoetin gegangen.

Schon die Moderatorin Miriam Yung Min Stein hatte in ihrer Einführung darauf verwiesen, dass auch der offene Brief Zolas nicht folgenlos geblieben war. Nachdem er angeprangert hatte, dass das Militär, nationalistische und klerikale Kreise an der Verurteilung des Hauptmanns Dreyfus lediglich aus antisemitischen Gründen festhalten würden, schickte man ihm eine Briefbombe und versuchte ihn in seiner Kutsche in die Seine zu schubsen. Um der Gefangennahme zu entgehen, musste er schließlich nach England fliehen.

Das Konzept der „Freimütigkeit“

„Warum nur würde man sich dieser Gefahr aussetzen?“, fragte Kapitelman, zu Recht. Während er sich das in seinem eigenen Fall nicht zu erklären können schien, wusste zumindest eine Literaturwissenschaftlerin Antwort, die ebenfalls mit auf dem Podium saß.

Anna Lorenz erklärte, dass der offene Brief sich auf das Konzept der „Freimütigkeit“ stütze. Der späte Foucault feierte dies als „Parrhesia“, was so viel wie „offene Rede“ bedeutet.

Der offene Brief, erklärte sie, habe dabei ein strukturelles Problem, und zwar der „Mehrfachadressierung“. Aber auch dass er kein Gespräch auf Augenhöhe suchen würde. Ein offener Brief wolle keine Antwort. Hasnain Kazim formulierte das etwas simpler. Eine Unterschrift unter solch einen Brief sei schon „ein gewisser eitler Akt“.

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