Digitalisierung in den Schulen: Kurz vor Glasfaser
Die Coronapandemie bei Schulen und Politik zum Handeln gezwungen – und einiges vorangebracht. Die größte Baustelle bleibt schnelles Internet.
„Wir waren vor einem Jahr wirklich froh, wenn wir es geschafft haben, überhaupt Aufgaben zu verteilen“, sagt Arnd Niedermöller, Schulleiter am Lichtenberger Immanuel-Kant-Gymnasium. Videokonferenzen? „Da waren viele Familien anfangs völlig überfordert, weil auch die Eltern ihre Tablets im Homeoffice brauchten.“
Inzwischen, sagt Niedermöller, der auch Mitglied im Digitalbeirat ist, der seit Dezember die Bildungsverwaltung in Sachen Digitalisierung auf die Sprünge helfen soll, „ist Unterricht per Videokonferenz ein gängiges Mittel und die Ausstattungsfrage mit Endgeräten ist eigentlich keine mehr.“
Sein Kollegium, sagt der Schulleiter, integriere die Videostunden fest in rhythmisierte Wochenpläne, die Koordination über den digitalen Lernraum laufe gut, es gebe sogar Gruppenarbeit in digitalen Räumen. „Eigentlich sind wir da innerhalb kurzer Zeit auf ein wahnsinnig hohes Niveau gesprungen“, sagt Niedermöller. Ähnliches haben inzwischen viele andere Schulen berichtet.
Das Virus Natürlich hat man sich hier bereits davor mit der neuen Erkrankung beschäftigt, am 1. März 2020 aber wurde auch in Berlin der erste Fall einer Infektion mit dem Coronavirus bestätigt. Der erste Lockdown folgte schnell: Am 17. März wurden die Schulen und Clubs geschlossen, am 23. März folgten fast alle Geschäfte.
In Serie Seit einem Jahr hält uns ein Virus, das einem längst erschreckend vertraut erscheint, in Atem. Was macht das mit Berlin und seinen BewohnerInnen? In einer loser Folge wollen wir der Frage mit den ersten Bilanzen nachgehen, nach dem Blick auf die soziale Distanz und den Kulturbetrieb folgen hier die Schulen und deren digitale Notlage. (taz)
Große Startschwierigkeiten
Nun war das Niveau, von dem aus man zum Sprung ansetzte, aber auch sehr, sehr niedrig. Den digitalen Lernraum Berlin der Senatsbildungsverwaltung hatte vor Corona kaum ein Berliner Schüler betreten. Gerade mal 50.000 Zugriffe täglich verzeichneten die AdministratorInnen in vorpandemischen Zeiten – im Lockdown liegen die Zugriffszahlen im Millionenbereich.
Die Bildungsverwaltung musste Serverkapazitäten erweitern und erwarb im Januar die Lizenz für eine weitere digitale Lernplattform, weil der Lernraum Berlin unter dem Ansturm immer mal wieder, gerne übrigens montagmorgens, zusammenbrach.
Dienst-E-Mail-Adressen für Lehrkräfte? Brachte die Bildungsverwaltung inzwischen in einem Pilotprojekt Mitte Januar „an ausgewählten Schulen“ auf den Weg – allerdings eben auch erstaunlich, so viele Jahre nach der Erfindung der E-Mail.
Internet in Gigabytegeschwindigkeit? Lediglich die beruflichen Schulen sind inzwischen ans Glasfasernetz angeschlossen. Für die allgemeinbildenden Schulen sei immerhin inzwischen die Ausschreibung auf dem Weg, sagt der Pankower Schulstadtrat Torsten Kühne (CDU). „Wir hoffen, dass bis Ende 2021 die Vergabe erfolgt.“
Digitalpakt-Milliarden bisher versandet
Immerhin: Die Bildungsverwaltung hat nun Mobilfunkrouter entdeckt, die sie den Schulen „bis zur Ausstattung der Standorte mit einer leistungsstarken Breitband-Glasfaseranbindung und entsprechend ertüchtigten Netzwerk- und WLAN-Strukturen in den Gebäuden“ zur Verfügung stellen will, und zwar „unbürokratisch“.
Für die Router brauche man lediglich „ein Fenster und eine Steckdose“, heißt es im Infoschreiben. Noch in dieser Woche sollen die Schulen jetzt ihre Bedarfe anmelden: Die Mobilfunkverträge seien „unterschriftsreif“, hieß es am Mittwoch. Eine lange Zeit rannten SchulleiterInnen und auch der Landeselternschuss mit der Forderungen nach solch einfachen „Pop-up-Lösungen“ übrigens gegen eine Wand der Ablehnung.
Man kann also gut nörgeln über die jahrzehntelang verpasste Digitalisierung der Schulen. Man kann aber auch sehen, wie viel pragmatischer und furchtloser die Politik und auch die Schulen inzwischen an dieses Internet herangehen – weil sie durch die Pandemie schlicht dazu gezwungen wurden.
Das sagt auch Schulstadtrat Kühne. Bisher seien die 2019 verabschiedeten Digitalpakt-Milliarden des Bundes – insgesamt 6,5 Milliarden Euro dürfen die Länder bis 2024 verausgaben – schlicht zwischen Bürokratie und Zuständigkeiten versandet.
Montag kehren die Klassen 4 bis 6 in den Wechselunterricht aus Homeschooling und Präsenzunterricht in halbierter Klassenstärke zurück. Die Jahrgangsstufen 1 bis 3 sind bereits wieder in der Schule. Am 15. März folgen die Klassen 10 bis 13. Bildungssenatorin Scheeres (SPD) will den Schulstart mit freiwilligen Schnelltests für die Kollegien und Selbsttests für SchülerInnen begleiten.
Die Kitas sollen am Montag wieder für alle Kinder ein Angebot von mindestens 7 Stunden pro Tag machen. Die Notbetreuung für die systemrelevanten Berufe wird beendet. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) kritisiert die Öffnung der Kitas, bevor die Organisation der Schnelltests und die Impftermine für ErzieherInnen stehen. (taz)
Ernüchternde Billianzen
Zum Beispiel die Verkabelung mit schnellem Internet, das wiederum Voraussetzung dafür ist, dass Videokonferenzen laufen. Während die Anbindung mit Glasfaser zentral über das der Innenverwaltung unterstellte Rechenzentrum ITDZ läuft, sind für die LAN-Kabel-Aufrüstung in den Gebäuden die Bezirke zuständig.
Doch Kühne sagt: „Diese Kabel sind aufwendig zu verlegen, dass macht nur Sinn, wenn eine größere Sanierung ansteht.“ Weil Schulsanierungen aber ihrerseits Zeit kosten – alle laufenden Sanierungsvorhaben seien vor dem Digitalpakt begonnen worden –, wird gerade bei genau keiner Schule im Bezirk neben der Sanierung auch das Internet flott gemacht. Nun waren die baulichen Voraussetzungen aber stets Bedingung dafür, dass die Senatsbildungsverwaltung überhaupt Digitalpaktgelder für Endgeräte – Tablets, digitale Tafeln – zur Verfügung stellte.
Das Ergebnis: Die meisten Gelder wurden nicht abgerufen. In Pankow habe man 2020 drei Millionen Euro verausgabt, sagt Kühne – sechsmal so viel hätte zur Verfügung gestanden. In den anderen Bezirken ist die Bilanz nach fast zwei Jahren Digitalpakt teils noch ernüchternder, wie eine parlamentarische Anfrage der CDU-Fraktion an die Bildungsverwaltung vom Oktober zeigt.
Corona ändert Herangehensweise
Diese „etwas naive Herangehensweise an die Realität“, wie Kühne sagt, änderte sich dann mit dem 1,5 Millionen Euro schweren „Sofortausstattungspaket“, das der Bund im Coronajahr 2020 auf den Weg brachte. Berlin bekommt davon 27,5 Millionen – für Mobilfunkrouter, für 40.000 Tablets für SchülerInnen ohne eigens Endgerät zu Hause, für Lehrerlaptops, für externe IT-BetreuerInnen an den Schulen.
Für letztere erarbeite man derzeit „mit Hochdruck eine Förderrichtlinie“, sagt ein Sprecher von Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD). Die Administratoren sollen sich dann unter anderem um die Dienstgeräte der LehrerInnen kümmern – der „Rollout“ der ersten Geräte sei noch im März geplant.
Für Schulleiter Niedermöller sind das alles gute Nachrichten. Er sagt aber auch, dass Zehntausende Tablets nicht den Blick auf die größeren Baustellen versperren sollten. „Die Bandbreiten sind das Problem, der Internetausbau muss jetzt Priorität haben“, sagt Niedermöller, der an seiner Schule eine Internetgeschwindigkeit „auf gutem Haushaltsniveau“ hat.
Den Digitalpakt entbürokratisieren, weniger dogmatisch agieren auch nach der Pandemie, sagen sowohl Kühne als auch Niedermöller, das seien jetzt die politischen Hausaufgaben.Ansonsten bleibe es an seiner Schule wohl bei dem jetzigen Standard, sagt der Schulleiter: „Videokonferenzen meistens ohne Video, aber mit Audio.“
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