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Digitalisierung im GesundheitswesenDie Daten lassen sich missbrauchen

Kommentar von Svenja Bergt

Die elektronische Patientenakte ist wie ein alter Schokohase: gut gemeint, aber nicht undingt zuträglich für die Gesundheit.

Elektronische Patientenakte: Daten könnten auch missbraucht werden Foto: imago

K ürzlich fragte mich eine Klinikärztin, mit der ich mich zufällig darüber unterhielt, wie das eigentlich gehen soll mit der elektronischen Patientenakte (ePA): Sollte sie die Unterlagen selbst hochladen, so zwischen Früh-, Spät- und Nachtschicht? Oder die Pa­ti­ent:in­nen entsprechend kürzer behandeln, um Zeit zu haben für den neuen digitalen Zusatzjob?

Es waren ihre Gegenfragen auf meinen vorsichtigen Versuch anzumerken, dass die ePA, die nun bundesweit startet, vielleicht auch Vorteile haben könne, gerade für Menschen mit komplexen Krankheitsbildern. Und dieser Versuch war mir daher gleich entsetzlich peinlich. Denn ich hatte das Wichtigste nicht mitbedacht: die Realität. Denn vielleicht gibt es einen Grund, dass die Zahl der Menschen, die die ePA nutzen, bis zu diesem Jahr im einstelligen Prozentbereich lag. Schließlich hätte man sich in der Vergangenheit bewusst dafür entscheiden müssen und Vorteile sehen. Dass es diese geben wird, ist bislang nur eine Hoffnung. Die Krankenkassen hoffen darauf, Doppeluntersuchungen zu sparen, die Industrie freut sich auf haufenweise Forschungsdaten.

Dass nun, wo widersprechen muss, wer die ePA nicht haben will, die Nutzungszahlen hochgehen, ist logisch: Verkauft jemand abgelaufene Schokoladenosterhasen, bleiben sie Ladenhüter. Verschenkt jemand die Schokotierchen, werden die meisten doch zugreifen. Das Prinzip ist das gleiche wie bei der ePA: vielleicht gut gemeint, aber der eigenen Gesundheit nicht unbedingt zuträglich. Dagegen spricht zum Beispiel, dass auch im Gesundheitssystem Menschen Diskriminierung erfahren. Dass Schmerzen bei einem Patienten mit Psychotherapiegeschichte natürlich psychosomatisch sind, dass einer HIV-positiven Patientin die Behandlung verweigert wird, das ist Alltag.

Wie sich Gesundheits­daten missbrauchen lassen, zeigt ein Fall aus Finnland

Es gibt also genug Patient:innen, die ein Interesse daran haben, sehr genau zu steuern, wel­che:r Ärz­t:in was über sie weiß. Das erlaubt die ePA aber nur ansatzweise. Dazu kommt: Es ist durchaus möglich, dass Unbefugte sich Zugang zu medizinischen Daten von Pa­ti­en­t:in­nen verschaffen. Gerade wurde eine neue Lücke bekannt, angeblich soll sie bereits geschlossen sein.

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Wie sich Gesundheitsdaten missbrauchen lassen, zeigt etwa ein Fall aus Finnland: Ein Angreifer hackte die Patientendatenbank eines Psychotherapieunternehmens und kopierte Diagnosen und Therapieprotokolle von 33.000 Menschen. Er erpresste das Unternehmen und, als das nicht zahlte, die Pa­ti­ent:in­nen – nur um zum Schluss doch die Daten zu veröffentlichen. Der Täter wurde verurteilt, aber der Schaden ist da.

Wer will, dass möglichst viele Menschen die ePA aus Überzeugung nutzen, braucht ein ­gutes Produkt: einfach, für alle bedienbar und zugänglich. Ein Produkt, das alle Menschen verwenden können, ohne befürchten zu müssen, dass ihre Daten in falsche Hände geraten. Ein Produkt, das merkbar Vorteile bringt – und nicht den Anschein macht, vor allem als Datensammelschatz für Wissenschaft und Industrie konzipiert zu sein. Schon klar, das ist viel verlangt. Aber es geht hier ja um Gesundheit. Oder etwa nicht?

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Redakteurin für Wirtschaft und Umwelt
schreibt über vernetzte Welten, digitale Wirtschaft und lange Wörter (Datenschutz-Grundverordnung, Plattformökonomie, Nutzungsbedingungen). Manchmal und wenn es die Saison zulässt, auch über alte Apfelsorten. Bevor sie zur taz kam, hat sie unter anderem für den MDR als Multimedia-Redakteurin gearbeitet. Autorin der Kolumne Digitalozän.
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5 Kommentare

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  • "vielleicht gibt es einen Grund, dass die Zahl der Menschen, die die ePA nutzen, bis zu diesem Jahr im einstelligen Prozentbereich lag. "



    vielleicht ist es aber auch einfach D. E-Autos sind hier ja auch noch Exotentechnik, weil erstmal alle Eventualitäten theoretisch am Stammtisch durchgespielt werden müssen.... so richtig Freude an Neuem hat man hierzulande einfach nicht...

    "Wer will, dass möglichst viele Menschen die ePA aus Überzeugung nutzen, braucht ein ­gutes Produkt: einfach, für alle bedienbar und zugänglich."



    richtig. Nur so etwas gibt es leider nicht. Schon gar nicht in D, weil hier nur 100% akzeptiert wird.

  • Deutschland und Digitalisierung sind wie zwei Züge auf Kollisionskurs. Die Katastrophe ist vorprogrammiert.

    • @Minelle:

      Vor ein paar Wochenn habe ich mich mal über das Digitalministerium lustig gemacht:



      Es werde erst ein Jahr brauchen, um sich einzurichten, dann zwei um das papierlose Büro einzuführen und danach würden Neuwahlen angesetzt. Da habe ich freilich noch nicht gewußt, wer weshalb da Minister würde.



      Und jetzt? Wenn die Albrecht-Brüder noch leben würden? Die haben auch manchmal Kisten mit Computern und Fernsehern im Laden stehen gehabt. Und schoben die genauso "über die Theke" wie die zwei Elektronikriesen, die jetzt den Job kriegen, die Kühlschränke, Waschmaschinen, Druckerpatronen oder das Kopierpapier. Also wenn der Merz beweisen wollte, daß er in den neunziger Jahren hängengeblieben ist, mit der Vergabe isses ihm gelungen. Da gibt es nichts zu kritteln, das ist so unumstößlich wie die PZU des Gerichtsvollziehers vor dem Bundesgerichtshof.

  • Es geht (und ging) immer nur ums Geld.

    • @Tetra Mint:

      Kann man so nicht sagen. Es treffen manchmal in einer Notaufnahme Umstände aufeinander, die, jeder für sich gesehen, harmlos erscheinen, aber in Summe letal enden können. Wer das selbst er- und überlebt hat, sieht die ePA anders.