Diskussion über Wohnen in Berlin: „Das ist die neue große soziale Frage“
Ephraim Gothe (SPD) und Florian Schmidt (Grüne), Baustadträte in Mitte und Kreuzberg, über Mieten- und Baupolitik in einer sich rasant verändernden Stadt.
taz: Dürfen wir Ihnen zur Wahl als Baustadtrat gratulieren, Herr Gothe und Herr Schmidt?
Ephraim Gothe: Ich bin sehr glücklich, dass ich da wieder bin, wo ich schon mal war. Anders als Florian habe ich mich ins Amt zurückgekämpft. Du bist da ja mehr oder weniger holterdipolter reingerutscht.
Florian Schmidt: Ephraim war auch der Erste, den ich angerufen habe, um zu erfahren, ob das Sinn macht.
Was hat er denn geantwortet?
Schmidt: Er hat gesagt, es sei wichtig, dass auch Personen wie ich in so ein Amt kommen. Also Aktivisten oder Leute, die bisher gar kein politisches Amt angestrebt haben. Die eine Agenda haben oder auch schon ein bisschen was bewegt haben und sich fragen, ob es sinnvoll ist, jetzt auf die andere Seite zu gehen.
Sie begreifen sich immer noch als Aktivist?
Schmidt: Meine Ausbildung ist Stadtsoziologe, dann bin ich Projektemacher und Aktivist. Beides geht schon stark ineinander über.
Gothe: Du hast auch gefragt, ob der Job kompatibel mit dem Familienleben ist.
Schmidt: (lacht) Ja, das stimmt.
Gothe: Ich habe neben zwei großen Söhnen eine kleine Tochter, die noch nicht ganz zwei ist. Bisher habe ich es geschafft, zwei Nachmittage die Woche die Kleine von der Kita abzuholen. Was natürlich nicht ausschließt, dass man abends noch zu einer Veranstaltung geht. Das ist nicht einfach. Aber wenn man es schafft, ist es schön. Die Zeit, die ich mit dem Kind verbringe, hat auch etwas Entspannendes.
Schmidt: Ich hab schon Lob vom Leiter des Grünflächenamtes bekommen. Er findet das toll, wie ich es mache. Meine Sekretärin weiß, dass es zwei Nachmittage gibt, an denen ich um 16 Uhr gehe. Danach werden keine Termine gemacht.
Herr Gothe, an zwei Nachmittagen dürfen Sie entspannen, der Rest der Woche ist dann wieder das Amt dran. Was sind denn Aktivisten für einen Baustadtrat? Nur eine Bereicherung? Oder können die auch nerven?
Gothe: Was ich von 2006 bis 2011 gelernt habe, war, dass Aktivisten eine politische Bereicherung sein können und auch ein Gewinn für das Projekt am Ende selber. Wenn man so was hat, und Mitte hat ja eine breitgefächerte Struktur an Bürgerinitiativen, ist das ein Vorteil.
Sehen das Investoren auch so?
Gothe: Investoren finden das erst mal unangenehm, wenn man da noch eine dritte Kraft hat, die mitmischt.
Und in der Verwaltung?
Gothe: In der Verwaltung ist es, zumindest im Stadtplanungsbereich, inzwischen selbstverständlich. Wir erarbeiten derzeit die Bürgerleitlinien für Bürgerbeteiligung, wo auch definiert wird, dass es beim Neubau einer Schule oder dem Umbau einer Kita eine adäquate Form der Bürgerbeteiligung geben muss.
Auch der Koalitionsvertrag verspricht ja mehr Beteiligung. Was konkret wird sich ändern?
Schmidt: Das betrifft vor allem die Wohnungsbaugesellschaften in der Stadt.
Bisher war es so, dass die – etwa auf der Fischerinsel – gesagt haben, wir bauen und damit basta.
Schmidt: Es soll künftig frühzeitiger informiert werden. Das Ganze soll offener gestaltet werden, und auch die Quartiersentwicklung ist ein Thema. Ich hab noch gut Ephraims Initiativenkataster in Erinnerung, das du damals erstellt hast.
52, Baustadtrat in Mitte. Schon von 2006 bis 2011 hatte der SPD-Politiker diesen Job, bevor er als Staatssekretär für Bauen und Wohnen in die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung wechselte. Gothe pflegt den Kontakt zu vielen Initiativen, unter anderem hat er sich als Stadtrat gegen den Verkauf des Ex-Rotaprint-Geländes an den meistbietenden Investor eingesetzt.
Gothe: Und das ich jetzt aktualisiert habe.
Schmidt: Das ist wichtig, damit auch die Initiativen untereinander wissen, wer was macht. Und die Bürger und die Verwaltung wissen, wen man ansprechen kann. Für mich ist das Teil von einem Maßnahmenpaket, mit der die Beteiligung auf solidere Füße gestellt werden soll, wobei ich auch gar nicht von Beteiligung sprechen würde, sondern von Zusammenarbeit. Perspektivisch braucht es da eine Stelle: eine Art Aktivierungs- und Schlichtungsbeauftragten, möglichst jemand, der da draußen auch Credibility hat. Wir haben in Friedrichshain-Kreuzberg viele Initiativen, ohne die wären bestimmte wichtige Themen gar nicht auf der Agenda. Das sind richtige Kompetenzzentren, die muss man einbinden.
Gothe: Ich finde Zusammenarbeit auch besser als Beteiligung. Beteiligung klingt so gönnerhaft. Aber noch mal zurück zu den Wohnungsbaugesellschaften: Man muss da den Prozess sehen. Die mussten ja erst daran gewöhnt werden, überhaupt wieder Neubau zu machen. Der nächste Schritt ist jetzt, dass sie sich stärker um Partizipation kümmern. Ich glaube, das wird sich gut einspielen.
Bisher gab es beim Thema Neubau immer wieder Gerangel zwischen Bezirken und Senat. Gerade strittige Projekte hat der Senat häufig an sich gezogen. Was ist hier Ihre Erwartung an Rot-Rot-Grün?
Schmidt: So etwas wird es nicht mehr geben. Das wird jetzt nur noch in gegenseitigem Einvernehmen passieren.
Herr Gothe, sind Sie genauso optimistisch, dass die Linken-Bausenatorin Katrin Lompscher hier anders agiert als ihr Vorgänger Andreas Geisel?
Gothe: Ja. Wir kennen uns lange und kommen gut auf einen gemeinsamen Nenner. Ich erwarte ebenfalls, dass es solche Probleme nicht mehr geben wird.
Schmidt: Das Dreieck aus linker Bausenatorin, SPD-Finanzsenator und grünen oder SPD-Baustadträten ist interessant, und bisher sind die Erfahrungen hier sehr positiv. Das ist ein gutes Gleichgewicht.
Haben Sie sich über den Koalitionsvertrag gefreut?
Gothe: Ich war völlig erledigt an dem Abend. Aber als ich den Vertrag bekommen habe, konnte ich nach einem ersten Blick gar nicht mehr aufhören zu lesen, so viele tolle Sachen stehen da drin. Das ist eine sehr, sehr ambitionierte Vereinbarung.
41, Stadtsoziologe, für die Grünen Baustadtrat in Friedrichshain-Kreuzberg. Hat sich als Aktivist einen Namen gemacht. Als Leiter des Projektbüros Kreativquartier Südliche Friedrichstadt setzte er sich für ein Konzeptverfahren für die Baufelder des ehemaligen Blumengroßmarkts ein; Mitinitiator der Initiative Haus der Statistik und des Runden Tisches Liegenschaftspolitik.
Schmidt: Ich habe mich über vieles im Vertrag gefreut. Gleichzeitig geht es jetzt darum, die Sachen schnell umzusetzen. Zum Beispiel beim Thema Vorkaufsrecht: Wir haben hier im Bezirk Häuser, da müssen wir sofort zuschlagen, wenn wir die der Verwertungsmaschine entziehen wollen. Da können wir nicht auf den geplanten Fonds warten, da muss es Ad-hoc-Lösungen geben mit dem Finanzsenator, weil wir das Geld jetzt brauchen. Bisher klappt diese Zusammenarbeit aber sehr gut.
Sind die Bezirke genügend ausgestattet, um das Instrument Vorkaufsrecht, bei dem es oft sehr schnell gehen muss, genügend auszuschöpfen?
Gothe: Wenn man mal nicht schnell genug war, ärgert man sich auf jeden Fall, aber man lernt dann beim nächsten Mal. Da sind wir gerade noch im Prozess. Es ist aber schon die Frage, ob man für diese komplizierte Thematik mit ihren vielen rechtlichen Fallstricken nicht auch eine zentrale Stelle bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung einrichten könnte, damit sich nicht jeder Bezirk einzeln einarbeiten muss.
Schmidt: Aus meiner Sicht ist das größte Problem der Personalmangel. Teilweise müssen wir entscheiden: Wenn wir uns jetzt um dieses Haus kümmern, fehlen die Ressourcen für ein anderes. Aber ich bin nicht sicher, ob man das zentralisieren sollte, denn der Kontakt zu den Mietern ist sehr wichtig, und der ist im Bezirk einfacher. Wir wurden hier teilweise von Mietern gezwungen, das Richtige zu tun. Dieser wichtige Druck von unten könnte bei einer zentralen Stelle stärker abprallen.
Wer so stark die Wichtigkeit der Initiativen betont, schürt natürlich Erwartungen. Wie gehen Sie damit um, wenn Sie die nicht erfüllen können?
Schmidt: Da muss man ehrlich sprechen: Auf der einen Seite hat man eine Verwaltung, die personell und rechtlich nur das tun kann, was sie tun kann. Auf der anderen Seite muss man eigenes politisches Engagement auch darüber hinaus zeigen. Das ist dann ohne Garantie, aber es kann zum Beispiel auch bedeuten, dass man sich mit dem Eigentümer mal hinsetzt und versucht, etwas zu erreichen. Und wenn wir nichts machen können, dann müssen wir Strukturen bereitstellen, damit der Protest in Schwung kommt. Warum gibt es zum Beispiel am Mehringplatz, wo ein privater Investor große Wohnungsbestände vermarkten möchte, noch keine Initiative wie Kotti & Co? Da sehe ich mich auch in der Rolle, das in diese Kieze hineinzutragen und da etwas anzuregen.
Gibt es Pläne in Ihren Bezirken, weitere Milieuschutzgebiete zu schaffen?
Gothe: In Moabit und Wedding haben wir schon solche Wartekandidaten identifiziert, bei denen das der Fall sein könnte. Im Soldiner Kiez zum Beispiel gibt es Anzeichen dafür, das muss man jetzt abwarten und dann gegebenenfalls reagieren.
Beim Neubau gibt es gerade in bereits sehr verdichteten Bezirken wie Ihren die Tendenz, dass es in die Höhe geht. Ist das etwas, womit die Nachbarschaften sich dann abfinden müssen, weil es nicht anders geht?
Gothe: Ob ein Projekt Qualität hat und gut angenommen wird, hängt nicht von der Höhe ab, sondern davon, wie es entsteht. Momentan haben wir bei uns in Mitte drei sehr interessante Projekte: Im Brunnenviertel gibt es eine Kooperation zwischen der Degewo und einem Projekt, das zum Mietshäusersyndikat gehört. In Moabit arbeiten die WBM und die Gesellschaft für Stadtentwicklung (GSE) zusammen. Und das Gelände der Wiesenburg im Wedding soll die Degewo gemeinsam mit einer Initiative entwickeln. Das ist ein sehr zukunftsfähiges Modell, dass eine landeseigene Wohnungsbaugesellschaft das Grundstück bekommt und dort dann gemeinsam mit einem zweiten Partner etwas entwickelt.
Erfordert das Umdenken? Es gab in Berlin auch Fälle, wo die landeseigenen Unternehmen alternative Projekte wie das Mietshäusersyndikat ausgestochen haben.
Schmidt: Das war das alte Regime. Jetzt geht es neu los, durch solche Kooperationen und auch durch Konzeptverfahren, bei der Vergabe, wo es dann auch Unterstützung gibt für Projektmacher, die keine Vollprofis sind. Es geht darum, dass die Bürger ihre Stadt selbst gestalten können. Das kann dann auch dazu führen, dass etwa eine Verdichtung ausgehalten wird, gegen die sonst vielleicht vor allem argumentiert wurde aus dem Gefühl heraus, hier einfach etwas vorgesetzt zu bekommen von jemandem, der noch nicht mal gefragt hat.
Bürgerbeteiligung als Universalmittel?
Schmidt: Es wird ja auch eine Zielvereinbarung über künftige Verdichtungen geben, und da werden gerade wir als Innenstadtbezirke natürlich hart um unsere wenigen Grünflächen verhandeln müssen. Da muss man groß denken: Ich finde die Beobachtung interessant, dass Kreuzberg auch in Brandenburg entsteht, dass Menschen mit alternativen Lebensentwürfen dort Kolonien gründen, oft in verlassenen Höfen. Das finde ich richtig, weil es den Druck wegnimmt, dass alle, die so drauf sind, in Kreuzberg leben müssen. Mit intelligenter Wegeplanung müsste das nicht so sein. Wenn jeder, der hierhin kommt, um in einem neuen Start-up zu arbeiten, auch hier wohnen will, drückt das die Preise natürlich nach oben.
Was ist mit dem sogenannten bösen Kapital? Wie gehen Sie mit Investoren um, die ganz klar im Widerspruch zu Ihren Vorstellungen von Stadtentwicklung stehen?
Gothe: Von bösem Kapital würde ich nicht sprechen, aber es gibt schon Negativbeispiele. Das Stadtbad Wedding ist so eins: Da hat der Investor jahrelang davon geredet, was er alles Tolles machen will mit dem Gebäude, und am Ende verkauft er es mit ordentlichem Gewinn weiter und der neue Eigentümer lässt es abreißen, um dort Mikroapartments zu bauen. Da kann man dann nur noch Schadensbegrenzung machen und ein bisschen über die Gestaltung des Neubaus verhandeln.
Schmidt: Es ist ja so, dass sich auch mit sozial verträglichen Projekten durchaus eine solide Rendite erwirtschaften lässt. Die Spekulationsspitzen sind für die meisten eigentlich verzichtbar, man muss also versuchen, da das Gespräch zu suchen und dafür zu sorgen, dass trotz der Renditeerwartung wenigstens etwas einigermaßen Gutes entsteht.
Politiker, die über ihre Bezirksgrenzen hinaus berühmt geworden sind, gibt es nicht viele. Wie wollen Sie in die Geschichtsbücher eingehen?
Schmidt: Mein Schlachtruf ist die Frage, wie wir den Bezirk zurückkaufen können. Es geht nicht um Populismus und auch nicht um die Geschichtsbücher, aber schon darum, Politik zum Anfassen zu machen und griffige Formeln zu finden für das, was man will. Man muss die Leute mitnehmen, damit sie spüren: Die Politik ist an unserer Seite.
Gothe: Stadtentwicklung ist die neue große soziale Frage. Wenn wir nicht wollen, dass es hier einmal wie in Paris oder London ist, wo sich nur noch Gutbetuchte die Innenstadt leisten können, dann müssen wir jetzt sehr stark agieren, um die soziale Mischung zu erhalten.
Geht es bei Ihrer Arbeit also vor allem darum, etwas zu bewahren?
Gothe: Das Ideal ist sicherlich die sozial und funktional gemischte Stadt, da gibt es ja auch einen recht großen Konsens. Aber außer um die Mischung geht es natürlich auch um den Faktor Lebensqualität. Es ist ein Paradox, dass wir einerseits nicht wollen, dass die Mieten steigen, aber andererseits viel dafür tun, um die Lebensqualität zu steigern. Wenn man den öffentlichen Raum attraktiver macht, kann das zu Mietsteigerungen führen. Darin liegt die Herausforderung.
Schmidt: Friedrichshain-Kreuzberg ist ja auch in Bezug auf die Stadtentwicklung so etwas wie das gallische Dorf von Deutschland. Den Bürgern hier geht es nicht darum, dass alles eingefroren wird und sich nichts mehr entwickeln darf, aber sie wollen nicht überrannt werden von dieser Entwicklungseuphorie, bei der es vor allem darum geht, Leute mit Geld reinzuholen, Investoren, Touristen. Dagegen gibt es hier diese breite Initiativenlandschaft, von sehr radikal bis konstruktiv, und ich denke, dass Deutschland davon lernen kann. Gerade auch vor dem Hintergrund der AfD: Der Frust mit dem Establishment kann dadurch bekämpft werden, dass es gemeinsam etwas zu gestalten gibt. Dass Solidargemeinschaften die Stadt von unten gestalten mit Unterstützung des Staates und in Unterstützung des Staates, aber als eigene Kraft – das ist meine Vision.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance