Diskussion nach der Nobelpreisrede: Handkes Empathielosigkeit
Peter Handke? Geht es um Politik oder Poetik? In Graz luden das Literaturhaus und die „Kleine Zeitung“ zur Diskussion über den Nobelpreisträger.
In Graz studierte Peter Handke Jus und feierte seine ersten Erfolge, hier leben Wegbegleiter seit vielen Jahren. Und hier haben am Mittwoch, einen Tag nach der Nobelpreis-Verleihung, das Literaturhaus und die Lokalmatadorin Kleine Zeitung zur „Day after“-Debatte geladen. Noch nie, sagt Literaturhaus-Chef Klaus Kastberger, „habe ich so viele Anregungen und Interventionen von außen bekommen, wer sonst noch auf dieses Podium gehörte“. Vielen Grazern geht die Debatte nah: Mehrmals unterbrechen einzelne der etwa 150 Zuhörer die Diskutanten und rufen, ja schreien fast ihre Empörung heraus.
Literaturhaus-Chef Kastberger hat das Podium ausgewählt und selbst einen offenen Brief mit initiiert, der die „Anti-Handke-Propaganda“ verurteilte. „Der Wille zum Totalitarismus ist selbst bei sich für liberal haltenden Medien nur noch erschreckend“, heißt es da. Auch die Autorin Julya Rabinowich unterzeichnete, sie sitzt nun auch am Podium. Hubert Patterer moderiert, er ist Chefredakteur der Kleinen Zeitung, in der Steiermark wie in Peter Handkes Geburtsland Kärnten auflagenstärkste Tageszeitung. Oftmals hat er Handke in dessen Haus in Chaville besucht und viele, viele Interviews mit ihm geführt.
Schnell geht’s zur Sache. Gerrit Bartels, ehemals Redakteur der taz, nun des Tagesspiegels in Berlin, kommt direkt aus Stockholm: „Ich hätte mir erwartet, dass er einen Satz der Entschuldigung sagt oder auf die Debatte eingeht“, sagt er. Stattdessen: Selbstgefälligkeit in der Nobel-Vorlesung. Bei der Pressekonferenz einen Journalisten beleidigt. Handke sei „dem Ganzen nicht wirklich gewachsen“. Ja, die Preisrede sei „ein bisschen dürr“ gewesen, befindet auch Handke-Kenner Lothar Struck vom Online-Literaturmagazin Glanz und Elend. Andererseits sei der Autor in einer Position gewesen, „wo er nur noch alles falsch machen kann“.
Obwohl die Rollen auf dem Podium klar verteilt sind, kommen Verteidiger und Kritiker Handkes einander näher, wenn es um die Preisrede geht. Kastberger hat einen „Erlösertext“ gehört, „vorgetragen von einem stammelnden, unerlösten Menschen“. Jetzt ist Miranda Jakiša an der Reihe, Slawistin und Literaturwissenschafterin von der Uni Wien, deren Position klar ist: Handke schreibe über das unbefriedete Südosteuropa „sehr inkompetent und inakzeptabel“.
Mitleid mit einem alten Mann?
Seine Rede sei unsäglich gewesen, „und was war denn dieses Fremdsprachenstammeln?“ Ihr Mann und sie hätten herzlich gelacht: „Ich kann Slowenisch, mein Mann Schwedisch, Handke kann beides nicht.“ Als dann auch noch Struck sagt, Handke stammle doch immer, ist das zu viel für eine Frau im Publikum. Sie springt auf: „Er ist kein großer Sprecher, weil er in Ruhe arbeitet“, ruft sie mit zitternder Stimme. Jeder falle über ihn her: „Er ist ein alter Mann, hat denn keiner Mitleid?“
Nun geht es um die Frage, wer Opfer und wer Täter ist. Julya Rabinowich meint, „jedem von uns“ könne es passieren, dass eine Hasswelle über ihn hereinbreche. „Wirklich?“, fragt die Autorin Barbi Marković, die in Belgrad aufgewachsen ist und nun in Wien daheim. „Die Jugoslawien-Texte protzen so sehr vor Empathielosigkeit“, da seien die heftigen Reaktionen doch klar. Immerhin habe Handke niemand aufgefordert, er solle Schwänze lutschen, wie es ihr nach einem relativ milden Text passiert sei. Kastberger stört, dass nur noch über Politik und kaum über Handkes Werk und dessen Poetik geredet werde.
Aus dem Publikum melden sich außer der einen Frau ausschließlich Männer, meist ältere, zu Wort. Für einen, Kroate, wie er sagt, ist klar: „Handke ist nicht Opfer. Opfer sind die tatsächlichen Opfer.“ Einer outet sich, er sei schon als Schüler zum Handke-Jünger geworden, aber später habe er gedacht: „‚Komisch, warum wird der nicht erwachsen, wenn ich doch erwachsen werde?‘ Ich liebe ihn nach wie vor, aber ich bin erschüttert, in welche Richtung er gegangen ist.“ Viele applaudieren.
Moderator Hubert Patterer setzt zum Abschied an. Erst vor zwei Wochen habe Handke ihm gegenüber zugegeben, dass ihm das alles doch sehr zusetze. „Aber er habe noch viele Pfeile im Köcher, und darauf freuen wir uns.“ Barbi Marković wiegt den Kopf: „Na ja – kommt darauf an.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken