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Diplomat über Bosnien und Herzegowina„Vielleicht die letzte Chance“

Immer mehr Menschen verlassen Bosnien und Herzegowina. Die internationale Gemeinschaft muss handeln, fordert Valentin Inzko von der UNO.

Gedenkstätte in Potočari: Immer wieder wird der Genozid von Srebrenica geleugnet Foto: Dado Ruvic/reuters
Erich Rathfelder
Interview von Erich Rathfelder

taz: Herr Inzko, das serbische Mitglied im Staatspräsidium Bosnien und Herzegowinas, der serbische Nationalist Milorad Dodik, hat Sie kürzlich vor dem Weltsicherheitsrat als Monster bezeichnet.

Valentin Inzko: Ja, das ist nicht das Einzige, er hat mich auch als Viehhändler, Prostituierter und Krimineller bezeichnet.

Alle Mitglieder des Weltsicherheitsrats außer Russland haben sich von Dodik distanziert. Hat er auf Ihre Ankündigung reagiert, gegen die Glorifizierung von Kriegsverbrechen vorzugehen?

Ich habe am 11. Juli, dem 25. Jahrestag des Genozids von Srebrenica, vor dem Weltsicherheitsrat auf das Problem hingewiesen. Jetzt habe ich den Ton verschärft. Ich habe Dodik eine Frist gegeben, die am Studentenwohnheim von Pale angebrachte Tafel zu Ehren des vom UN-Tribunal in Den Haag verurteilten Kriegsverbrechers Radovan Karadžić bis 11. Mai 2021 abzunehmen (Anm. d. Red.: Die Tafel wurde am 11. Dezember entfernt). Auch die Führer der kroatischen Westherzegowina ehren ihre Kriegsverbrecher. So gab es ein Konzert für die sechs 2017 vom Den Haager UN-Tribunal verurteilten bosnisch-kroatischen Kriegsverbrecher sowie Dankesgottesdienste und Gedenkstunden. Mich freut, dass der deutsche Außenminister Heiko Maas am 28. Oktober in einer sehr guten Rede erklärt hat, dass Länder und Politiker, die Kriegsverbrechen verherrlichten, keinen Platz in der EU hätten. Diese Aussage unterstützt mein Anliegen. Dodik hat sich mit seinen Aussagen vor dem Weltsicherheitsrat ins eigene Bein geschossen.

Im Interview: Valentin Inzko

71, ist ein österreichischer Diplomat und seit 2009 Hoher Repräsentant der UN für Bosnien und Herzegowina. Er kann Verstöße gegen das Dayton-Ab-kommen ahnden. Dafür braucht er aber die Rückendeckung durch das PIC und der internationalen Gemeinschaft. Bis 2011 war er außerdem EU-Sonderbeauftragter in Bosnien.

Reicht Ihre Forderung, um die Politik der Nationalisten zu ändern?

Es gibt ja weiterreichende Beschlüsse, um gegen die Verletzung des Dayton-Abkommens vorzugehen, einige dieser Maßnahmen sind noch in Kraft, andere laufen 2020 aus. Ich werde alles unternehmen, damit diese Beschlüsse jetzt wieder aktiviert und als Grundsatzbeschluss vom Rat der Außenminister der EU erneuert werden. Die internationale Gemeinschaft hätte schon längst schärfer vorgehen sollen. Seit Jahren hat man nur von der Verantwortung der lokalen Politiker gesprochen. Man hoffte, die würden selbst eine für das Land positive Politik betreiben. Dieses sogenannte Ownership-Prinzip war nicht erfolgreich. Wenn man die Geschichte der internationalen Präsenz in Bosnien und Herzegowina und des Office of High Representative ansieht, so gab es bisher zwei Phasen. Es gab die robuste Phase, die nach Dayton 12 Jahre andauerte und in der wir Wunder vollbracht haben: Eine gemeinsame Grenzpolizei, sechs zusätzliche Ministerien auf gesamtbosnischer Ebene, ein gemeinsames Verteidigungsministerium, aus drei Armeen wurde eine, die bosnische Währung, die Konvertible Mark, wurde stabil. Ich sage, wir müssen nächstes Jahr in eine dritte Phase eintreten, wir müssen einige Elemente der ersten Phase wieder anwenden. Sonst werden wir noch mal 15 Jahre verlieren.

Was muss getan werden?

Es gibt zwei Schlüsselelemente: Die Deblockade der Institutionen und eine Reform des Justizsystems. Bosnien muss aufgrund des Rechts existieren. Wenn einige Politiker im Gefängnis sitzen, dann werden die Leute das Gefühl haben, es gibt einen Rechtsstaat und es lohnt sich zu bleiben. 500.000 oder mehr Leute sind schon weg. Man muss jetzt handeln.

Und das zweite Element?

Nationalisten straucheln

Hoffnung auf einen Politikwechsel: Bei den Lokalwahlen am 20. November gewannen vor allem nichtnationalistische Parteien und die Opposition. Nur die kroatische Nationalistenpartei HDZ konnte sich in den Kroatengebieten des zweiten Teilstaates, der bosniakisch-kroatischen Föderation, halten.

Das Dayton-Friedensabkommen wurde vor 25 Jahren in Paris ratifiziert: Es beendete den Krieg und schuf eine demokratische Struktur mit Parlamenten auf allen staatlichen Ebenen in der die drei „Konstituierenden Nationen“ der Serben, Kroaten und Bosniaken einen Kompromiss finden sollten. Doch die kriegsführenden Eliten blieben an der Macht und setzten das ethnonationale Prinzip durch.

Die internationale Gemeinschaft verfügt bis heute über Einfluss: 55 Staaten und Organi-sationen, darunter die Vereinten Nationen und die Organisation für Sicherheit und Zusam-menarbeit in Europa (OSZE), sind in Bosnien tätig und bilden den Peace Implementation Council (PIC), der einen Hohen Repräsentanten bestellt, der die Umsetzung des Dayton-Abkommens überwacht und Verstöße ahnden kann.

Wir haben noch die Eufor, das europäische Militär. Wir wollen nicht aufgeben, Bosnien und Herzegowina zu einem normalen Staat zu machen. Das PIC hat am letzten Mittwoch bekräftigt, dass es keine Grenzveränderung, wie sie Dodik androht, geben darf. Der Dayton-Vertrag garantiert die Grenzen, wie sie sind.

Die nationalistischen Parteien und auch manche Politiker in der EU fordern die Auflösung des Büros des Hohen Repräsentanten (OHR).

In Österreich und in Deutschland war die Präsenz der Alliierten nach 1945 in vielen Aspekten durchaus positiv. Man muss also nicht verzweifeln, wenn es das OHR auch noch ein paar Jahre gibt. Ziel muss sein, ein prosperierendes und rechtsstaatliches Bosnien und Herzegowina zu formen. Hinzu kommen einige ermutigende Zeichen. Bei den Kommunalwahlen haben vor allem in den großen Städten Oppositionskräfte gewonnen. Und in den USA ist mit Joe Biden ein Präsident gewählt worden, der die Region genau kennt. Er wird erfahrene Diplomaten schicken, die gemeinsam mit der EU und dem OHR einiges erreichen könnten. Das ist vielleicht die letzte Chance für Bosnien und Herzegowina, zu einem normalen Staat entwickelt zu werden.

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