Diskriminierungs-Vorwurf gegen Hamburger Kita: Spiel nicht mit den Villenkindern
Einer Kita im Hamburger Villenviertel Wellingsbüttel wird vorgeworfen, mit ihrem überwiegend deutschen Klientel zu werben. Der städtische Träger widerspricht.
Dreißig Seiten lang ist das Konzept der Kita Rabenhorst. Darin finden sich Angaben über das Gebäude, die Gruppen und den Tagesablauf in der Kita. Auch die pädagogischen Ziele werden erläutert, das Team wird vorgestellt. Für Aufregung sorgte das Kapitel „Einzugsgebiet unserer Klientel“. Darin steht, dass die finanzielle Situation der Eltern in Wellingsbüttel gut oder sogar sehr gut sei, die meisten seien Anwälte, Ärzte oder Makler. „Viele Familien leben in eigenen Häusern, Reihenhäusern oder Villen.“ Der darauf folgende Satz wurde mittlerweile aus dem Konzept gestrichen: „Von den Familien mit Migrationshintergrund nehmen nur wenige unsere Betreuung in Anspruch.“
Für die Eltern auf Kita-Suche, die sich offenbar an die Mopo wandten und anonym bleiben wollten, ein „unglaublicher Satz“. Man wolle offenbar damit werben, keine Migrantenkinder in den Gruppen zu haben. Für ihr Kind wolle das Paar eine andere Kita suchen.
Auch in den sozialen Medien äußerten viele Menschen ihren Unmut. Stefanie von Berg, Hamburger Bürgerschaftsabgeordnete der Grünen und Sprecherin für Schule, Berufsbildung und Religion, schrieb auf Facebook, dass in dem Stadtteil zwar tatsächlich keine Vielfalt herrsche. Eine explizite Werbung damit in einer Broschüre sei jedoch „die Zementierung der sozialen Spaltung, die Aufkündigung einer vielfältigen Gesellschaft und auch diskriminierend“.
Der Träger der Kita Rabenhorst, die städtische Elbkinder- Vereinigung, weist die Vorwürfe zurück. Auch, weil es an anderer Stelle in dem Konzept, unter dem Kapitel „Leitgedanken unserer pädagogischen Arbeit“, heißt, dass alle Kinder in den pädagogischen Gedanken eingeschlossen seien. „Unser Kitaalltag ist durch einen Inklusionsgedanken geprägt, der offen ist für Mädchen und Jungen, klein und groß, stark und schwach, krank und gesund, dick und dünn. Ganz gleich, ob deutscher Herkunft oder aus Familien mit Migrationshintergrund.“
Der beanstandete Satz beschreibe lediglich die Tatsache, dass nur wenige Familien mit Migrationshintergrund die Betreuung in der Kita in Anspruch nähmen. Wenige Familien heiße nicht gar keine Familien, so die Geschäftsführerinnen Franziska Larrá und Katja Nienaber in einem Statement zur Berichterstattung der Mopo.
Ein Konzept, wie das der Kita Rabenhorst, verfassten alle Kitas des Trägers . Dazu gehöre auch eine Sozialraumanalyse. „Nichts anderes hat die Kita Rabenhorst in diesem Abschnitt der Konzeption gemacht“, schreiben die Geschäftsführerinnen. „Sie hat die Sozialstruktur des Stadtteils Wellingsbüttel beschrieben.“ Ob eine Kita ihr Konzept öffentlich mache, entscheide jede Einrichtung für sich. Manche stellten nur kurze Flyer online und hielten die ausführlichen Konzepte auf Nachfrage bereit.
Anne Schultz-Brummer, Kita-Fachberaterin bei Soal
Keiner der Vorgesetzten, die das Konzept der Kita Rabenhorst gegengelesen haben, habe den nun beanstandeten Satz für bedenklich und dem Inklusionsprinzip der Elbkinder widersprechend gehalten, schreiben die Geschäftsführerinnen. Trotzdem wurde er aus dem Papier gestrichen. Jedoch nicht, „weil wir der Kita unterstellen, das so gemeint zu haben, wie ihr nun vorgeworfen wird, sondern weil er anscheinend missverstanden werden kann“, sagte Larrá der taz.
Anne Schultz-Brummer, Kita-Fachberaterin beim Alternativen Wohlfahrtsverband Soal, sagt, man könne den Satz zwar missverstehen. Sie will der Kita aber keine böse Absicht unterstellen. „Der Träger Elbkinder hat Kitas in allen Stadtteilen Hamburgs. Es erscheint mir logisch, wenn jede Kita erst einmal analysiert, in welchem Stadtteil sie tätig ist“, sagt Schultz-Brummer. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Anliegen war, bestimmte Kinder auszuschließen.“
Als Werbung würde sie die Kita-Konzepte nicht unbedingt ansehen. Es seien Arbeitswerke für die PädagogInnen, die aber auch den Eltern zugänglich sein sollten. Laut Schultz-Brummer ziehen Bildungseinrichtungen häufig homogene Milieus an. „Das liegt zum einen an der Stadtpolitik, aber auch an der Vernetzung der Eltern untereinander.“
Auch Fynn Gorbatschew spricht sich gegen eine pauschale Verurteilung der Kita und des Stadtteils Wellingsbüttel aus. Der Auszubildende und sein Bruder besuchten die Kita als Kinder – zusammen mit Kindern mit Migrationshintergrund, wie er sagt. Als Jugendlicher habe er in der Kita ein Praktikum gemacht und er besuche seine ehemaligen Erzieherinnen in der Kita noch regelmäßig. „Die Wortwahl in dem Konzept geht natürlich nicht“, räumt er ein. Damit würden die falschen Menschen angesprochen. „Aber den Kindern dort geht es super. Sie werden sehr gut behandelt, egal woher sie kommen“, sagt der 18-Jährige.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland